Von Proust zu Pulp

Der Poet ist ein Lumpensammler, er kommt mit den Abfällen aus.

Jörg Fauser

Copy-Art von Klaus Urbons

Die Auseinandersetzung mit den, in diesem Online-Magazin reflektierten Trivialmythen, die sich beispielsweise in sogenannten Gossenhefte oder trivialen Maschinen wie dem Fotokopierer äussern, dem Tonstudio als Instrument oder dem Internet als Weltarchiv, ist eine stilistisch überpointierte Art der Wahrnehmung von kulturellen Produkten aller Art von Literatur über Musik, bildender Kunst usw., die am Künstlichen und der Übertreibung orientiert ist; oft gehören die als trashig erlebten Werke der Trivial- oder Popkultur an, die hier jedoch nicht gedankenloser Zerstreuung dient, sondern eine ästhetische Umwertung erfährt. Ohne ein kulturelles oder gesellschaftliches Handeln wäre ein Subjekt nicht vorstellbar. Trash bedeutet, die Produkte der Unterhaltungskultur als seriöse Gegenstände von Erkenntnis zu vernutzen. Diesem Denken ist ein gehöriges Mass an Unzuverlässigkeit eingeschrieben, das intellektuelle Fundament des Denkens gerät ins Schlingern. Es geht darum, Motive aufzufinden, wo andere sie auch nur ansatzweise suchen. Literatur und Rough’n’Roll haben exemplarische Bedeutung, als experimentelle Reflexionsebenen, in denen auch Bedeutung verhandelt werden kann oder zu Karneval in puren Nonsens entgleitet.

Im Idealfall ist Pop subversiv. Im Idealfall ist Pop populär. Im Idealfall ist Pop populär und subversiv zugleich. […] Im Ideal­fall tritt der Idealfall tatsächlich ein.

Andreas Neumeister

Die Spur der Trivialmythen lassen sich ins 19. Jahrhundert zurückverfolgen. Wir sehen die Wirklichkeit stets mit einem offenen und einem geschlossenen Auge und so müssen wir uns eingestehen, dass all unser Erkennen zahlreichen Einschränkungen unterliegt, die aus den Bedingungen von Zeit und Raum, individuellen Veranlagungen, Umgebung und Situationen resultieren. Wirklichkeit ist demnach nichts, was objektiv zu erfassen ist, sondern abhängig vom Standpunkt und den Eigenschaften des betrachtenden Individuums. Bereits der mit dem Dandytum der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert in Verbindung stehende Ästhetizismus, Oscar Wilde kann als stilsicherer Vorläufer der Kunstauffassung angesehen werden, dessen eigentliche Zeit eine Brücke von DaDa bis in den 1950er und 1960er Jahren bildet.Trash bezeichnet Phänomene und Objekte, die der ernsthaften Kunst quasi ein Schnippchen schlagen mit verspielten Formen und Verfahren. Nicht zu verwechseln Pop-Art, die sich ja quasi von oben herab mit populärer Kultur auseinandersetzt. indem sie profane Objekte der Alltagskultur kopiert oder ins Museum stellt, erwirkt sie eine Art ironischer Sakralisierung. Trash macht keinen Unterschied zwischen dem einzigartigem Gegenstand und dem Massengut. Es besteht eine Verbindung zur Popart und anderen Kunstrichtungen dieser Zeit, die sich spielerisch mit der Alltagskultur beschäftigen, wie beispielsweise in der TV-Serie Raumpatrouille, das Bügeleisen als Steuerkonsole. Das schöpferische Originalgenie ist seit dem 19. Jahrhundert ausgestorben, die Artisten des 21. Jahrhunderts sind Tatsachensammler und Verdichter.

The medium is the message

Durch die elektronische Vernetzung ist evident, dass das Objekt nicht als solches interessant ist, sondern in seiner Darstellung, da es sich um das Resultat einer Reihe von Überlegungen handelt, die die Geschichte des Objekts, seine Symbolik, sein Werden und die Erfüllung in den Augen des Betrachters berühren. In seiner geschichtlichen Entwicklung hat das Internet die Maskierung des Objekts aufgezeigt, das sich von seinem Wesen als Produkt entfernt, um zum Hauptdarsteller der Inszenierung zu werden. Das Objekt wird also in dem Augenblick, in dem es in das System Markt gelangt, zu etwas anderem als sich selbst. Brennscharf erkannte dies bereits ab 1957 Roland Barthes, er versammelte analytischen Kunststücke in seinem Buch Mythologies. Der Band begründete Barthes‘ Ruf als führenden strukturalistischen Denker und brillanten Interpreten der Welt der Zeichen. Dieses Buch macht deutlich, daß der von uns als natürlich erlebte Alltag aus nichts anderem als einem interessengehorchenden und zugleich willkürlichen System besteht, das durch die Analyse seiner Zeichen seiner Selbstverständlichkeit entkleidet und für Veränderungen offen gemacht werden kann.

Reenactment

Im Zeitalter der Retromanie erlangen Gegenstände, Kunststile und Künstler Kult-Status, wenn sie im Mainstream seit einiger Zeit aus den Zeitläuften gefallen sind. Eine Nähe der Trivialmythen zur Historisierung vergangener Populärkultur, zur Retro-Welle und zu verblassten soziokulturellen Mentalitäten ist erkennbar. Diese artifizielle Wahrnehmung sucht nicht nach den ewigen Werten, die beispielsweise bei der Neuinterpretation von kulturellen Klassikern aus dem Strom der verflossenen Zeit gerettet werden sollen, sondern kapriziert sich gerade auf die fluiden Aspekte von Kunst und Darstellung. Besonders gern werden hier Werke und Personen wahrgenommen, die ihrer Epoche zeitlose Archetypik und Großartigkeit („die Frau“, „die Schönheit“, „das Biest“, „der Vampir“) vermitteln wollten und dabei mehr oder minder grandios scheiterten. So konnten auch die öffentlichen Auftritte eines Politikers wie Helmut Kohl, der im Alleingang die Würde der ganzen Deutschen Nation voll todernstem Pathos repräsentieren wollte, als Deutscher trash empfunden werden. Auch das heillos überzogene Pathos der Architektur eines Frank Gehry oder die bereits selbstironisch überspitzte Darstellung einer Sex-Ikone durch Scarlett Johanson sind beinahe schon „klassische“ Trash-Produkte.

Der online-Duden definiert Trash als eine „Richtung in Musik, Literatur und Film, für die bewußt banal, trivial oder oder primitiv wirkende Inhalte und eine billige Machart typisch sind“.

Im engeren Sinne bezieht sich das Konzept trash ursprünglich vor allem auf übertriebene, teilweise selbstironische Darstellung femininer Affekte, wie sie in der schwulen Subkultur seit den 1970er Jahren (man denke von die Drag Queen Divine) sowie bei einigen klassischen weiblichen Hollywood-Stars vorherrschte. Bei alle diesen subversiven Strategien sollte eine gewisse Form der Theatralik, Leidenschaftlichkeit und Verspieltheit sichtbar werden; trash-Ironie ist auch überwiegend auf sentimentale und liebevolle Weise ironisch, will die erwählten Gegenstände, Personen und Kunstwerke nie nur vorführen oder der Lächerlichkeit preisgeben. Ferner entsteht gute trash-Kunst eher naiv und unfreiwillig. Eine gewisse Überschneidung der trash-sensibility mit semiotischer Kulturanalyse sollte gleichfalls beachtet werden. Anhänger des trash-Geschmacks abstrahieren oft von den Inhalten der dargebotenen Artefakte, sie genießen Form, Dekor, Ornament und Variation – daher sind weitgehend festgelegte Genrekünste auch besonders dankbare Objekte für trash-Konsumenten. Die struktural-semiotische Analyse auf der Suche nach nach kulturellem Katzengold konzentrierte sich gleichfalls weniger auf die von Autoren und Künstlern intendierte Bedeutung von Kunstschöpfungen, als auf das Beziehungsnetz und Spiel der Zeichen, auf die Mechanismen der Rezeption.

Das ist so schlecht, dass es schon wieder gut ist!

Trash hat eine intellektuelle Seite und eine profane. Extrem erträglicher – und völlig beabsichtigter – trash waren die frühen Filme von John Waters oder Russ Meyer, der mit Faster Pussycat! Kill! Kill! das erste Roadmovie drehte und gerade dieser unabhängige Filmer erzeugte lange vor dem Easy Rider die Magie der Künstlichkeit in der Verkleidung des Existenzialisten. Systemübergreifende Kommentare machen das Konzept zu einer wertvollen Rarität. Dieser Trash erweist sich als unbestimmte, offene Kategorie. Dinge sind nie nur trashig, sie haben aber eine ästhetische Seite, die sich so bezeichnen ließe, bombastisch und exzentrisch. Trash ist eine Art, die Dinge darzustellen oder zu sehen, ein Hang zur Übertreibung, zum künstlerisch Ornamentalen. Trivialmytische Elemente finden sich auch in nahezu allen Filmen von David Lynch – sowie in den Werken des Romanciers A.J. Weigoni, insbesondere in seinem ‚Konzeptalbum‘ Zombies und Cyberspasz. Auch in der transformierten Form des Schlagers sind trash-Aspekte zu entdecken, etwa in der Musik und den Texten von Eva Kurowski und nicht zuletzt in Helge Schneiders DaDa-Homage.

Der Sinn des Trash liegt in der Entthronung des Ernstes. Trash ist spielerisch, anti–seriös.

In der Provokation der Trivialmythen findet sich ein Musterbeispiel für das existenzielle menschliche Bedürfnis nach Kunst. Trash ist nicht einfach ein albernes Karnevalskostüm oder Travestie, es ist vielmehr Dandytum, Attitude und Jouissance. Extravagant, wuchernd, glamourös und theatralisch, dann aber doch immer erlesen und besonders, beschreibt Trash den an der Massenkultur ausgerichteten Opulenz-Geschmack. Es ist der Wunsch nach Anderssein und der gleichzeitige Wunsch dazuzugehören, zu einer Form der Distinktion, dem Code einer bestimmten Gruppe und ihrem Geschmack und Sinn für Stil. Die hier vorgestellten Arbeiten, die Mythen des Alltags thematisieren, hatten immer eher den Charakter des Geheimtipps, waren meist das Goutieren abseitiger ästhetischer Aspekte der Massenkultur in urbanen Kleingruppen von Eingeweihten. Es gelingt den oben genannten Artisten auf diese Weise, den Gegenständen einen Mehrwert zu entlocken, die ihnen in der einfachen Anschauung nicht anzusehen ist. Es ist ein Zugriff, der das eigene Weiterdenken erlaubt, die Freude an Kapriolen und an hakenschlagenden Argumentationsgängen. Es scheint, also ob die Freude an der Erkenntnis dessen, was die Maschine des Unbewussten produzieren mag, mit einem Male umschlägt in die befremdliche Erkenntnis, dass die sogenannte Hochkultur nicht dabei hilft, aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit zu entkommen, sondern die Verstrickung in Schuld und in das Böse nur noch weiter vorantreibt. Mit dem weltweiten Netz wird die Trivialität der menschlichen Existenz offenbar, dass sich nun jeder in sozialen Medien zum Autor seiner Selbst wird und sich exibitionieren kann.

Es wird sich erweisen, ob Kunst als Feigenblatt weiterhin benötigt wird.

 

 

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Weiterführend

Das Cover des ersten Gossenheftes, 1989

Der Beginn der Dirty Speech-Bewegung in der BRD ist 1969 mit der Rolf Dieter Brinkmanns „Acid“ zu verorten. Es war eine Anthologie amerikanischer Beatliteratur, gesammelt und damit den Versuch eröffnet, auch in der deutschen Dichtung die bürgerliche Moral zu brüskieren, lyrische Formen zu banalisieren, den Alltag zum Thema zu machen und Sex, Brutalität, Perversion als Sujets zu akzeptieren. Die Gossenheftreihe des Krash-Verlags präsentiert eine Ästhetik der Nichtpriviligierten, hier zeigt die Kehrseite einer Kultur, ihr Anderes, Verleugnetes, Verbotenes, Begehrtes und was passiert, wenn sich literarischer Bodensatz und die Reflexionsmöglichkeiten von populärkulturellen Tugenden nahe kommen. KUNO hat ein Faible für Trash. Dem Begriff Trash haftet der Hauch der Verruchtheit und des Nonkonformismus an. In Musik, Kunst oder Film gilt Trash als Bewegung, die im Klandestinen stattfindet und an der nur ein exklusiver Kreis nonkonformistischer Aussenseiter partizipiert. Dieser angeschmutzte Realismus entzieht sich der Rezeption in einer öffentlichen Institution. 1989 erscheint Helge Schneiders allererste Schallplatte Seine größten Erfolge. Produziert von Helge Schneider und Tom Täger im Tonstudio/Ruhr. Mit den Novellen Cyberspasz, a real virtuality setzte A.J. Weigoni die im Band Zombies begonnenen Erforschungen der Trivialmythen fort. Lesen Sie auch den Artikel Perlen des Trash über 25 Jahre Gossenhefte.

Die erwähnten Gossenhefte sind vergriffen und werden unter Sammlern für Preise um 20,- Euro gehandelt. Die sorgsam edierten Erzählungen und Novellen von A.J. Weigoni sind in einer Werkedition erhältlich:

Cyberspasz, a real virtuality, Novellen von A. J. Weigoni, Edi­tion Das Labor, Mülheim an der Ruhr 2012.

Zombies, Erzählungen von A. J. Weigoni, Edition Das La­bor, Mülheim an der Ruhr 2010.