Revolution Starts At Closing Time

 

Falls es noch eines letzten Beweises gebraucht hätte, um dem Nobelpreis seine Bedeutung abzusprechen, so ist es die Verleihung an den Sänger und Songwriter Robert Allen Zimmerman. Mit der Verleihung an Herta Müller wurde die Sparte Regionalliteratur bedacht, mit der Verleihung an Swetlana Alexijewitsch der systemkritische Journalismus vergoldet und mit der Verleihung an den vermeintlichen Protestsänger der Themenpark POP abgehakt (Warum eigentlich nicht Leonard Cohen, der immerhin schon Gedichtbände veröffentlicht hat?). Es ist ein Trend, dass die Schwedische Akademie Preise an Künstler verleiht, der nicht primär als Schriftsteller gelten!

Dylan ist eine Ikone sein Einfluss auf die zeitgenössische Musik ist groß.

erklärte die Akademie.

Ikonnen sind aus Holz. Die Frage wie der Einfluß auf die zeitgenössische Literatur ist, bleibt vage, man lese einfach mal seinen 1966 veröffentlichte Roman „Tarantula“, der ganz dem Stream of Consciousness verpflichtet war, es ist ein grotesk verunglückter experimenteller Roman. Robert Allen Zimmerman benannte sich nach seinem literarischen Idol um, dem walisischen Dichter Dylan Thomas, er kann aber auch als Adept von Arthur Rimbaud und Paul Verlaine, der Beat-Poesie und Yeats, Whitman, T.S. Eliot gelesen werden, dies paßt gut in die bekiffte „Philosphie“ der Westcoast der 1960-er Jahr, wo die Jugend- und Protestbewegung kommerzialisiert wurde. Fast alles, was große Literatur auszeichnet, fehlt Robert Allen Zimmermans sprödem Zitatismus. Eine eigenständige Sicht auf die Welt ist in seinen Songs selten auszumachen, eben sowenig ein Gedanke von bedenkenswerter Tiefe. Vor allem aber mangelt es diesem Popsänger hörbar an einer eigenen Sprache. Er arbeitet mit fleißig erlesenen literarischen Zitaten, mißverstandenem französischen Symbolismus und mit Allerwelts-Floskeln. Auch dem FAZler Jürgen Kaube fällt bei der Durchsicht der bisherigen Preisträger auf, dass soziales Engagement bei den Vergabeentscheidungen oft höher zu wiegen scheint als Ästhetik. Die entsprechenden Preisträger seien entsprechend auch oft rasch wieder vergessen. Nun wird ein sogenanter Protestsänger, der Formen der Intensitätssteigerung herbeigeführt haben soll, für 15 Minuten im Literaturbetrieb berühmt.

Es gibt viele Schriftsteller, die den Nobelpreis verdient hätten und beiseitegelassen worden sind. Aber dies ist die Zivilisation des Spektakels, und sie reicht inzwischen bis zur Schwedischen Akademie.

Vargas Llosa

Man muß diesen Protestsänger mögen. Man kann seine Stimme jedoch auch als das schleifen einer rostigen Kette über grobes Schleifpapier wahrnehmen. Musikalisch klang alles ähnlich: Tonika, Subdominante, Dominante, diese bewegt sich meist im im 4/4–Takt. Spätestens 1966 hatte sich das erschöpft. Nachdem er sich der Stromgitarre zuwandete war sein letztes halbwegs gelungenes Album Blonde On Blonde. Hätte er nach seinem Rückzug aus der Öffentlichkeit, seine Karriere beendet, würde man ihn heute vielleicht ernst nehmen.

Er schreibt nun einmal keine Literatur.

Greil Marcus

Die weitaus allermeisten seiner Popsongs sind von der Tradition des Folk-Songs ebensoweit entfernt, wie vom Protest-Lied, oder einer Ballade, sie sind weder subjektive Lyrik, visionäres Gedicht und lassen auch meist auch originelle Metaphern und poetische Bilder vermissen. Die Schwedische Akademie hat glücklicherweise auch richtige Lyriker ausgezeichnet, zu nennen wären: Nelly Sachs, Pablo Neruda, Eugenio Montale, Vicente Aleixandre, Odysseas Elytis, Czeslaw Miłosz, Jaroslav Seifert, Joseph Brodsky, Octavio Paz, Derek Walcott, Seamus Heaney, Wisława Szymborska, Tomas Tranströmer. Bob Dylan reicht an keinen der Vorgenannten literarisch auch nur ansatzweise heran. Er ist eine mißlungene Parodie auf Woody Guthrie, die sich jeden einzelnen Finger für einen Song wie  This Land Is Your Land brechen lassen würde.

Dylan könnte gut ohne den Nobelpreis für Literatur weiterleben und -arbeiten. Er ist auch kein genuiner Kandidat, insofern er halt kein ‚richtiger‘ Schriftsteller ist, sondern ein Singer-Songwriter.

Heinrich Detering

Es gibt eine Gegenliste derjenigen, die den Nobelpreis nicht bekamen, obwohl sie unendlich viel poetischer, erzählkräftiger und intelligenter waren als die weitaus meisten Preisträger. Von Anton Tschechow, Marcel Proust und Paul Valéry über Arthur Schnitzler, James Joyce, Virginia Woolf, Robert Musil, und Vladimir Nabokov bis hin zu Patricia Highsmith und Jorge Luis Borges stehen auf ihr Autoren, die nichts anderem zur Stimme verhelfen wollten als der eigenen Wahrnehmungsfähigkeit, die für keine soziale Bewegung standen, die keine historischen Plädoyers hielten oder ein aufrechter Antifaschist, der sich als Mitglied der Waffen-SS entpupte.

Die Entscheidung des schwedischen Komitees ist eine selbstverliebte Rechtfertigung der Babyboomer-Generation und ihrer Gegenkultur.

Joshua Cohen

Dem bildungsbürgerlichen Glauben an die Unvergänglichkeit der Dichtung, steht der linke Anspruch gegenüber, Literatur müsse kritisches Bewußtsein schaffen oder könne die Massen mobilisieren. Die Entscheidung für den Sänger und Songwriter ist Wahlkampfhilfe für die Demokraten. Robert Allen Zimmerman den Nobelpreis zu verleihen ist literarisch besehen genauso lächerlich, wie Wolfgang Niedecken den Büchnerpreis verliehen zu wollen. KUNO fordert den Physiknobelpreis für Sybille Berg, den Medizinnobelpreis für Gottfried Benn, den Chemienobelpreis für Tom de Toys und den Friedensnobelpreis für Julie Zeh. Da Weigoni für keinen Nobelpreis in Frage kommt, hat KUNO ihn für die Rock -’n’-Roll Hall of Fame vorgeschlagen.

 

 

Weiterführend →

Die Redaktion hat eine Vorliebe für Trash. In der Reihe Gossenhefte zeigt sich, was passiert, wenn sich literarischer Bodensatz und die Reflexionsmöglichkeiten von populärkulturellen Tugenden nahe genug kommen. Der Essay Perlen des Trash stellt diese Reihe ausführlich vor. Außerdem sei Enno Stahls fulminantes Zeitdokument Deutscher Trash ebenso endrücklich empfohlen wie das Vorwort zu Trash-Piloten von Heiner Link!

Post navigation