Die Zukunft: Trans (BioMachtTransgender)

Vorbemerkung der Redaktion: Seit 1989 hat sich KUNO als Brückenbauer zwischen den Milieus verstanden. Was aber, wenn immer mehr Menschen in den Kategorien von „Gender“ und „Repräsentation“ denken, und „Diversity“ als einziges Narrativ im Kultur-Betrieb durchsetzen wollen?

Bei der Kim de l’Horizonts-Lektüre stieß die Redaktion auf folgende Sätze im „Blutbuch“: „Und ich war ja auch tatsächlich nie schwul, weil Schwulsein geht ja nur, wenn mensch daran glaubt, dass es zwei Geschlechter gibt.‘ … Ein paar Zeilen weiter liest sich diese Autofiktion wie folgt: ‚Ich bin da, aber ich mache nicht mit in eurem binär gecodeten Knallergame, Paintball-madness, Unterdrückungs-Funpark. Ich schlage das Erbe der protofaschistoiden Sexualität schwuler Männlichkeiten aus.“

Mal abgesehen davon, dass dieses hasserfüllte „Texten“ mit Literatur eher wenig zu tun hat, in diesen Zeilen spricht keine Selbstreflexion, diese Autofiktion drückt pure Abscheu aus. Die KUNO-Redaktion erinnert dies an die K-Gruppen der 1970-er Jahre, wo jede Splittergruppe glaubte, sie habe die Weisheit mit Löffeln gefressen.

In Zeiten der neuen Unübersichtlichkeit hat KUNO Sophie Reyer zu einen Essay zu diesem „Thema“ gebeten:

 

Wie bereist der Philosoph Foucault festgestellt hat, leben wir im Zeitalter der Biomacht- einer Epoche, in der wir leben selbst kreieren und optimieren können. Wenn es möglich ist, Leben zu machen, ist es denn nicht möglich, sein Geschlecht auch selbst zu wählen? Hybride formen sind inzwischen nicht mehr die Seltenheit; kann der Mensch sein biologisches System mittels „self- tracking“ überwachen und, so ist es ihm auch möglich, sich selbst und bewusst für sein Geschlecht zu entscheiden. Das kann im Sinne von „create your own“ ein kreativer Akt sein. Denn nicht nur In- Vitro – Fertilisation ist heutzutage möglich – sondern auch das Wählen eines Körpers, in dem man sich wohl fühlt. Dazu muss jedoch ausgeholt werden:

Immer noch stellen sich Menschen vor, dass das biologische Geschlecht eine einfache Dichotomie zwischen männlichen und weiblichen Chromosomen – als XY – und XX – Chromosomen sei. Auf den ersten Blick schein es nichts zu geben, was sich eindeutiger als „genteisch bestimmt“ fest machen lässt als der Unterschied zwischen Mann und Frau – man denke hier nur an die Unterschiede in der Körperanatomie, die in der Anordnung der Chromosome durchaus begründet liegt. Doch dieser Unterschied ist weit weniger spektakulär, als wir denken: er liegt allein in einem einzigen Y – Chromosom – und wir besitzen insgesamt stolze 46! Spannend ist auch: der Standard- Plan des menschlichen Körpers ist weiblich – und der Rest wird im Gehirn durch ein Hormon mit dem Namen Testosteron gesteuert. Bei Frauen wird dieses durch das Enzym Aromatase in Östrognen umgewandelt, bei Männern nicht. Zwar bestehen bei der Form der Gehirne zwischen Männern und Frauen kleine Unterschiede – die der Männer sind etwas größer als die der Frauen – doch der „Grundplan“ ist bei beiden derselbe. Die „Maskulinisierung“ des Gehirns entsteht nun vor der Geburt; und schon da kann man theoretisch, was Experimente mit Ratten beweisen, eingreifen und manipulieren. Auch Faktoren wie pränataler Stress können hier Einfluss nehmen. Die psychischen Folgen multiplizieren sich im Laufe der Entwicklung, während auch soziale Faktoren wie die Sexualität der Mutter ausschlaggebend sind für die Veränderung So kommt es zu einem komplizierten Wechselspiel zwischen biologischem (sex) und sozialem Geschlecht (gender). In der westlichen Kultur praktiziert man dabei ein Zwei – Geschlechter – Modell; doch die Wahrheit ist komplexer: Transgender – Menschen sind nämlich, was nicht nur die Recherche bei Urvölkern beweist, gar nicht so selten: Etwa 0, 3 Prozent der Erwachsenen in den USA definierten sich laut Informationen des William Institute an der UCLA von 2011 zu Folge als „Transgender“. Doch das „Zwischen den Stühlen stehen“ beruht auf einer viel älteren Tradition: Beispielsweise gibt es die 2Two – Spirit“- Menschen in Nordamerika, die man in vielen indigenen Völkern und Stämmen Amerikas finden kann. Diese vereinen feminine und maskuline Züge miteinander und sind innerhalb der Stämme anerknnt. Meist bereitet man für die Heranwachsenden, die solche Züge aufweisen, einen Initiationsritus vor, ohne diese jedoch davon in Kenntnis zu setzen. In einer Zeremonie, die einen Rock als wichtiges Moment aufweist und mit Einzäunung arbeitet, wird der Heranwachsende „getestet“, ohne dass er selbst es weiß – und kann so unbewusst seine Neigung selbst wählen. Auch die Hijras in Indien, bei denen es sich um eine Art Kaste beziehungsweise religiöse Sekte handelt, stellen einen Graubereich dar: Sie siind weder Mann noch Frau und werden von einem Ältestenrat, dem Jamat, getestet und bestimmt. Andere zeitgenössische Transgendermenschen, die auf einer uralten Tradition fußen, sind die M­ah u in Polynesien. Doch damit nicht genug: Auch der Status des Eunuchen ist einer, der eine lange Tradition aufweist und den wir nicht nur im orientalischen Raum sondern auch im antiken Griechenland finden: eine der auffälligsten Berufe freier Eunuchen war der einer Priesterin der Göttin Kybele, die als Göttermutter bezeichnet wurde. Aber Kybele war auch anderen Regionen bekannt: wir finden sie als Isis in Ägypten, als Astrarte in Syrien und als Istar in Babilynien. In Carthago nannte man sie Tanit, w#hrend man ihr in Griechenland die Namen Rhea zbd Demeter gab. Laut alter Mythen hatte Kybele einen männlichen Gelibeten, nämlich Attis. Und hier wären wir auch schon bei der frühsten Transgender – Erzählung, die vom römischen Dichter Catull stammt und über jenen Attis erzählt. Priesterinnen, die der Kybele dienten, waren über Jahrtausende hinweg eine stabile und dauerhafte Transgender – Gruppe. In einer Art rauschartigem Zustand trennten sie sich ihre Genitalien ab. Dieses Verfahren fand in der Öffentlichkeit statt, ähnlich wie bei den Two – Spirits in Amerika. Nach dieser Operation, die mit Klammern von Statten ging, wurden die Priesterinnen in Frauengewänder gekleidet und mit Schleier und Schmuck versehen. Doch auch vor der römisch – katholischen Kirche, die sich heute sehr reserviert in Sachen Transgender – Inklusion zeigt, haben Transgenders Tradition: So tauft der Evangelist Philippus im achten Kapitel der Transgender – Geschichte einen Eunuchen. Bei dieser Taufe heißt er nicht nur einen Eunuchen willkommen sondern auch einen dunkelhäutigen Ausländer, der it Sicherheit auch ein Sklave war. In seinen Ursprüngen also verhielt sich das Christentum überaus offen gegenüber dem, was der Kapitalismus heute als „human waste“ abstempelt. Aber auch in der weiteren Geschichte des Christemtums finden wir Wesen, die sich nicht in einen Rahmen pressen lassen: So beispielsweise die „Heilige Kümmernis“, eine Dame, die ins Martyrologicum Romanum aufgenommen wurde – diese war die Tochter eines Königs, der sie jedoch aufgrund ihrer Schönheit als Frau begehrte – und aus Verzweiflung flehte sie Goitt um einen Bart an, den sie auch erhielt – wofür sie jedoch den Tod am Kreuze sterben musste. Noch heute wird „Transgender“ – Menschen gern unterstellt, sie seien nicht „natürlich“ und psychisch krank. Beobachten wir jedoch den Artenreichtum in der Natur, so finden wir hier Hermaphroditen gar nicht so selten. Im Gegenteil: diese sind sogar häufig. Meist enthält eine Blüte nämlich Staubbeutel und eine Narbe – also männliche und weibliche Anteile in einem!

Doch auch das Tierreich, das dem Menschen ja angeblich noch näher steht, weist eine Fülle zweigeschlechtlicher Wesen auf: So handelt es sich bei vielen wirbellosen Meerestieren wie in etwa Seeigeln, Schnecken, Rankenfüßern und Korallen um hermaphroditische Arten. Ja: fast die Hälfte aller Fischarten fällt in diesen Bereich; der Papageifisch, der Lippfisch, der Zackenfisch in etwa – um nur einige Namen zu nennen. Ungefähr sechs Prozent aller Meeres – und Landtierarten weisen zwei Geschlechter auf; lässt man hierbei die Insekten außer acht, dann steigt der Prozentsatz hermaphroditischer Arten sogar auf stolze 33 Prozent. Auch was die Geschlechterrollen betrifft finden wir in der Natur die unterschiedlichsten Spielarten; so tragen in etwa die männlichen Seepferdchen den Nachwuchs aus. Ein besonders beeindruckendes Wesen ist der Anglerfisch; er zeichnet sich durch zwei Beutelchen aus, wobei es sich bei dem große Fischteil um das Männchen und bei den zwei Anhängseln um das Weibchen handelt; bei manchen Arten sind diese sogar durch einen einzigen Brutkreislauf miteinander verbunden!

Kein Wunder, dass auch der Mensch sich danach sehnt, aus dem binären Geschlechtsdenken auszubrechen – und das nicht erst seit Zeiten der Biomacht, in denen Leben und Geschlecht manipuliert werden können. In Zeiten, in denen man auf Facebook zwischen 60 unterschiedlichen Arten von Geschlecht wählen kann, ist der Begriff des Geschlechts längst körperlos geworden. Nicht der Möglichkeit des chirurgischen Eingriffs nun hat sich ein neuer Bereich heraus kristallisiert: der der Transsexualität als medizinisches Thema. Betroffene sprechen hier von einer Geschlechtsidentität, die nicht mit der ihres Körpers übereinstimmt, also von ihr unabhängig ist. Damit wird der Begriff des Geschlechts – wie so vieles in Zeiten der Biomacht – körperlos. Nun handelt es sich bei ihm nur noch um das Attribut eines virtuell angepassten Körpers; ja, auch das Gehirn selbst wird zum virtuellen Gegenstad. Die Machbarkeit der Geschlechtsanpassung und das mit ihr einhergehende ethische Problembild ist demnach auf einen virtuellen Kontext angewiesen; ob Geschlechtsanpassung kritisiert oder pauschal verurteilt werden soll oder im Gegenteil das virtuelle Zeitalter gefeiert werden muss, sei dahingestellt. Eines ist jedenfalls sicher: der Diskurs hat erst begonnen.

 

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u.a. erschienen: BioMachtMonsterWeiber: eine Enzyklopädie von Sophie Reyer. Passagen Verlag 2021

Weiterführend Ein Porträt von Sophie Reyer findet sich hier. In ihrem preisgekrönten Essay Referenzuniversum geht Sophie Reyer der Frage nach, wie das Schreiben durch das schreibende Analysieren gebrochen wird. Die Sprechpartitur Wortspielhalle wurde mit dem lime_lab ausgezeichnet. Einen Artikel zum Konzept von Sophie Reyer und A.J. Weigoni lesen Sie hier. Vertiefend zur Lektüre empfohlen sei auch das Kollegengespräch :2= Verweisungszeichen zur Twitteratur von Reyer und Weigoni zum Projekt Wortspielhalle. Eine höherwertige Konfigurationentdeckt Constanze Schmidt in dieser Collaboration. Holger Benkel lauscht Zikaden und Hähern nach. Ein weiterer Blick beleuchtet die Inventionen von Peter Meilchen. Ein Essay fasst dieses transmediale Projekt zusammen. Eine Würdigung des Lebenswerks von Peter Meilchen findet sich hier. Alle LiteraturClips dieses Projekts können hier abgerufen werden. Hören kann man einen Auszug aus der Wortspielhalle in der Reihe MetaPhon.