Meine erste Schallplatte: „Heart of glass“ von Blondie

Blondie – für knapp Elfjährige in einer bayrischen Kleinstadt war Blondie 1979 nicht unbedingt ein must-have. Jedoch für mich als gefühlte Trendsetterin und zukünftige Rebellin mit engen Verwandten zudem noch aus München, was für uns damals New York gleichkam, wenngleich es nur 240 km weit weg war.  Keine Ferien vergingen, wo ich nicht dort war und kleidungstechnisch die ersten „Nobel-Punk-Klamotten“ trug. Tja so was gab es wohl auch nur in München.

Eigentlich war es nur die Single-Auskopplung 1979. In dieser Zeit entwickelte sich nicht nur die Musik in synthetisch-quietschigere Klangwellen, Farben drückten das allgemeine Lebensgefühl einer experimentierfreudigeren Zeit aus. Populärmusikalisch befand man sich inmitten der Disco-Zeiten (man denke an Boney M., Marvin Gaye, Temptations usw) und Nach-Beatles-Ära. Gleichnamige Sendung Disco im ARD-Programm war neben der ZDF-Hitparade das Highlight der Woche und Ilja Richter bleibt kleidungstechnisch und dank seiner sprachlichen Ausdrucksvielfalt unvergessen, nicht minder Dieter Thomas Heck. Die andere bescheiden anmutende Alternative war mein Transistorradio, dessen Klang grauenhaft war, aber an Pop nach 8 auf Bayern 3 konnte nicht vorbeigehört werden, wollte man auf dem Laufenden sein und nichts ließ man dazwischenkommen, das waren feste Termine mit vollster Konzentration.. Es gab noch eine weitere für mich schlechteste Alternative, Hausmusik bei Eltern am Küchentisch. Aber in diesem Alter ist man erfindungsreich, was Ausreden anbelangt.

So kam es, dass ich im zarten Alter von zehn Jahren einen knall-orangefarbenen Plattenspieler voller Stolz mein Eigen nennen durfte, natürlich vom Taschengeld gekauft. Wofür sonst konnte man damals auch in einer bayrischen Kleinstadt schon Taschengeld ausgeben. Außer natürlich für eher unregelmäßige Bravo-Scherenschnitte und meine ungezählten gelben Reclam-Heftchen. Die Beschaffung musste ich allerdings einem meiner älteren Brüder überlassen, da war ich zu jung dafür und logistisch war das nicht so einfach wie heute mit Taxi Mama. Man musste zur nächst größeren Stadt mit dem Bummelzug fahren. Amazon und Internet hätte man damals für ausländische Gerichte halten dürfen. Die Freude, die dieser Plattenspieler auslöste, verdrängte das Drama, welches ich der Farbe orange zuschrieb. In der dritten Klasse bekam ich Hausschuhe in ja, man darf es ahnen DIESER Farbe. So oft es ging verweigerte ich mich ihnen mit entsprechender Wahrnehmung seitens der Lehrer. Ich musste sie, egal, wo ich sie versteckte, suchen gehen und anziehen. Nun was bestimmte Moden aus dieser Zeit anbelangt, dürften einige schmunzelnd von ähnlich prägenden Erfahrungen nicht unbedingt profitiert haben, diese leben aber in friedlicher Co-Existenz irgendwo im Grab der weniger schönen Erinnerungen weiter.

Es gab im Freundeskreis einige Mädchen, die noch mit Barbies spielten, welche dann in meinem Zimmer auf Blondi gestylt wurden. Nun ja, eine kleinbürgerlich brave deutsche Kindheit eben. Da mir meine Brüder altersmäßig ein paar Jahre voraus waren und Heart of glass rauf und runter seinen Reiz verlor, lieh ich mir etliches aus ihren Sammlungen von Tangerine Dream, Manfred Manns Earth Band bis Pink Floyd, Roxy Musik und mit speziellen Erinnerungen T-Rex aus. Freunde meiner Brüder wohnten in München und wir durften dort immer Videos auf MTV sehen, bevorzugt T-Rex. Diese Freunde kifften, was für mich den Ausbund an Unmöglichem darstellte oder gar einen Kulturschock auslöste, nichtsdestotrotz war es cool, damit anzugeben. Da meine Brüder High-End-Anlagen besaßen und (heimlich) sonntägliche Nachmittags-Teenie-Discobesuche natürlich per Anhalter auf ländlichem Gebiet unbedingt sein mussten, genügte der orangefarbene Plattenspieler meinen Höransprüchen nicht mehr. Gemeinsame und wunderschöne Hörerlebnisse mit meinem Lieblingsbruder in seinem Zimmer folgten, und nach ein paar Jahren erbte ich seine Anlage! Was ein Glück, denn unser Musikgeschmack divergierte erheblich. Durch die vielen Münchenbesuche wurde es relativ einfach, ungewöhnlichere Platten zu erwerben. Auf dem Land wäre nur Gängiges oder mainstream zu erwerben gewesen.

Die no-future-Zeit und -Generation waren ein typischer Ausdruck der frühen 80iger und ich mittendrin mit sämtlichen Ausdrucksmöglichkeiten, die man sich eher kreativ erarbeitete, als einfach nur kaufen konnte. Das Establishment in Frage stellend folgten in logischer Konsequenz Punkrock und New Wave, beides lange Zeit nach der Pubertät noch meine musikalische Heimat und auch heute bevorzuge ich neben klassischer Musik elektronische Beats. Die Wurzeln wurden wohl zu dieser Zeit gelegt.

 

 

Weiterführend → 

Meine erste Schallplatte: „Heart of glass“ von Blondie, vorgestellt von Martina Haimerl. Life circles at 33rpm!, postulierte Mischa Kuball. Wer sich hinter „Mister B“ verbirgt, beschreibt Christine Kappe. Ergänzen ein Artikel zum Kassettenuntergrund. »Don Juan« von Dave Dee, Dozy, Beaky, Mick and Tich, vorgestellt von Joachim Feldmann. Eine Reise ins Glück von den Lilians, vorgestellt von Ju Sophie Kerschbaumer. „This charming man“ von den Smiths vorgestellt von Haimo Hieronymus. The Fall – Big New Prince vorgestellt von Enno Stahl. Dschäääzz!!!, gehört von Eva Kurowski. Helge Schneider ist wahrscheinlich der bislang einzige Solo-Künstler, der gleich mit seiner ersten Platte den Titel Seine größten Erfolge gab. Begleitet wurde er bei den Aufnahmen durch Tonmeister Tom Täger im Tonstudio an der Ruhr. Meine ersten drei Platten, vorgestellt von Marcus Baltzer. Meine Musik, vorgestellt von Ulrich Bergmann. Mit etwas Verspätung erschien Pia Lunds zweites Solo-Album Gift. Smile war für A.J. Weigoni ein Versprechen. Eine Generation später wurde es eingelöst. Selbstverständlich auf Vinyl. Und in Mono. Eine Wiederveröffentlichung der Neu!-Studioalben ist auf dem Label Grönland erschienen. in 1999 ging KUNO der Frage Label oder available? nach. Einen Remix zu basteln ist in der Popmusik gang und gebe. Stephan Flommersfeld hat das Selbe mit der “Letternmusik” gemacht. „Wenn es Videoclips gibt, muss auch die Literatur auf die veränderten medialen Verhältnisse reagieren.“, postulierte A.J. Weigoni 1991 und erfand mit Frank Michaelis das Hörbuch. Erweiternd zum Medium der Compact Disc auch der Essay Press/Play.