spuren der sprache erspüren

Erfahrung, die von Mund zu Mund geht, ist die Quelle, aus der alle Erzähler geschöpft haben.

Walter Benjamin

der titel des buches, in dem der nachlaß anklingt, der für viele autoren und künstler in einer einseitig gegenwartsbezogenen und gegenüber nachlässen nachlässig gewordenen gesellschaft immer schwieriger wird, und dessen cover, eine originalgrafik des künstlers haimo hieronymus, eine knochenhand zeigt, ist natürlich ironisch. weigoni nutzt hier, wie auch in anderen büchern, einen paradoxen rheinischen humor, der mit verfremdenden, irritierenden, parodistischen und persiflierenden bezeichnungen zum nachdenken herausfordert. es gibt indes tatsächlich bücherschreiber, die literarisches leben und literatur verwechseln und die wirkungen beim publikum der literarischen qualität und tiefe vorziehen, denen das schreiben vor allem als mittel zu profanen zwecken dient und die dann häufig eher literaturgewerbe fabrizieren, und wirkliche schriftsteller. weigoni gehört zu letzteren. ihm ist zunächst der text und dessen stoff oder gegenstand und die literarische gestaltung wichtig, und die wirkung folgt daraus. schließlich weiß er, daß die dominanz von verwertungen und verwertungsabsichten zur verflachung und vergröberung führen kann. der laienleser sieht fast immer nur die wirkungen der literatur, vor allem bei sich selbst, während der literaturkenner, mit kreativen momenten und prozessen vertraut, ihr entstehen mitdenkt. und genau genommen wird literatur, die, um sich zu entfalten, gerade während ihrer entstehung unabhängig sein sollte von außerliterarischen faktoren, mißbraucht, wenn man sie von vornherein auf bloße gebrauchszwecke ausrichtet. einseitig zweckhafte kunst und literatur wurde banausisch genannt.

der autor läßt sein buch, eine sammlung essayistischer schriften über literatur, kunst, hörspiel, medienpädagogik, musik und fußball, mit dem moment beginnen, an dem er den ersten satz seines lebens schrieb: »„Heiner ist weg.‟ Mir war es völlig rätselhaft, um wen es sich bei diesem Heiner handelt und wohin er verschwunden ist. Möglicherweise liegt darin der Sinn der Poesie, zu beschwören, was abhanden gekommen ist oder was wir erforschen wollen. Der Versuch gegen das Verschwinden anzuerzählen wäre ‒ so besehen ‒ eine Art Wiederaneignung der Welt. Poesie entdeckt Daseinsformen ausserhalb der Wirklichkeit und wird damit zu einem Echo der Realität, das unsere Seele erklingen lässt.« der genannte erste satz war zwar, indem er durch die irritationen, die er auslöste, von der eigentlichen aufgabe, dem korrekten schreiben, ablenken konnte, vielleicht nicht gerade pädagogisch naheliegend. aber er ließ erahnen, daß man auch über das unbekannte und nicht sichtbare und sogar das nicht reale und nur vorgestellte sowie das verschwundene und verlorene schreiben könne. und was würde mehr zur phantasie anregen?  

ich erinnere mich an eine ähnliche, und filmisch wirkende, szene meiner kindheit, wo ich auf einer dorfstraße im ersten schulhalbjahr, denn danach verließ ich das dorf, mit meinem schulranzen auf dem rücken, wahrscheinlich aus der schule oder vom hort kommend, an einem rinderstall vorbei gehe, den ich sicher auch gerochen hab, ein schulbuch in der hand halte, mit dem wir die ersten worte und sätze lesen und schreiben lernten, darin lese und mir schlagartig bewußt wird, daß man lesen darf, ohne dafür jemanden um erlaubnis bitten zu müssen, also die autonomie von sprache und denken begriff. einsamkeit kann derart zu einem refugium gegen feindliche außenwelten werden. ein kind, das in seinen interessen nicht wahrgenommen und verstanden wird, muß wie ein schöpfergott agieren, der sich seine eigene welt allein schafft, mit der er dann spielt.

der autor schreibt zu »Vorlass«: »Ich analysiere in meinem letzten Buch, wie sich Zeit und Identität im Lesen und Wiederlesen spiegeln, Fakten die Fiktion beeinflussen, wie das Gelesene und Gesehene von den Umständen abhängt, unter denen es geschrieben wurde.« mit »Es gibt nur zwei Dinge: die Leere und das gezeichnete Ich« zitiert er gottfried benn, der sein gezeichnetsein ins dichterische werk aufnahm und seinerseits friedrich nietzsche mit der erkenntnis aufrief, daß »die Kunst die letzte metaphysische Tätigkeit innerhalb des europäischen Nihilismus« sei.

matthias hagedorn schrieb: »Unverwechselbarkeit, Persönlichkeit, eine bewegliche Freiheit des Geistes, die Liebe zur offenen Form, der überraschende Blickwinkel, die Neigung zum Vorläufigen, aber auch Pointierten, eine gewisse unternehmungslustige Heiterkeit umreißen  positiv das essayistische Temperament, wie es sich skeptisch, auch kritisch zum Systemischen, Scholastischen, Dogmatischen verhält. Philosophie als strenge Wissenschaft ist dem Essayisten ein Gelächter, eine Attitüde des Wahrheitsbesitzes, überhaupt alles Fixierte, Gebundene ist verpönt; Zweifel ist ihm die primäre Tugend intellektueller Redlichkeit, Langeweile die Sünde wider den Geist.« dies beschreibt genau meine essayistischen intentionen. der rezensionsessay ist sozusagen das regietheater der buchbesprechung.

a.j. weigoni spürt dem wesen der poesie, und der literatur insgesamt, nach. die metaphorik der lyrik kann, zumal intuitiv und durch assoziationen, bildhaft konkret benennen, was das abstrakte und theoretische denken oft bloß begrifflich oder gar nicht faßt. in »Verweisungszeichen zur Poesie« schreibt er: »Poesie befähigt nicht nur, dem Terror der Gegenwart zu entkommen, sie ist in der Lage, den Kopf als Rückzugsraum zu schützen.« und »Die Welt kommt zur Poesie. Und nicht umgekehrt.«, so sollte es sein, und stellt allerdings fest: »Poesie dient nicht der Gesellschaft, sondern nurmehr Kennern.« das schreiben von gedichten gleicht der anrufung von göttern, die nur selten antwort geben. meist muß der vorgestellte leser genügen. dies ist auch die folge einer kluft zwischen postmodern geprägten leserschaften und autoren, die wirklich modern schreiben.

wenn ich sage, ein schriftsteller oder künstler wäre modern, so meine ich unverändert, er sei seiner zeit voraus und entgegne dieser etwas, also den aufbruch ins unbekannte, unerwartete, außergewöhnliche, der auch rückgriffe auf älteres und die bewahrung von vergangenem einbeziehen kann. das nachahmen von zeitgeistmoden, das wir vielfach finden, ist gerade nicht modern. im allgemeinen sprachgebrauch meint modern heute jedoch eher zeitgeistgemäß, systemkonform und verwertbar. der abstand zwischen moderne und mode wurde seit den aufbrüchen der klassischen moderne, also innerhalb von hundert jahren, deutlich geringer. wenn die begriffe modern und mode immer mehr verschmelzen, so weist das auf stagnative tendenzen hin. oft vermodert das moderne in der mode, die stets bald veraltet. das lateinische modus = maß(stab), ziel, regel, vorschrift, art und weise, zeitmaß, takt, melodie, wovon modern und mode abgeleitet wurden, erlaubt indes beides, das eigene maß und die vorwegnahme wie das fremde maß und die nachahmung, mischformen inbegriffen.

die erwartungen, etwa bei schülern, gedichten gegenüber sind unverändert eher von der lyrik des 17. bis 19. jahrhunderts, vor allem der barocklyrik, klassik und romantik, geprägt, obwohl moderne gedichte, inhaltlich und stilistisch, erfahrungen heutiger junger menschen eigentlich viel näher sein müßten. vermutlich lassen die begriffsorientierten methoden, mit denen der literaturunterricht moderne lyrik überwiegend vermittelt, das mehrdeutige, offene, intuitive, spielerische, improvisierte und experimentelle darin nicht hinreichend sinnlich und konkret erleben und erkennen. und wahrscheinlich sind die modernen dichter des 20. jahrhunderts im bewußtsein heutiger menschen noch kaum angekommen, das heißt selbst unserer zeit weiterhin voraus. es dauert häufig jahrhunderte, ehe mehrheiten annähernd nachvollziehen können, was die literarische avantgarde entwickelt hat. wir sollten ohnehin stärker der literatur selbst vertrauen und weniger literaturtheoretikern oder gar literaturvermarktern.

wer kreativ sein will, muß konventionen und normen, die beengen, ignorieren, ja gegen sie verstoßen. die mehrheit aber orientiert sich immer an konventionellem, das ihre vorstellungen prägt. menschen haben, auch genetisch bedingt, ein bedürfnis nach dem opportunen und konformen, das stets allein einzelpersonen und minderheiten übersteigen oder unterwandern. die meisten verstehen moderne literatur nicht, da ihre erwartungshaltung harmonisierungen und verklärungen bevorzugt, gegen die fast alle dichter der klassischen moderne, von deren aufbrüchen originäre autoren bis heute profitieren, angeschrieben haben.

hugo friedrich nannte die moderne lyrik, die zwischen der mitte des 19. jahrhunderts und mitte des 20. jahrhunderts entstand, überwiegend dunkel, hermetisch, vieldeutig, entgliedernd, fragmentarisch, paradox, absurd, ambivalent und dissonant. sie bilde nicht die wirklichkeit ab, sondern forme sie um und schaffe gegenwelten. die innere logik werde gegen die äußere gesetzt. das unbekannte sprenge das bekannte auf. friedrich erkannte: »Seit RIMBAUD und MALLARMÉ ist der mögliche Adressat des Dichtens die unbestimmte Zukunft.«, und fragte: »Sind uns alle diese Dichter so weit voraus, daß noch kein gemäßer Begriff sie einholen kann und das Erkennen sich darum an jene negativen Begriffe halten muß, um einen Notbehelf zu haben?«

der surrealismus, der die gegensätze und grenzen zwischen wirklichkeiten und traumwelten aufzuheben versuchte, war einer der konsequentesten vorstöße moderner literatur und kunst. der dadaismus stieß zuvor durch seine unbequeme ursprünglichkeit und den verstoß gegen alle überkommenen normen und regeln, und zwar künstlerischer und literarischer wie gesellschaftlicher art, die tore auf für neue kunstliteraturundauftrittsformen, indem er deren hexenküche, also elfenhöhle, wurde. hugo ball schrieb: »Die Ironien hatten die Luft gereinigt.«, und das publikum so frei gemacht in kopf und seele. elias canetti meinte gar: »Alle Künstler sind die Kannibalen ihrer Ahnen.« freilich waren dadaismus und surrealismus mehr aufbruch als vollendung, eben avantgarde. heute nehmen fast nur noch eingeweihte den kulturbruch, der, insbesondere nach dem ende des ersten weltkriegs und untergang der bürgerlich feudalen kaiserreiche, mit dem beginn der moderne des 20. jahrhunderts verbunden war, in seiner anti-autoritären und anti-bürgerlichen radikalität wahr. wann gibt es wieder solche anfänge und aufbrüche?

roland barthes bemerkte: »Um bekannt zu werden, müssen die Künstler durch ein kleines mythologisches Fegefeuer hindurch: Man muß sie automatisch mit einem Objekt, einer Schule, einer Mode oder einer Epoche in Zusammenhang bringen können, deren Vorreiter, Begründer, Zeugen oder Symbole sie dann angeblich sind; mit einem Wort: Man muß sie mit geringem Aufwand einordnen, einem Oberbegriff zuordnen können wie eine Spezies ihrer Gattung.« künstler, und ebenso schriftsteller, werden so klassifiziert wie seltene käfer, die ernst jünger während der gefechtspausen in den schützengräben des ersten weltkriegs suchte, fand und in seinen uniformtaschen aufbewahrte, wo sie, wenn er gefallen wäre, womöglich seine grabbeigaben gewesen wären.

der literaturkunstundmedienanalytikerutopistundpädagoge weigoni kritisiert den bürgerlichen literaturbetrieb, den er skeptisch, also realistisch, sieht, seit jahren: »Auf die Anforderungen der modernen Medien reagiere ich als experimenteller Analytiker und analytischer Experimentierer.«, »Ein Schriftsteller sollte vollständig hinter seinem Werk verschwinden, doch dazu gehört Demut.«, die einen autoren wollen sich wichtig vorkommen, und die andern schreiben, »Was als künstlerische Vision universale Gestaltungskraft gewinnt, kann an den Forderungen des Tages leicht zerschellen.«, »Die grossen Werke sind Klopfzeichen aus den Nischen derer, die im geltenden Diskurs keine Stimme haben.«, »Die Marktpraxis zeigt, dass künstlerische Analphabeten häufig erfolgreicher sind als die Gebildeten.« franz kafka schrieb: »Selbstvergessenheit« sei »die erste Voraussetzung des Schriftstellertums.«. bei friedrich dürrenmatt sagt der literaturnobelpreisträger schwitter: »Ein Schriftsteller, den unsere heutige Gesellschaft an den Busen drückt, ist für alle Zeiten korrumpiert.« ein hauptvorwurf unter kreativen menschen ist es, daß jemand normal sei. häufig macht aber auch erfolg normal. an anderer stelle heißts bei dürrenmatt: »Ein Narr, wer sich noch einbildet, für die Zukunft zu malen, zu komponieren, zu schreiben. Die Quelle, woraus die Zukunft fließt, sich in der Gegenwart staut und in der Vergangenheit versickert, versiegt.« möglicherweise wird man später einmal sagen, die heutigen schriftsteller hätten die strukturelle entwertung der literatur mitgestaltet.

»Es gibt im deutschen Sprachraum zu Beginn des 21. Jahrhunderts keine 1000 Menschen, die Gedichte richtig lesen können, kaum 500, die imstande wären, Walter Benjamin so zu lesen, wie er eigentlich gelesen werden müsste.« »Arno Schmidt hat behauptet, er wäre mit 100 Lesern zufrieden, damit paraphrasierte er James Joyce, dem zwölf Leser reichten. Poeten sollte es genügen, wenn sie ein Du als Gegenüber haben, einen Zu-Hörer.« günter eich hatte geschrieben: »Zuversicht«: »In Saloniki / weiß ich einen, der mich liest / Und in Bad Nauheim. / Das sind schon zwei.«

weigoni nennt gründe für alldas. »Kunst wird danach beurteilt, wie viel Zahlungsbereitschaft sie organisieren kann, Literatur daran bemessen, wie viel massenmediales Echo sie so erwirken kann, dass sie sich rechnet.«, »Literatur wird immer noch als Dekoration empfunden, die man sich leistet, wenn man alles andere hat.«, »Der mentale Kapitalismus bezeichnet das knappe Gut nicht in der Information, sondern in der geleisteten Aufmerksamkeit. Wertschöpfung entsteht dadurch, dass die hypermodernen Menschen ihre Beachtung hergeben. Weil Selbstwertschätzung in so eminentem Mass von der Wertschätzung abhängt, die eingenommen wird, verschwimmen die Begriffe Egoismus und Altruismus.« die ökonomie der beachtung oder nichtbeachtung, die oftmals mit kränkungen verbunden ist, ergänzt so die ökonomie das geldes. den meisten erfolg hat, wer den opportunismus der mehrheit bedient.

künstlerische autoren sind gegenüber gebrauchsautoren, zumal in vulgärmaterialistisch verprägten oberflächenkulturen, immer in der minderheit. und der kulturbetrieb neigt dazu, nicht menschen, begabungen, künstler, dichter zu fördern, sondern etiketten. kultur will sich, stärker kollektiv ausgerichtet, innerhalb einer zeit behaupten, das heißt darin meist traditionen und bräuche bewahren, moden, trends, standarts und klischees etablieren sowie vorhandene und vorgefertigte erwartungen erfüllen, während kunst, individuellen intentionen folgend, eher bestehendes infrage stellt, alternativen zum herkömmlichen schafft und zeitlos wirkt. maurice merleau-ponty unterschied zwischen konventioneller und schöpferischer kunst: »Man kann angenehme Gegenstände fabrizieren, die das Herz erfreuen, indem man schon fertige Ideen anders zusammenstellt und schon gesehene Formen präsentiert. Diese sekundäre Malerei oder Rede ist das, was man allgemein unter Kultur versteht. Der Künstler im Sinne Balzacs oder Cézannes begnügt sich aber nicht mit der Rolle des kultivierten Tieres, er ergreift die Kultur in ihrem Anfang und begründet sie neu, er spricht, wie der erste Mensch gesprochen hat, und malt, als hätte man noch nie gemalt.«

manche kulturangestellte scheinen künstlerverbände für trachtenvereine zu halten. laienbewegungen sind in kirchen gut, weniger in den künsten. literatur verlangt für ein tiefergehendes verständnis literarische bildung, die teils erschreckend fehlt. und die weniger gebildeten hassen und verachten dann die gebildeten, von denen sie sich entwertet und bedroht fühlen. künstlerische und literarische moden ähneln indes tatsächlich kleidermoden und werden, als konventionen, denen man marktgerecht folgen soll, ganz ähnlich produziert und inszeniert. so entsteht unter anderem eine zeitgeistkonforme und kleingeistige gebrauchs-literatur, die manchmal mehr an design und marketing erinnert. auch der übermäßige drang nach einklang und geltung kann kreative und geistige potentiale ruinieren. ebenso sollten wir uns von geschmäcklerischen vorstellungen fernhalten. cremiges schokoladeneis ist keine literatur.

gute literatur sollte immer auch gegenwelt sein, und nicht bloß abbild oder nachahmung. konfektionsliteratur, also bücher von der stange, literarische serienbekleidung, dürften bald computer herstellen. dafür braucht man dann keine menschlichen autoren mehr. durch die entwicklungen der medienundkommunikationstechnologien werden die künste, die literarischen inbegriffen, wieder einmal, man denke an die anfänge von fotografie und film, die malerei und theater nicht beseitigt, sondern verändert haben, von außerliterarischen zwecken befreit und können sich, paradoxerweise, umso mehr auf ihr eigentliches, das kreative spiel, konzentrieren.

zugleich läßt sich seit längerem eine verjournalisierung der literatur beobachten. es gibt originäre grenzgänger zwischen literatur und journalismus. man denke an heinrich heine, ludwig börne, theodor fontane, karl kraus, arthur schnitzler, alfred kerr, alfred polgar oder kurt tucholsky, überwiegend polemische naturen. journalismus an sich ist aber keine literatur, selbst wenn er sprachliche qualitäten hat. und es besteht die gefahr, daß ein journalistisch geprägtes schreiben zu einer einseitig wirkungsästhetisch, handwerklich und kommerziell orientierten literatur führt. vielleicht dürfen schriftsteller, wenn sie öffentlich wirken wollen, dies gar nicht direkt anstreben, damit es gelingt. denn alles gute wirkt von allein.

der moderne mensch sieht sich derart von erscheinungen und wirkungen umgeben, daß er wesen und ursachen von verhältnissen und zuständen kaum mehr zu erkennen vermag. »Die Medien haben sich selbst an die Stelle der älteren Welt gesetzt. Auch wenn wir den Wunsch hätten, diese ältere Welt wiederzuentdecken, könnten wir das nur durch intensives Studium der Methoden erreichen, mittels derer die Medien sie verschlungen haben.« das klingt, als obs vom medienbeschleunigungsundentwirklichungsanalytikerundkritiker paul virilio wäre, ist aber vom medienvisionär marshall mcluhan, dessen empfehlung hilfreich sein kann, dem hier jedoch auch widersprochen werden muß. man findet durchaus noch zugänge zu älteren kulturschichten, etwa durch das studium der überlieferungen der völker, die nicht von medien verstellt sein müssen.

die gedanken von weigoni, der, über literatur und kunst hinaus, und damit verbunden, auch gesellschaftliche entwicklungen insgesamt im blick hat, haben oft aphoristische schärfe. »Wer auf Müllkippen nach Nahrung sucht, dem helfen keine Internetdiskurse.« wenn permanent über probleme und konflikte diskutiert wird, ohne daß sie gelöst werden, entsteht der eindruck, die diskussionen sollen die lösungen ersetzen. man hat halt, mal wieder, darüber geredet. teilweise sind kabarettundsatiresendungen inzwischen die besseren nachrichten. die aufklärung ist in die komik abgewandert. aus filmen von woody allen kannte man symbiosen aus beidem schon länger. das reflexive, skeptische, paradoxe und ironische denken seiner figuren wirkt sehr europäisch aufgeklärt, fast könnte man sagen lichtenbergisch.

»In dem Maße, in dem sich das Grauen verstärkt, verstärkt sich auch das Lachen.«, heißts bei hugo ball. weigoni konstatiert: »Im Gelächter … das eine Besonderheit der Hypermoderne zu sein scheint, die vielfach nur in komischem Gewande ernst zu sein vermag.« zuletzt wird selbst das göttliche, heilige, sakrale durch ironie, also die verweltlichung des religiösen, bewahrt. doch das gabs ebenfalls bereits im altertum, wenn man an die satiren von aristophanes bis lukian denkt. theodor w. adorno schrieb: »Nichts an theologischem Gehalt wird unverwandelt fortbestehen; ein jeglicher wird der Probe sich stellen müssen, ins Säkulare, Profane einzuwandern.« und hershom scholem, in einem widmungsgedicht zu walter benjamins »Einbahnstraße«: »In alten Zeiten führten alle Bahnen / zu Gott und seinem Namen, irgendwie. / Wir sind nicht fromm. Wir bleiben im Profanen / und wo einst Gott stand, steht: Melancholie.« »Es rauben immer dem Griechen / Phöniker und Römer den Körper.«, meinte albert ehrenstein. zu welchem ende oder anfang führt die hypermoderne?

 

 

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Vorlass, Gebrauchsprosa von A.J. Weigoni, Edition Das Labor 2019.

Cover: Original-Schablonendruck von Haimo Hieronymus

Alle Exemplare des Prosa-Werks sind handsigniert und limitiert in einem Schuber aus schwarzer Kofferhartpappe erhältlich, es ist ein Akt der Werkoffenbarung. Darin enthalten sind die Novelle Vignetten, die Erzählungen Zombies, der Novellen-Band Cyberspasz, a real virtualityDer erste Roman Abgeschlossenes Sammelgebiet und der „Heimatroman“ Lokalhelden.

Und nur in diesem Schuber enthalten sind das Hörbuch 630, sowie Weigonis Gebrauchsprosa Vorlass, in dem biographische, werkgenetische und poetologische Fragen beantwortet werden.

Künstlerbücher verstehen diese Artisten als Physiognomik, der Büchersammler wird somit zum Physiognomiker der Dingwelt. Zum Thema Künstlerbücher finden Sie hier einen Essay sowie ein Artikel von J.C. Albers. Vertiefend auch das Kollegengespräch mit Haimo Hieronymus über Material, Medium und Faszination des Werkstoffs Papier.

Die bibliophilen Kostbarkeiten sind erhältlich über die Werkstattgalerie Der Bogen, Tel. 0173 7276421