Das beste Buch des Jahres ’81 ist eine Schallplatte: ›Monarchie und Alltag‹ von Fehlfarben.
Peter Glaser
Zur Einstimmung in den Artikel sei als Begleitmusik die erste Single der Fehlfarben empfohlen: Abenteuer und Freiheit (das Saxophon von Frank Fenstermacher kann sich durchaus mit dem von X-Ray-Spex messen). Deutscher Ska oder das, was die Musiker der Düsseldorfer Band dafür hielten. Indem die Fehlfarben versuchten SKA oder später britischen Punk nachzuahmen, und daran scheiterten, erfanden sie eine lässige Variante der Neuen Deutschen Welle. Der Legende nach entstand die Bandidee und der Name Fehlfarben während eines Englandurlaubs; also Gott sein Dank doch in England. Die Band wurde vom Skafieber gepackt, was sich in der ersten Single Abenteuer & Freiheit bemerkbar machte. Die Gruppe gab den Skasound aber schon bald auf, und mit dem Abschluss eines Plattenvertrags bei dem der EMI lösten sich die Fehlfarben aus dem Status einer Undergroundband.
Es ist zu spät für die alten Bewegungen
Was heute zählt ist Sauberkeit
Ihr kommt nicht mit bei unsren Änderungen
Für uns seid ihr noch nicht reif
Vor zehn Jahren erschien das Debütalbum Monarchie und Alltag, das in der damaligen deutschsprachigen Rockszene einen immensen Stellenwert erreichte. Am Anfang gab es noch eine große Diskussion, ob eine solche Band überhaupt bei einer großen Plattenfirma unterschreiben sollte. Es fing gerade erst mit den Independents an, die Fehlfarben unterschrieben bei EMI gegangen. Das war in der Szene sehr umstritten, es wurde der Combo vorgeworfen, dass sie sich an die große Industrie verkauft hätten. Sie haben ihre Seele nicht verkauft, sie konnten sich einfach nur ein besseres Studio zum Aufnehmen leisten. Viele Stücke des Albums waren noch klar punklastig, dabei druckvoller als die Lieder aus der Mittagspause-Zeit.
Es liegt ein Grauschleier über der Stadt
den meine Mutter noch nicht weggewaschen hat
Mit „Monarchie Und Alltag“ versuchte die Combo den Zeitgeist der beginnenden 1980-er Jahre einzufangen. Das Cover zeigt das Foto eines grauen Wohnhauses unter rostfarbenem Himmel. An einer freistehenden Wand, wahrscheinlich ist das Nachbarhaus wahrscheinlich weggebombt worden, hing ein Werbeplakat: „Zehn Millionen Fernseh-Zuschauer können sich nicht irren“, stand darauf. Es zeigte ein Paar auf einem Sofa im Chic der Nachkriegszeit. Es ist eine Gegenbewegung zu Opulenz und Glanz in der Musik, eine Rückkehr zu den Wurzeln. Die einfachen Stücke werden mit unpoliertem Gesang ohne jeden Feinschliff, der den Charakter der Lieder verändern könnte, eingespielt. Fehlerlos, sicher, aber eben nicht mit sonderlich vielen Kanälen und Overdubs poliert. Peter Hein versucht gar nicht, besonders schmeichelnde Melodien zu produzieren, aber er nimmt auch die Aggression des Punk aus der Musik, die in den Endsiebzigern en vogue war. „I always like simple Rock“ lautete das Motto auf der Rückseite des Plattencovers, dort steht auch es sein von John Lennon, nach einer Bestätigung des Zitats suche ich noch.
Das sind Geschichten, in Büchern gelesen
Geschichten aus dem täglichen Sterben
Geschichten, die mir niemand glaubt
Das sind Geschichten und sie sind geklaut
Das Augenmerk liegt auf literarisch verdichteten tiefsinnigen Texten in denen Hein zwischen politischen Statements und alltäglichen Situationen wechselt. Lyrisch steht das durchaus in der Tradition von August Stramm. Auch Heins Texte fallen auf durch ihre schlichte, reduzierte Sprache. Hier wie dort wird kein Wert auf Grammatik gelegt; Substantive, substantivierte Verben und Neologismen bilden den Hauptbestandteil. Analog zu Zeit des Expressionismus ist Heins Stil überraschend und neu. Durch seine Knappheit, Härte und die weit vorangetriebenen Sprachexperimente hoben sich Stramms Gedichte 70 Jahre zuvor deutlich von denen anderer, früher Expressionisten wie beispielsweise Georg Heym und Theodor Däubler ab. Während letztere meist noch deutlich von der Neuromantik und dem Symbolismus beeinflusst sind, reißen Stramms Sprachmontagen den Horizont in die Moderne auf. Die zerhackten Rhythmen, die Satz- und Wortfetzen machen Stramms Gedichte zudem zu den überzeugendsten lyrischen Zeugnissen des Weltkriegs, umso mehr, da es kaum einem anderen Autor gelungen ist, das Grauen dieses ersten Maschinenkriegs in einer dieser ganz neuen Erfahrung angemessenen Form zu verarbeiten. Zu späteren Stramm-Anhängern gehören u. a. auch Thomas Kling, der den Zyklus Ratinger Hof 1&2 schrieb. Gleich zu Beginn des Albums findet der Hörer die Songs Hier und Jetzt und Grauschleier oder Das sind Geschichten, welche die geschredderten Rhythmen, die Satz- und Wortfetzen von Stramms Gedichten ins den Zeitgeist der 1970-er Jahre übersetzen.
Roland, Wiesel, Marder, Phantom
Albatross, Wiking, Tornado
Aus den Waffenschmieden der Nation
Tag und Nacht in steter Produktion
Einkaufsbummel im Erdnussland
Was übrig bleibt, wird Entwicklungshilfe genannt
Die Musik der Fehlfarben besitzt einen Groove, sie praktizieren ihn kantig, schroff, unterkühlt, mit einem zackigen Rhythmussegment, passend etwa zu ‚Apokalypse‘, einem schnellen Song, der mit der Rüstungsindustrie abrechnet. Wie auch die anderen Songtexte hören wir pointierte Beschreibungen der BRD-Gegenwart, komplex und doch auf den Punkt gebracht. Dieser Song widerlegt zudem Rolf Dieter Brinkmanns Behauptung, auf Deutsch könne man nur denken, nicht singen. Auch wenn Peter Hein nicht besser singen kann, als etwa Rio Reiser, so ist er damit wesentlich ausdrucksstärker, als viele NDW-Kollegen; um es deutlich zu sagen, alles andere von denne war Schlager.
‚Paul ist tot‘ stellt poetisch den Höhepunkt des Albums dar. Dank des Pytolator kann es sogar den Vergleich mit Joy Division aushalten.
Wo zuvor musikalischer Dilettantismus bewusst gepflegt wurde, erscheinen die Fehlfarben so brillant und pointiert wie politischer Rock um 1980 nicht besser zelebriert wurde. Neuartige Musik, neuartige Texte, der Versuch einer ganz neuen Bildsprache. Natürlich mit einem schrammeligen Gitarrensolo jenseits aller Hitambitionen, aber das hat den Untergrund noch nie gestört. Paul ist übrigens der Flipperautomat des „Ratinger Hofs“, welcher der Legende nach eines Tages aus dem Laden verschwunden war.
Kebabträume in der Mauerstadt
Türk-Kültür hinter Stacheldraht
Neu-Izmir in der DDR
Atatürk der neue Herr
In den Texten geht es um Assoziationen und Paradoxien, die eine bestimmte Atmosphäre erzeugen. So auch in Militürk, das von Gabi Delgado-Lopez geschrieben wurde, der später mit DAF, Erfolg haben sollte. Das Stück behandelt soziale Probleme eingewanderter Gastarbeiter und innertürkische Konflikte, die auch unter den Türken in Deutschland ausgetragen wurden. Schade für die Rechtsausleger der Republik, ließe sich doch mit „Wir sind die Türken von morgen“ so schön hausieren gehen, wäre es nicht im Zusammenhang falsch und obendrein von einer über jeden Zweifel erhabenen Band aus der Düsseldorfer Szene entnommen. Parallel dazu erschien in Hamburg die Computerstaat-EP ebenso wie bei der Amok Koma-LP. Frank Z., Sänger der Punkband Abwärts, berichtete aus Deutschland „Katastrophenstaat“. Auch seine Texte haben Vehemenz, erschöpfen sich jedoch schnell im Sloganising: „Stalingrad, Stalingrad, Deutschland Katastrophen-Staat! / Wir leben im ‚Computerstaat’“. Auch eine andere Parallele ist interessant. Während „Monarchie Und Alltag“ in einem professionellen Tonstudio produziert wurde, wurde Amok Koma bei „ZickZack Schallplatten“ produziert; einwandfrei Independent, mit Abstand machen sich die Produktionsbedingungen jedoch nachteilig bemerkbar.
Graue B-Film-Helden regieren bald die Welt, es geht voran!
Als Zufallshit entpuppte sich der vom Funk beeinflusste Song Ein Jahr (Es geht voran). Das atypische, von einem adaptierten Chic-Riff angetriebene Lied wird eine Hymne der Öko-Calvinisten und der Hausbesetzer. Peter Hein selbst sprach sich gegen die Vereinnahmung als Nachfolger der Scherben aus, wohl deshalb, weil die Haltung der Fehlfarben zwar Teil sozialkritisch war, die Intention in Ein Jahr (Es geht voran) aber eine andere war. Vielmehr knüpft der Song an die Endzeitstimmung der späten 1970er Jahre an, die u. a. von kaltem Krieg, Terrorismus und Rezession geprägt waren, und überträgt sie in den Punk. Was man hier textlich anmerken muss, dieser Song gehört wegen seiner Parolenhaftigkeit mit Militürk eher zu den schwächeren Texten. Ketzerisch lässt sich anmerken, dass das zeitgleich entstandene California ueber alles besser zur NDW passt.
Die Coca-Cola-Sonne scheint aufs Neue auf den Glanz unserer Republik.
„Monarchie Und Alltag“ ist aber nicht nur ein Dokument seiner Zeit, sondern der wegweisendste Tonträger der deutschen Rockmusik seit „Keine Macht für Niemand„. Die Sorglosigkeit, die das Auftreten der Fehlfarben begleitete, verlieh ihnen einen doppelten Boden. Es steigerte sie zu einer Coolness, die etwas Unheimliches annehmen konnte. Mit diesem Album haben die Fehlfarben der Neuen Deutschen Welle ein durch eine Neonröhre aus dem Ratinger Hof bestrahltes Denkmal gesetzt und aufgezeigt wie reichhaltig das Limit einer kulturellen Zugehörigkeit sein kann. Für Hein war Punk, eben nicht Punk zu sein. Die Lederjacken-Kluft war für ihn nach einem halben Jahr vorbei, danach trug er Anzüge. Wenn sich etwas durchsetzte, wollten er gleich etwas anderes machen. Für ihn war Schluss, als plötzlich die Leute wegen der Punkszene oder der „Neuen Wilden“ auf die Ratingerstraße kamen. Als die Punktouristen kamen, war für ihn die interessante Zeit vorbei.
Live is Xeroy,
you are just a copy
Kurz nach Veröffentlichung des Debüts trat Peter Hein 1991 aus der Band aus, er nannte als Grund, dass er bei seinem Arbeitgeber (der gelernte Bürokaufmann Hein arbeitete in der EDV-Abteilung des Drucker- und Computerherstellers Rank Xerox in Düsseldorf) für eine Fehlfarben-Tournee drei Wochen Urlaub genommen habe, die Tournee aber kurzfristig auf 5 Wochen verlängert wurde. Musik betreibt es als amateur d‘ art mit der Combo „Family Five“ weiter, aber das ist eine andere Geschichte.
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Monarchie und Alltag, Fehlfarben, 1981
Weiterführend → Früher als Peter Glaser hat kaum jemand die Bedeutung von Peter Hein erkannt. Lesen Sie auch seinen Essay Attrappe einer Kulturgeschichte von neulich. Zu Monarchie und Alltag gibt es einen Bericht zur Lage der Detonation. Zu Ran! Ran! Ran! – THE BEST OF FAMILY*5 / VOL. I, zusammengestellt von Xao Seffcheque.
→ Im typischen Gestus junger Dichter hasste Arthur Rimbaud die kleinbürgerliche Enge seiner Vaterstadt, was z. B. in dem satirischen Gedicht À la musique (An die Musik) zum Ausdruck kommt, er ist der erste Rockstar der Poesie. Dichter wie der Dub-Poet Linton Kwesi Johnson, der Punk-Poet John Cooper Clarke, der Lo-Fi-Poet Dan Treacy, der Spät-Expressionist Peter Hein, der Lizard-King Jim Morrison und die Grandma des Punk Patti Smith nutzten Musik als Transportmittel für ihre Lyrics. Und eigentlich könnte auch: „Dylan gut ohne den Nobelpreis für Literatur weiterleben und -arbeiten. Er ist auch kein genuiner Kandidat, insofern er halt kein ‚richtiger‘ Schriftsteller ist, sondern ein Singer-Songwriter.“ (Heinrich Detering). Es gibt im Leben sowie in der Kunst unterschiedliche Formen von Erfolg. Zum einen gibt es die Auszeichnung durch Preise und Stipendien, zum anderen die Anerkennung durch die Kolleginnen und Kollegen.