Widerstandsnester gegen den Sprachmüll

 

Die pathetische Ankündigung zum zum Welttag der Poesie nimmt den Mund sehr voll: Widerstandsnester gegen den Sprachmüll. Poesie, so die Versanstalter, ist Sprachkunst in konzentrierter Form. Sie schafft neue Ausdrucksmöglichkeiten und gibt uns Worte, wo die Worte fehlen. Sie dekonstruiert Sprache dort, wo sie missbraucht, banalisiert oder abgenutzt ist, und reinigt sie vom Sprachmüll. Mit einer Lesung in der Stiftung Brandenburger Tor feiern die umtriebige Literaturwerkstatt Berlin und ihre Partner heute den UNESCO-Welttag der Poesie. Mit dabei sind Gérard Haller (Frankreich), Orsolya Kalász (Deutschland / Ungarn), Remi Raji (Nigeria), Tomas Venclova (Litauen), Yang Lian (Großbritannien /  China).

Aus dem gleichen Anlass befragt lyrikline.org, die Webseite für Poesie, Dichter und Dichterinnen nach dem Ort, an dem sie schreiben, und präsentiert die Fotos und Texte auf dem lyrikline-Blog. Auskunft über ihren Ort des Schreibens geben u.a. Eirikur Örn Norddahl (Island), Yan Jun (China), Ghayat Almadhoun (Schweden), Erín Mouré (Quebec) und aus Deutschland der visuelle Poet Klaus Peter Dencker.

In Verlagen hat Lyrik einen schweren Stand, da sich mit ihr selten hohe Auflagen erzielen lassen. Durch das Internet werden Kommunikationsformen begünstigt, bei denen es auf Kürze und Bündelung ankommt. Die lyrische Verdichtung ist eine ideale Schule für die Poesie des Augenblicks, wie sie im Zeitalter der Smartphones inzwischen massenhaft praktiziert wird. Sie lehrt, wie sich in der sprachlichen Konzentration Ausdrucksmöglichkeiten erweitern. Die älteste literarische Gattung ist vermutlich die aktuellste, postuliert Dr. Roland Bernecker, Generalsekretär der Deutschen UNESCO-Kommission.

Prof. Monika Grütters (MdB), Gastgeberin der Veranstaltung zum Welttag der Poesie, betont die Bedeutung des Welttages für den Schutz der Sprachkunst:

Ähnlich wie beim Schutz des immateriellen Kulturerbes geht es auch beim UNESCO-Welttag der Poesie darum, das Bewusstsein zu schärfen für die Tradition mündlicher Überlieferung, für die Vielfalt des Kulturgutes Sprache und dafür, diese Schätze aktiv zu pflegen. Die Poesie löst dabei keine Massenbewegung aus, sie ist eher wie ein Widerstandsnest in der Flut an Sprachmüll. Sie lädt zum Hinhören und Innehalten ein, und das gilt weltweit. Was will man mehr?

Der UNESCO-Welttag der Poesie würdigt den Stellenwert der Poesie, die Vielfalt des Kulturguts Sprache und die Bedeutung mündlicher Traditionen. Er weist der Dichtkunst einen zentralen Platz im kulturellen und gesellschaftlichen Leben zu. Seitdem er im Jahr 2000 ins Leben gerufen wurde, organisiert die Literaturwerkstatt Berlin gemeinsam mit ihren Partnern die zentrale Veranstaltung zum Welttag der Poesie in Deutschland.

Die Literaturwerkstatt Berlin führt eine Kampagne zur Gründung eines Deutschen Zentrums für Poesie. Dieses Poesiezentrum wird Informations-, Arbeits-, Begegnungs- und Veranstaltungsstätte für Dichterinnen und Dichter sein, für die interessierte Öffentlichkeit aller Altersstufen, für Verleger, für Lernende und Lehrende, für Medien und Multiplikatoren aus dem In- und Ausland. Weitere Informationen unter poesiezentrum.de.

Warum die Poesie unbedingt ein Zentrum in der alten Reichshauptstadt haben muß, ist für mich für mich als Anhänger des Föderalismus nicht ersichtlich. Ich las letztens noch einmal Zen and the Art of Motorcycle Maintenance von Robert M. Pirsig. Darin hieß es sinngemäß: Wenn Du die Poesie suchst, wirst Du sie auch in der Ölablaßschraube eines Motorrads finden;-)

 

 

 

* * *

Poesie zählt für KUNO zu den identitäts- und identifikationstiftenden Elementen der Kultur

Weiterführend Poesie zählt für KUNO zu den identitäts- und identifikationstiftenden Elementen der Kultur, dies bezeugt der Versuch einer poetologischen Positionsbestimmung. Um den Widerstand gegen die gepolsterte Gegenwartslyrik ein wenig anzufachen schickte Wolfgang Schlott dieses  post-dadaistische Manifest. Warum Lyrik wieder in die Zeitungen gehört begründete Walther Stonet, diese Forderung hat nichts an Aktualität verloren. Lesen Sie auch Maximilian Zanders Essay über Lyrik und ein Rückblick auf den Lyrik-Katalog Bundesrepublik, sowie einen Essay über den Lyrikvermittler Theo Breuer. KUNO schätzt den minutiösen Selbstinszenierungsprozess des lyrischen Dichter-Ichs von Ulrich Bergmann in der Reihe Keine Bojen auf hoher See, nur Sterne … und Schwerkraft. Gedanken über das lyrische Schreiben. Lesen Sie ein Porträt über die interdisziplinäre Tätigkeit von Angelika Janz, sowie einen Essay der Fragmenttexterin. Ein Porträt von Sophie Reyer findet sich hier, ein Essay fasst das transmediale ProjektWortspielhallezusammen. Auf KUNO lesen Sie u.a. Rezensionsessays von Holger Benkel über André Schinkel, Ralph PordzikFriederike Mayröcker, Werner Weimar-Mazur, Peter Engstler, Birgitt Lieberwirth, Linda Vilhjálmsdóttir, und A.J. Weigoni. Lesenswert auch die Gratulation von Axel Kutsch durch Markus Peters zum 75. Geburtstag. Nicht zu vergessen eine Empfehlung der kristallklaren Lyrik von Ines Hagemeyer. Diese Betrachtungen versammeln sich in der Tradition von V.O. Stomps, dem Klassiker des Andersseins, dem Bottroper Literaturrocker „Biby“ Wintjes und Hadayatullah Hübsch, dem Urvater des Social-Beat, im KUNO-Online-Archiv. Wir empfehlen für Neulinge als Einstieg in das weite Feld der nonkonformistischen Literatur diesem Hinweis zu folgen.