Lesophil

Im Anfang war das Wort. Und das Wort muss gedeutet, übersetzt, weitergetragen und immer wieder von Neuem in Erinnerung gerufen werden. Sprache und Welt müssen sich dabei sinnvoll aufeinander beziehen. Das Wort ward Fleisch

Johannes – Kapitel 1

Anzuzeigen ist eine Sammlung: vier Scheiben Tonträger enthalten alte und neue Werke des ungarisch-deutschen Dichters. Neben den neueren Arbeiten Schmauchspuren, An der Neige– vom Dichter selbst gelesen – und Unbehaust in der Stimme von Bibiana Heimes sind die bereits früher erschienenen Sammlungen Dichterloh (2005) und ¼ Fund (2000) in die Sammlung aufgenommen, allesamt in der bewährten Zusammenarbeit mit Tom Täger in der Edition Das Labor entstanden.

Andrascz Jaromir Weigoni präsentiert sich auf dem Cover in der Nachstellung des Dürerschen Selbstportraits – Dürers bekanntes Kürzel gibt auch demjenigen den Hinweis, der das Bild nicht vor Augen hätte – eine Verwandtschaft, die auf die ungarische Episode in der Dürerschen Familienchronik anspielen mag. Eine Art von Humor, aber auch mehr – vielleicht führt der Eindruck in die damit beabsichtigte Richtung, dass sich Weigonis Darstellung in Hemdsärmeln zu Dürers Bild verhält wie jenes zur Christus-Ikonographie: frech, sicherlich, eine Anmaßung, das war Dürers Bild auch. Und doch, in beiden tritt die Kunst einen Schritt näher – ankommen in der eigenen Zeit.

So muss ich also Zeitschriften-Lesern über Hörbücher schreiben, die älteren sparsam mit Klängen unterlegt, die neueren ohne. Die Vorgabe eines fremden Sprechens. Eines fremden Denkens, eines fremden Tempos führt dazu, dass die Worte als Sinn-Transporteure ins Hirn implantiert werden, das den fremden Wegen mehr oder weniger erstaunt, verwundert, widerwillig oder begeistert folgt. Weigoni liest zackig schnell, für das eigene Umtasten, Nachspüren, Bedenken der Wörter bleibt wenig Zeit, je kunstvoller die Formulierungen, je geschliffener die Wendungen, desto mehr gerät das eigene Hirn ins Hintertreffen, hängt den Kunststücken des Meisters nach, dessen Jojo in rasender Drehung ein Gewirr von Fäden entlanghüpft, rollt, vor- und zurückschwingt– und von dem eine seltsame Prämisse im Restbestand eigenen Denkens doch zu wissen meint, dass es nur ein einziger Faden ist.

Es ist für jeden Schreiber überraschend, wie anders Leser die Texte aufnehmen, der polierte Sprachraum des Gedichts steht dem Dichter nach oft langen Zeiten des Anordnens voll mit Assoziationsgebilden, die sich gleichsam materialisiert haben, das Gedicht ist ihm ein bewohntes Zimmer, ausstaffiert mit Lebensspuren und Erinnerungen, das für den fremden Leser im ersten Aufnehmen nur einen verstreuten Haufen an Wort-Bruchstücken darstellt, Nippes womöglich, ein Raum, den er mit seinen zufälligen Assoziationsräumen füllt, mit dem, was ihm kürzlich ans Herz ging, den Nachrichten oder wenn ihm die Schoko-Creme-Werbung sauer aufstieß: Er liest und findet diese Dinge im Text wieder, angedeutet, referenziert, neu verbosselt.

Nur hat der Leser das Korrektiv des Textes, dort wird viel Leser-Willkür von der real existierenden Textgestalt wegzentrifugiert, die Chancen steigen, dass der Assoziationsraum des Lesers in enge Berührung gerät mit dem Zimmer des Gedichts und Kommunikation mit dem Text und seinem darin angelegten Kontext gelingt.

Ach, wie anders ist das dem Hörer. Dort rufen die Wörter Bilder, Stimmungen auf, verschwinden im Ton, in der Sprechweise, in den dominanten Wortformen. Man öffnet die Tür zum Kopf in beiden Fällen, aber während das Buch wie ein zivilisierter, wohlerzogener Besuch auf dem Sofa aufs verbindlichste spricht, so ist das Hörbuch ein frecher Gast, öffnet die Küchenschubladen, rumort in den Schränken. Eine fremde Bewegung im eigenen Hirn, jemand schiebt dort, klopft in Blitzesschnelle ein paar Eier in die Pfanne, reißt Tüten mit Gewürzen auf, kocht und springt nach eigenen Regeln umher, als wäre er zuhaus.

Weigoni liest artikuliert, schnell, sehr verständlich, das Tempo ist sicherlich mit Bedacht gewählt, eine reiche Hochsprache schöpft aus dem Vollen, Anleihen bei Fachsprachen aus Philosophie, Germanistik ergießen sich über den Leser, prasseln, wie es elaborierte essayistische Texte gerne tun, mit der wenig verdeckten Arroganz des Wissens auf den Leser ein, Salven einer nicht sehr naturnahen Intellektualität. Das Stakkato ist verständlich, es ist begeisternd, wenn es gelingt, ihm nachzugeben: die Kritik des Allzuverständlichen, Gesänge über die Stürme der versunkenen Leiden, die sich nicht gegen die Oberflächen der Unterhaltung durchsetzen konnten.

„Wahrheit gibt es nurmehr als Totalität des Geredes.“ Wer mag dem widersprechen? Ein kleines, hässliches Kratzen der Nägel am Tatort des Verstands, der zum Verwalter der mit Begriffen zugestellten Leerheit geworden ist. So stellt sich schnell eine Simplifizierung ein, die alles andere als gerecht ist. Reflexiver Zynismus als Methode, die sich selbst kritisiert, aufhebt, wandelt?

Mit diagnostischem Furor benutzt Weigoni, was er kritisiert: das Hohlwerden der Subjektivität im herzlosen Ritt über die Sprachtrümmerwelten, die der analytische Verstand sich bereitet. Die Seinsvergessenheit, die changierende Melancholie zwischen psychologisierender Selbstdiagnose, germanistischer Begriffsgenese und philosophischem Skeptizismus. Verlorenheit, Unbehaustheit, das beschädigte Leben. Elliptische Gedankensplitter. Ein allegorisches Trümmerfeld der Nomina, eine Welt, die an die Schlachtfelder des Terminators III erinnert.

Weigoni produziert das, was er diagnostiziert. Selbstwertschöpfungsketten. Essayistische Denkpaellas – Sammelsurium der gelehrten Chiffren und Begriffshülsen, die im Hörer detonieren, Heidegger, Hölderlin wie Benjamin in ohr-, aber kaum verstandesgerechten Happen. Intellektuell in paradoxale Systeme einrichten – das ist es, was im Hörer passiert.

Zynismus? Ironische Widergängereien? Weigoni häuft die Begriffe vor dem Hörer auf, wie sich die Katastrophen vor Benjamins Engel der Geschichte aufhäufen mögen, man würde gerne verweilen, bedenken, doch die Texte rasen weiter, so wie im wirklichen Leben der nächste Skandal über die Mattscheiben huscht, in Lasagne gefundene Finanzderivate, gedopte Bienen im Bier und der von VW manipulierte Glyphosat-Gehalt in Muttermilch.

Es wäre für lesophile Menschen wie mich schön gewesen, die Krücke des Texts als pdf auf den CDs zu finden. So bleibt die Text-Erfahrung als eine trunkene Rutschbahn über Begriffsfelder, am Ende mündet sie in ein Aufwachen wie aus einem Rausch – und das ist doch, betrachtet man es nüchtern, gar nicht wenig für ein lyrisches Werk.

 

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Der Schuber, Werkausgabe der sämtlichen Gedichte von A.J. Weigoni. Edition Das Labor, Mülheim 2017

Die fünf Gedichtbände erscheinen in einer limitierten und handsignierten Ausgabe von 100 Exemplaren. Mit dem Holzschnitt präsentiert Haimo Hieronymus eine handwerkliche Drucktechnik, er hat sie auf die jeweiligen Cover der Gedichtbände von A.J. Weigoni gestanzt hat. Bei dieser künstlerischen Gestaltung sind „Gebrauchsspuren“ geradezu Voraussetzung. Man kann den Auftrag der Farbe auf dem jeweiligen Cover direkt nachvollziehen, der Schuber selber ist genietet. Und es gibt keinen Grund diese Handarbeit zu verstecken.

Alle Exemplare sind zusammen mit dem auf vier CDs erweiterten Hörbuch in einem hochwertigen Schuber aus schwarzer Kofferhartpappe erhältlich.

WeiterführendMehr zur handwerklichen Verfertigung auf vordenker. Eine Würdigung des Lyrik-Schubers von A.J. Weigoni durch Jo Weiß findet sich auf kultura-extra. Margeratha Schnarhelt ergründelt auf fixpoetry die sinnfällige Werkausgabe. Lesen Sie auch Jens Pacholskys Interview: Hörbücher sind die herausgestreckte Zunge des Medienzeitalters. Einen Artikel über das akutische Œuvre,  mit den Hörspielbearbeitungen der Monodramen durch den Komponisten Tom Täger – last but not least: VerDichtung – Über das Verfertigen von Poesie, ein Essay von A.J. Weigoni in dem er dichtungstheoretisch die poetologischen Grundsätze seines Schaffens beschreibt.

Hörbproben → Probehören kann man Auszüge der Schmauchspuren, von An der Neige und des Monodrams Señora Nada in der Reihe MetaPhon.

Redaktionelle Anmerkung: Dieser Artikel erschien zuerst in in: kalmenzone Heft 9. KUNO dankt dem Herausgeber Cornelius van Alsum und dem Autor Franz Hofner für die Überlassung.