10 Years after

Zahlreiche Aspekte von Devotos Persönlichkeit und Vermächtnis wurden durchgehend während dieses Albums zum Ausdruck gebracht, wurden übertragen und gesprengt während der gesamten Karrieren von Momus (der rastlose, kompromisslose Intellektuelle), Thom Yorke (der nachdenkliche Außenseiter) und möglicherweise sogar Luke Haines (der auf nonchalante Weise saure Grießgram)

Andy Kellmann

Wann hört Punk auf? Wann beginnt Post-Punk? Ist das bereits New Wave? – Eine Rückblende: Nur wenige Wochen nach der Gründung von Magazine im Sommer 1977 schloss die Band einen Plattenvertrag mit Virgin Records ab. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Band bereits Demoaufnahmen der Lieder Shot by Both Sides, The Light Pours out of Me und Suddenly we are Eating Sandwiches eingespielt. Devoto komponierte und textete um ein Gitarrenriff von Pete Shelley das Lied Shot By Both Sides. Auch an der Komposition von The Light Pours out of Me war Pete Shelley neben Devoto und McGeoch beteiligt. Suddenly we are Eating Sandwiches wurde jedoch aufgegeben und einige Elemente daraus später für My Mind Ain’t so Open (auf der B-Seite der Single Shot by Both Sides) verwendet. Motorcade entstand als Zusammenarbeit zwischen Devoto und Keyboarder Bob Dickinson.

Ihren ersten Auftritt in der Öffentlichkeit hatte die Band am 2. Oktober 1977 am Abschlussabend des Electric Circus in Manchester mit dem Set Shot By Both Sides, The Light Pours out of Me und I Love you, you big Dummy (im Original von Captain Beefheart). Musikjournalist Jon Savage befand sich im Publikum und wurde Aufmerksam. Motorcade wurde in Tony Wilsons Fernsehsendung So it Goes bei Granada-TV ausgestrahlt und erregte weitere Aufmerksamkeit der britischen Musikpresse. Paul Morley lud Devoto Ende Oktober zum Interview für den NME ein.

Keyboarder Bob Dickinson verließ die Band, die nunmehr als Quartett mit Produzent Mike Glossop das Lied Shot By Both Sides aufnahmen, welches Mitte Januar 1978, genau ein Jahr nach der Veröffentlichung von Spiral Scratch der Buzzcocks, als Single veröffentlicht wurde. Die Single verpasste knapp den Sprung in die britischen UK Top 40.

Im Februar stieß Dave Formula als Keyboarder zur Band und gemeinsam wurde die zweite Single Touch and Go, eine Komposition von Devoto und McGeoch, eingespielt. Als B-Seite wurde Goldfinger von John Barry verwendet. Magazine absolvierten eine nationale Tournee in Großbritannien. Nach der Tournee gewann man John Leckie als Produzent für ein Album. Die Aufnahmen im März und April 1978, nur sechs Monate nach der Gründung der Band, fanden überwiegend in den Abbey Road Studios in London statt.

Real Life verbreitet als auf CD eine düstere Eiszeit-Atmosphäre mit der herausragenden Keyboardarbeit von Dave Formula und dem verzerrten Gesang von Howard Devoto. Es beibt ein Album für die grüblerischen Nachtschwärmer, die keine Lust haben, etwas aus ihrem Leben zu machen, und dennoch ein bisschen Zynismus brauchen, um ihr Leben zu meistern.

 

 

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Real Life, Magazine, CD 2007 – Auf dieser remasterten Ausgabe sind zusätzlich die beiden Singles mit ihren B-Seiten enthalten, darunter eine diabolische Version von Goldfinger, dem wahrscheinlich besten Bond-Song, ever!

Als Schallplattencover wurde eine Collage der britischen Künstlerin Linder Sterling verwendet.

Weiterführend → 

Meine erste Schallplatte: „Heart of glass“ von Blondie, vorgestellt von Martina Haimerl. Life circles at 33rpm!, postulierte Mischa Kuball. Wer sich hinter „Mister B“ verbirgt, beschreibt Christine Kappe. Ergänzen ein Artikel zum Kassettenuntergrund. »Don Juan« von Dave Dee, Dozy, Beaky, Mick and Tich, vorgestellt von Joachim Feldmann. Eine Reise ins Glück von den Lilians, vorgestellt von Ju Sophie Kerschbaumer. „This charming man“ von den Smiths vorgestellt von Haimo Hieronymus. Dschäääzz!!!, gehört von Eva Kurowski. Helge Schneider ist wahrscheinlich der bislang einzige Solo-Künstler, der gleich mit seiner ersten Platte den Titel Seine größten Erfolge gab. Begleitet wurde er bei den Aufnahmen durch Tonmeister Tom Täger im Tonstudio an der Ruhr. Meine ersten drei Platten, vorgestellt von Marcus Baltzer. Meine Musik, vorgestellt von Ulrich Bergmann. Eine Erinnerung an Mensch-Maschinen-Musik, das Gesamtkunstwerk Kraftwerk. Seit 1991 die Lieblingsband der Readktion: Mona Lisa Overdrive. In ihrem preisgekrönten Essay Referenzuniversum geht sie der Frage nach, wie das Schreiben durch das schreibende Analysieren gebrochen wird. Vertiefend zur Lektüre empfohlen, das Kollegengespräch :2= Verweisungszeichen zur Twitteratur von Sophie Reyer und A.J. Weigoni zum Projekt Wortspielhalle. Mit etwas Verspätung erschien Pia Lunds zweites Solo-Album Gift. Smile war für A.J. Weigoni ein Versprechen. Eine Generation später wurde es eingelöst. Selbstverständlich auf Vinyl. Und in Mono. Eine Wiederveröffentlichung der Neu!-Studioalben ist auf dem Label Grönland erschienen. in 1999 ging KUNO der Frage Label oder available? nach. Einen Remix zu basteln ist in der Popmusik gang und gebe. Stephan Flommersfeld hat das Selbe mit der “Letternmusik” gemacht. „Wenn es Videoclips gibt, muss auch die Literatur auf die veränderten medialen Verhältnisse reagieren.“, postulierte A.J. Weigoni 1991 und erfand mit Frank Michaelis das Hörbuch. Erweiternd zum Medium der Compact Disc auch der Essay Press/Play.