Eine Inquisition für Lyriker

Wer seinen Ton gefunden hat, fängt an, sich selbst zu kopieren.

Elke Erb

Es wäre zu wünschen, wenn sich im deutschen Literaturbetrieb mal jemand ähnlich apodiktisch melden würde wie Jeremy Paxmann. Der Reporter Adam Kirsch berichtet in The New Republic von einem  Aufruhr unter den Dichtern in Großbritannien, wo der BBC-Moderator Paxmann in die Jury des Forward Prize berufen wurde. Das hat sich laut Kirsch bezahlt gemacht:

„Paxmann wurde mit den Worten zitiert, er wünschte, dass Lyrik ‚ihre Einsätze ein bisschen erhöhen würde, ihre Sichtbarkeit‘ und ’sich bemühen würde, auch normale Menschen anzusprechen‘. Er liebe Poesie, betonte er, die Shortlist des Forwards sei gut, doch im Allgemeinen würde sich die Kunst mit ihrer eigenen Irrelevanz abgeben‘. Bis dahin hatte Paxmann noch nichts gesagt, was nicht viele Dichter auch selbst oft sagen – zumindest wenn Dana Gioia fragt ‚Spielt Dichtung eine Rolle?‘ Was die Lyriker aber wirklich ärgerte, war, dass Paxmann ‚eine Inquisition‘ forderte, vor der Dichter ‚für ihre Lyrik zur Rechenschaft gezogen würden‘.“

Was nützt es, wenn man die Welt im Fiktionalen erschliesst, sich aber der Realität verweigert?

Auch in Deutschland ist eine saturierte, wohlstandsgesellschaftlich blasse Gegenwartlyrik zu lesen, die stereotype Formen produziert und ihren tiefgreifenden Erfahrungsmangel mit grellen Versatzstücken aus fremden Medien kompensiert. Wo ist in diesem überfütterten Betrieb Geist, Bewusstsein? Abhandengekommen, so wie die Welt, an der es sich hätte bilden können. Während die Förderung von Gegenwartslyrik vor zwanzig Jahren noch mutig und wichtig war, hat sich, mit der steigenden Frequenz von Lyrikfestivals und Schreibworkshops in Hildesheim, Leipzig oder Biel statt der dramatischen Qualität eher der Verdünnungsgrad erhöht. Statt eigener Handschriften und Gedanken produziert der Betrieb paradoxerweise Uniformität. In den 10er Jahren erleben wir  eine Phase der literarischen Anpassung, in der sich jüngere Autoren mehr am kommerziellen Erfolg zu orientieren schienen. Zwar wollen sie veröffentlichen, aber ihrem ästhetischen Ansatz fehlt öfters der Mut zur Auseinandersetzung und der Widerstandsimpetus. Die Herausgeber erreichen hauptsächlich beliebig wirkende Texte. Das editorische Motiv, andere literarische Akzente zu setzen und die Möglichkeiten ästhetischer Produktion und Inhalte zu erweitern, hat sich erschöpft. Um dem entgegenzuwirken, braucht es Strenge in der Qualitätskontrolle, weniger Lob gegenüber Neulingen und ein verstärktes Ringen um Kontinuität. Ich sehne man nach der elementaren, raumschaffenden Metaphorik eines Heiner Müller und seinen unbarmherzigen Verdichtungen: „Ein toter Mann kann einer toten Frau das Sterben nicht verbieten unter Bürgern.“

Inventionen

Im Umgang mit Superlativen ist Vorsicht geboten, sie nutzen sich leicht ab. Aber in dieser Würdigung darf man einen riskieren: Eine solch‘ spannende Zusammenarbeit zwischen zwei Dichtern hat es zuletzt bei Ernst Jandl und Friederike Mayröcker gegeben. Die meisten Lyriker glauben an die Zeichenhaftigkeit der Welt. Es wird Zeit für die Neuerfindung der Balance von Poesie und Musik. Mit Tonmalerei im wörtlichen Sinn hat die Sprache des Visuell-Klanglichen bei dem Projekt Wortspielhalle von Sophie Reyer und A.J. Weigoni viel gemein. Ihre Übersprungsgesten, führen in dem Buch/Katalog-Projekt vor Augen, daß der Mensch im Literaturbetrieb längst im Diskant singt, selbst wenn er dabei Alltagssprache spricht. Zugleich ist diese Sprechpartitur ein ein drängendes, (ein)dringliches Textkonvolut über die Bedeutung der Sprache in der bildmedialen Kultur.

Weigoni und  Täger spüren der Sprache vor allem als akustischem Phänomen nach.

Dr. Christiane Schlüter, Buecher-Wiki

Falls der Komponist Robert Schumann recht hat und Musik die höhere Potenz der Poesie ist, dann sind die Parlandos Musik. A.J. Weigoni setzte der Vergänglichkeit der Sprache den Gesang entgegen. Bemerkenswerte Gedichte des beginnenden 21. Jahrhunderts sind in der Reihe Ohrenzwinkern der Edition Das Labor als Hörbuch erhältlich. bewegt sich auf dem Hörbuch Gedichte in der Intermedialität von Musik und Dichtung, er sucht mit atmosphärischem Verständnis die Poesie im ältesten Literaturclip, den die Menschheit kennt: dem Gedicht!

 

 

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Original-Holzschnitt auf das Cover gedruckt von Haimo Hieronymus

Original Holzschnitt auf das Cover gedruckt von Haimo Hieronymus

A. J. Weigoni, Parlondos, Langgedichte und Zyklen, Edition Das Labor, Bad Mülheim 2013.

Probehören kann man ab Januar 2013 das Monodram Señora Nada in der Reihe MetaPhon. Und auch die Hörspielfassung von Unbehaust ist in der Reihe MetaPhon auf vordenker.de zu hören.

»Gedichte«, Hörbuch von A.J. Weigoni, Edition Das Labor, Mülheim 2011 – Eine Hörprobe findet sich seit Juli 2011 hier.

»Letternmusik«, Edition Das Labor, Mülheim 2009 – Der Remix ist hier als mp3 zu hören. – Das Original kann zum Vergleich hier gegenhören.

Eine limitierte Auflage des Hörbuchs Prægnarien von 50 Exemplaren ist versehen mit einer Originalgraphik von Haimo Hieronymus. Edition Das Labor, Mühleim an der Ruhr 2013 – Bestellung des Hörbuchs über: info@tonstudio-an-der-ruhr.de

Bilder der Prægnarien-Performance von Philipp Bracht und A.J. Weigoni sind hier zu sehen. Probehören kann man die Life-Aufnahme auf MetaPhon. Ein Video von Frank Michaelis und A.J. Weigoni hier. Bewegte Bilder unter und eben: HIER.

Die Aufnahmen sind in HiFi-Stereo-Qualität erhältlich über: info@tonstudio-an-der-ruhr.de

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