Durchkomponiert und Durchrhythmisiert

 

Die Vignetten von A.J. Weigoni sind schmal, verdichtet, streng durchkomponiert und durchrhythmisiert. Ein Subtext der Sehnsucht und der Katastrophen zieht sich durch die Novelle, wir lesen eine Sprache an der Schwelle zwischen Unsagbarem und Sagbarem. Es geht bei der Bewußtseinsnovelle Vignetten um den Tod, wer sich damit nicht auseinandersetzen will, sollte nicht weiterlesen.

Dead ist not the End

Nick Cave

„Das seltsame Verhältnisspiel der Dinge“, von dem Novalis  spricht, ist auch diesem Poeten nicht unbekannt. Wer seine Arbeiten kennt, ist mit seiner sinnlichen, den Gegenstand umkreisenden, doch bestimmt zupackenden Sprache vertraut. Ihm gelingt mit den Vignetten die Reanimierung einer Literaturgattung, die sich an der Wahrnehmungsschwelle bewegt, diese Novelle handelt von etwas schwer Greifbarem, etwas Vagem und Unbestimmtem. In ihr ist eine ungewisse Sehnsucht zu spüren, die weiss, dass das, woran sie sich heftet, nicht existiert. Die Vignetten sind an der Oberfläche auf traurige Weise heiter und im Kern melancholisch, sie ist sorgfältig komponiert und weist an den richtigen Stellen Leerstellen auf. Immer wieder geht es um Tod, Verwirrung, und das unbeabsichtigte Sich-selbst-Belügen. Dennoch lässt die Novelle den Leser nicht ratlos zurück, sondern stimmt eher nachdenklich. So zufällig die Begegnung zwischen den Hauptfiguren auch erscheinen mag, so gründet sie doch in der allzu menschlichen Wahrnehmung, in der Verunsicherung darüber, was wahr ist oder eben nicht. Was hier mit Leichtigkeit und Raffinesse erzählt wird, ist ungewöhnlich und tiefgründig, es ist eine Novelle, die die Tiefe des Menschlichen auszulotet. Deutschlehrer verweisen gern auf Jeremias Gotthelfs Schwarze Spinne, eine klassische Novelle die trotz ihrer christlichen Moral eine Horrorstory ist, die es sogar mit einem Monster aufnehmen kann.

In den Vignetten findet sich eine syntaktisch und lexikalisch gleichermaßen kunstvolle Sprache – verschachtelte Nebensätze, eine Mischung aus Neologismen und Archaismen und metaphorische Phantasie. Weigoni wählt eine gebrochene Perspektive, um dem Leser das Leben der Hauptfiguren Nataly und Max in ihrer Fremdheit nahe zu bringen, aber er handhabt sie so virtuos, dass man ihr Raffinement gar nicht bemerkt. Diese Poesie liefert Beispiele für Weltzusammenhänge zwischen Rhein und Nil, sie kann die Fülle der real vorhandenen Dinge aber auch übertreffen. Die offene Struktur seiner Poesie weist darauf hin, daß die Dinge dazu neigen, sich irgendwann aufzulösen. Der Tod ist ebenso sein Thema wie das Leben.

 

 

***

Vignetten, Novelle von A.J. Weigoni, Edition Das Labor, Mülheim 2009 – Limitierte und handsignierte Ausgabe als Hardcover.

Ein Hörprobe findet sich hier. –  Die Aufnahme ist in HiFi-Stereo-Qualität erhältlich über: info@tonstudio-an-der-ruhr.de

Covermotiv: Peter Meilchen

Weiterführend →

Constanze Schmidt zur Novelle und zum Label. Ein Nachwort von Enrik Lauer. KUNO übernimmt einen Artikel der Lyrikwelt und aus dem Poetenladen. Betty Davis konstatiert ein fein gesponnenes Psychogramm. Über die Reanimierung der Gattung Novelle und die Weiterentwicklung zum Buch / Katalog-Projekt 630 finden Sie hier einen Essay. Einen weiteren Essay zur Ausstellung 50 Jahre Krumscheid / Meilchen lesen Sie hier. Mit einer Laudatio wurde der Hungertuch-Preisträger Tom Täger und seine Arbeit im Tonstudio an der Ruhr gewürdigt. Eine Würdigung des Lebenswerks von Peter Meilchen findet sich hier.