Vom homo ludens zum homo poeticus

Das Projekt Wortspielhalle gilt als innovatives Beispiel für transmediale und experimentelle Literatur im 21. Jahrhundert. Die Autoren kombinieren hier Sprache, Klang und Performance zu einem hybriden Format, das über das traditionelle Buch hinausgeht und als Partitur für gesprochene Aufführungen konzipiert ist.

Die Wortspielhalle ist von Sophie Reyer  und A.J. Weigoni als „Sprechpartitur“ angelegt, was die Texte aus der rein stillen Lektüre in den performativen und akustischen Raum überführt. Es verbindet literarische Lyrik mit musikalischen Strukturen und vereint elementare Fragen der Kommunikation mit einem innovativen literarischen Ansatz. Durch ihre intermedialen Strategien und ihre sprachliche Komplexität hat sie das Potenzial, sowohl literarisch als auch gesellschaftlich bedeutend zu sein. Indem sie das Publikum aktiviert und zur Reflexion anregt, leistet das Werk einen wichtigen Beitrag zur zeitgenössischen Lyrik und zur Diskussion über die Rolle von Text und Sprache in der modernen Welt.

Das Autorenduo deutet den Begriff „k.u.k.“ (kaiserlich und königlich) zu „Kunst und Klang“ um und nutzt dies als Ausgangspunkt für eine ästhetische Dekonstruktion.

Sophie Reyer hat sich nicht nur als Schriftstellerin, sondern auch als Komponistin und performative Künstlerin einen Namen gemacht. Durch ihren multidisziplinären Hintergrund bringt sie eine fundierte Perspektive auf die Verbindung von Lyrik und Musik in Wortspielhalle. Diese Verbindung ermutigt zur Kritik etablierter Formate in der Literatur und regt dazu an, auch den interkulturellen Dialog zu fördern.

A.J. Weigoni ist bekannt als Sprechsteller, was bedeutet, dass er sich als Hörspielmacher auf die Kunst des Sprechens und der verbalen Kommunikation spezialisiert hat. Er beherrscht die Techniken, um die Stimme an verschiedene Kontexte anzupassen und Emotionen auszudrücken. Eine deutliche Artikulation ist wichtig, um Botschaften effektiv zu kommunizieren. Seine Fähigkeit, Emotionen in seiner Kommunikation zu integrieren, macht seine Botschaften authentisch und ansprechend.

Literaturtheoretisch versteht sich das Werk als Rückbesinnung auf das Spielerische. In einer von Zwängen geprägten Welt soll die Poesie einen Freiraum für menschliche Betätigung schaffen.

Das Werk dekonstruiert und rekonstruiert Sprache durch Wortspiele, Heterophonie (mehrstimmige, überlagerte Sprechweisen) und rhythmische Strukturen. Es entstehen Miniaturen, die ein Netz aus Relais und Schnittstellen weben – Verbindungen zwischen Gegenständen, Perspektiven, Räumen und Zeiten. Dies schafft eine „visuell-klangliche“ Tonmalerei, die Poesie und Musik neu ausbalanciert. Es verbindet literarische Traditionen mit modernen Formen wie Twitteratur oder digitaler Kollaboration. Das Werk positioniert sich als intellektuelle, verdichtete Literatur gegen Alltag und Massenkommunikation. Es fordert Aufmerksamkeit durch Gewitztheit, Verdichtung und philosophische Tiefe, während es archaische Elemente (z. B. Zirpen, Singen) mit zeitgenössischer Reflexion verknüpft.

Die literarischen Texte werden durch „Inventionen“ des Künstlers Peter Meilchen ergänzt, was den Charakter eines Gesamtkunstwerks unterstreicht. 

Die Texte in Wortspielhalle sind oft verknüpft mit Codes aus Nachrichten- und Informationskanälen sowie visuellen und akustischen Elementen. Diese vielschichtigen Bedeutungen laden den Leser zum tieferen Verständnis von Kommunikationsstrukturen und deren gesellschaftlicher Relevanz ein. Die Sprechpartitur fördert ein Bewusstsein für die Art und Weise, wie Sprache konstruiert und interpretiert wird, und stellt die Verbindung zwischen verschiedenen Medien und deren Einfluss auf die Kommunikation in Frage.

Das Multi-Media-Projekt Wortspielhalle markiert einen Beitrag zur avancierten, grenzenüberschreitenden Poesie, die Sprache nicht nur liest, sondern hört und performt. Die Arbeit zeichnet sich durch ihre innovative Form und ihren intermedialen Ansatz aus, der die Grenzen zwischen Literatur, Klangkunst und darstellendem Spiel überschreitet. Sie wird als Sprechpartitur präsentiert, was bedeutet, dass die Texte nicht nur zum Lesen, sondern auch zur Aufführung und Interpretation gedacht sind. Dies fördert eine Interaktion zwischen Text, Sprache und Performance, die das Erlebnis für das Publikum intensiviert. Die Verwendung von Tempo- und Harmoniewechseln lässt unterschiedliche Interpretationen und emotionale Reaktionen zu. Solche experimentellen Ansätze können die Wahrnehmung des Geschriebenen grundlegend verändern und eröffnen den Raum für Neues im literarischen Schaffen.

 

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Vor zehn Jahren erschien: Wortspielhalle, eine Sprechpartitur von Sophie Reyer & A.J. Weigoni, mit Inventionen von Peter Meilchen, Edition Das Labor, Mülheim 2014

Cover: Frühlingel von Peter Meilchen

Weiterführend → Die Sprechpartitur wurde mit dem lime_lab ausgezeichnet. Einen Artikel zum Konzept von Sophie Reyer und A.J. Weigoni lesen Sie hier. Vertiefend zur Lektüre empfohlen sei auch das Kollegengespräch :2= Verweisungszeichen zur Twitteratur von Reyer und Weigoni zum Projekt Wortspielhalle. Eine höherwertige Konfiguration entdeckt Constanze Schmidt in dieser Collaboration. Holger Benkel lauscht Zikaden und Hähern nach. Ein weiterer Blick beleuchtet die Inventionen von Peter Meilchen. Ein Essay fasst das transmediale Projekt Wortspielhalle zusammen. Ein Porträt von Sophie Reyer findet sich hier. Eine Würdigung des Lebenswerks von Peter Meilchen findet sich hier. Alle LiteraturClips dieses Projekts können hier abgerufen werden. Hören kann man einen Auszug aus der Wortspielhalle in der Reihe MetaPhon.