California ueber alles

 

Ausgerechnet aus dem Sunshine-State Kalifornien kommt eine Band, die mit ihrem Hardcore-Punk die Britischen Piraten wie Adepten aussehen lässt. Das ikonische Debüt der Dead Kennedys bietet in der remasterten Version von 2022 immer noch einige der brillantesten und kompromisslos zynischsten Songs, die das Genre je hervorgebracht hat, sein manischer, schneller Ansatz behält die ganze Zeit seinen Schwung. Es ist ein absoluter Aufruhr, der Klang wahrer Rebellion. Danach klingen Nirvana wie Kindergarten-Punk. Hardcore-Punk kann kaum besser sein als „Fresh Fruit for Rotting Vegetables“ von den Dead Kennedys.

Raus mit all der Wut, ohne Rücksicht auf Verluste!

In „Kill The Poor“ beendete DK alle sozialen Verwerfungen mit sarkastischer Radikalität, auf dass all die armen Schlucker auch wirklich niemandem mehr auf der Tasche liegen. Die lustige Einstellung von „Kill the Poor“ bereitete mit der bissigen, satirischen Interpretation von Politik und sozialen Themen die Bühne für den Rest des Albums, wobei Jello Biafra die Rolle einer aristokratischen Figur spielte, die fröhlich seine Begeisterung zum Ausdruck bringt, die gesamte Arbeiterklasse auszulöschen mit einer Neutronenbombe. Durch die Darstellung einer lächerlichen und übertriebenen Karikatur der Oberschicht gelang es dem Sänger, auf effektive Weise eine legitime soziale Kluft zwischen den Wirtschaftsklassen hervorzuheben. Das Stück entwickelt sich schnell zu einem Wirbel aus lautem, energiegeladenem Rock. Biafras Gesang ist ein unverwechselbares, zitterndes Gebrüll, es steht im Vordergrund und wird von einem Band aus rauem, grollendem, kakophonischem Klang unterstützt.

„Looking Forward to Death“ hatte nicht die Explosivität oder das hymnische Gefühl, um „Kill the Poor“ als Opener zu übertreffen, aber es ist gut geeignet, dem Album eine Art Gesamtthese zu geben oder einen Blick in die Gedankenwelt zu werfen der Verrückte, wenn man so will. Es ist schnell vorbei, erfüllt aber seinen Zweck gut. Instrumental gesehen war „Forward to Death“ auch eine ziemlich großartige frühe Demonstration der technischen Fähigkeiten dieser Version von Dead Kennedys. Während die Gitarrenparts nichts Besonderes sind, enthielt „Forward to Death“ einige der besten Drum-Fills von „Fresh Fruit for Rotting Vegetables“ und den zufriedenstellendsten Bass-Slide, der jemals aufgenommen wurde.

Kann einem der Refrain einen Punk-Songs vertraut sein?

Das Über alles von California ueber alles spielt auf die erste Strophe des Deutschlandliedes an, die mit der Zeile Deutschland, Deutschland über alles beginnt und insbesondere im III. Reich verwendet wurde. Dieser Song ist nicht von der Hamburger Band Abwärts, denen das durchaus auch zuzutrauen wäre. Der Text von Biafra prophezeit aus der Sicht des damaligen kalifornischen Gouverneurs Jerry Brown eine hippie-faschistoide Zukunft. Biafra verknüpft im Text zwei Beobachtungen: Einerseits missbilligt er den Eskapismus der esoterischen New-Age-Bewegungen, die aus dem Umfeld der Hippie-Bewegung hervorgingen und deren Anhänger er in seiner Zeit in Boulder als apathisch, fügsam und daher auch leicht lenkbar wahrnahm. Insbesondere deren Anfälligkeit für charismatische Führungspersönlichkeiten betrachtete Biafra mit Sorge. Andererseits kritisiert er den Machthunger von Brown, dem Biafra auf Grund der Brown zugeschriebenen Behauptung, die Bürger würden sich nach einem Führer auf einem weißen Pferd sehnen, zutraute, diesen Eskapismus für seine Zwecke zu manipulieren. Die Äußerung über den Führer auf einem weißen Pferd wird auch im Song aufgegriffen. 40 Jahre später kann man Jerry Brown durch Donald Trump ersetzen.

Auch in weiteren Stücken attackierten DK u. a. die religiöse Rechte und Ronald Reagan mit bitterbösem Sarkasmus. Biafra beendete alle sozialen Verwerfungen mit sarkastischer Radikalität. Dass sie auch universell war, bewies 1980 ausgerechnet eine Band aus dem eher idyllischen und wohlhabenden San Francisco, jener einstigen Hippie-Hochburg, in der sich „sun“ gefälligst auf „fun“ zu reimen hatte. Nur waren Teile der dort traditionell heimischen Gegenkultur mittlerweile nicht weniger desillusioniert als John Lydon, im verregneten UK, und die Gründe glichen sich: Hier wie dort vollzogen sich damals politische Rollbacks. Die bunten, liberalen Siebziger waren vorbei, das soziale Klima wurde merklich rauer. Zumindest für jene, die eher mit Plastik- denn Silberlöffeln zu dinieren pflegten.

Track für Track werden die Zuhörer in einem Moment mit den Surfer-Rock-Gitarrensoli von „Let’s Lynch The Landlord“ konfrontiert, dieser Song könnte als Aufforderung zu einer Straftat gewertet werden, zumal Biafra nicht ansatzweise den Eindruck erweckt, um Deeskalation bemüht zu sein. Dabei wären das abgestellte Wasser, die außer Betrieb gesetzte Heizung und die Kakerlaken „bis zum Knie“ doch eher ein Fall für den Mieterschutzbund. Und schon wird er Hörer von der nächsten intensiven Klangexplosion in „Drug Me“ überwältigt. Gleich zu Beginn entfaltet der Song eine ansteckende Energie, die den Zuhörern unbarmherzig den Garaus macht, bis es in einem orgelgetriebenen Pre-Refrain endet, der für einen Hardcore-Track überraschend gut funktioniert.

„Chemical Warfare“ ist ein Schaufenster für innovatives, grenzwertiges Theaterschreiben und Instrumentieren, mit einem blendenden Refrain und einer bizarren Walzerbrücke, die schnell ins Chaos mündet. In „When You Get Drafted“ stellte Jello erstmals die wiederkehrende Darstellung der Realität als Dystopie vor. Die Texte befassten sich mit der politisierten Anreizwirkung des Krieges in der Neuzeit.

„I Kill Children“ mag einfach sinnlos gruselig wirken, aber alles auf dieser Platte ist genauso platziert, dass es den Rest der Tracklist unterstützt, und so lächerlich das Konzept dieses Tracks auch sein mag, es leistet hervorragende Arbeit Biafra als Antihelden etablieren. Auch die Stop-and-Go-Struktur dieses Liedes hat mir schon immer gefallen. Die Wirksamkeit jeder Instrumentalpause legt den Schwerpunkt auf Biafras nachfolgende Gesangssoli, bevor es wieder zu einer weiteren explosiven halben Minute voller Kraft kommt. DK kombinieren die Energie mit einem kontroversen Thema und es ist nicht schwer zu verstehen, warum diese Single der Band zu so großer Berühmtheit verholfen hat.

„Stealing People’s Mail“ ist ein ernsthaft übersehener Moment auf dieser Platte. Textlich ist es ziemlich albern und zweitklassig, aber die bluegrassigen Gitarrenpassagen, die den Refrain betonen, und die halsbrecherischen Gesangsdarbietungen sorgen wirklich für viel Glanz und verleihen diesem Track eine wirklich schöne Schlagkraft. Die für diese Verzierungen verwendete Tastatur akzentuiert subtil die Verse, was der Produktion von „Stealing“ etwas mehr Tiefe verleiht. Wie „I Kill Children“ beschreibt auch „Funland at the Beach“ das Massaker an einer beträchtlichen Anzahl von Kindern mit großer Freude, aber durch die Konzentration auf ein bestimmtes Ereignis konnte „Funland at the Beach“ tiefer in die dunkle Komödie eintauchen die Umstände. „Holiday In Cambodia“ befasst sich mit einstigen US-Bombardements und der erst kurz zuvor beendeten Schreckensherrschaft der Roten Khmer. „Holiday“ ist mit seiner anschwellenden Dynamik und der klappernden Drumline ein Highlight. Biafra nutzte „Holiday“, um Pseudo-Solidarität und die verzerrte Art und Weise zu erkunden, wie wir beiläufig auf das Leben von Menschen unter der Unterdrückung von Diktatoren wie Pol Pot verweisen, um die Kämpfe der Menschen um uns herum zu delegitimieren, ohne tatsächlich Anstrengungen zu unternehmen, um diese Unterdrückung tatsächlich zu bekämpfen. Jede Zeile des Liedes ist so ausgearbeitet, um Biafras scharfsinnige Beobachtungen zu diesem Thema prägnant zu vermitteln. Das Songwriting auf „Fresh Fruit for Rotting Vegetables“ ist unglaublich einfallsreich. Die Songstrukturen werden im Verlauf des Albums immer dynamischer und machen Platz für einige bemerkenswerte musikalische Momente.

Das Album mit einem von Sarkasmus durchtränkten Cover von Elvis Presleys „Viva Las Vegas“ abzuschließen, ist eine Frechheit, die nicht einmal Nick Cave mit „In The Ghetto“ toppen kann. Auch 40 Jahre nach der Veröffentlichung von „Fresh Fruit for Rotting Vegetables“ sind Tyrannei und Gier immer noch weit verbreitet. No future war gestern. Die politischen und sozialen Landschaften der westlichen Welt deuten nach dem Einmarsch der Roten Armee in die Ukraine auf die Unwägbarkeiten einer Multipolaren Welt hin.

 

 

 

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Dead Kennedys, Fresh Fruit for Rotting Vegetables, 1980 (Remastering auf CD in 2022)

Das Original-Cover mit Deutscher Schrift

Weiterführend → Wir verorten auf KUNO die erste Punk-LP mit dem Bananenalbum. Oder war es doch der Garagenrock? Wann hört der Substance von Punk auf? Wann beginnt der Post-Punk? Ist das bereits New Wave? Oder stellt Polyrythmik den Höhepunkt dar? – Der Titeltrack des Albums ist der mit Abstand spektakulärste und zeitloseste Titel des Albums. Bis heute ist Blank Generation der Song, der wohl größer ist als die Band, die ihn produziert hat. Die Alben von Wire stellen in beeindruckender Weise dar, was aus Punk hätte werden können.

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