Interpretation des Gedichts Buchstabensuppe

 

Als der Interpret den Vorschlag von KUNO erhielt, hat er sich erst gefreut und dann noch mehr amüsiert – schließlich sind die Sommerlesungen des Projekts zugtextet.com mit dem Wiedererkennungstitel Buchstabensuppe gekennzeichnet. Jetzt haben wir, war der erste Gedanke, auch das Gedicht zum Vorhaben!

Für den, der A.J. Weigoni noch nicht als Autor kennt, darf formuliert werden, dass er bzw. sie (wir wollen dem allfälligen Vorwurf des Verletzens der Gender-Neutralität vorgreifen) etwas versäumt hat. Der Interpret besprach bereits Cyberspasz auf dem Blog, die Zombies werden folgen. Doch nun genug des Einleitungsparlandos und zurück zur poetischen Mahlzeit.

Man könnte meinen, hier sei über eine Anzahl von flügelnden Worten und Sprichworten philosophiert. Da hatten wir:

  • die versalzene Suppe
  • das in die Suppe Spucken
  • den Mund zu vollnehmen
  • die Zunge verbrennen und
  • die Suppe auslöffeln

Dass wir die gute alte Hühnerbrühe, das Hausmittelchen zur Gesundwerdung, verwenden, gibt der Angelegenheit einen eigenen Reiz.

Nun ahnen wir, dass der Autor beileibe nicht über diese profanen Dinge redet, sondern eigentlich über etwas ganz anderes. Er spricht von der Verantwortung von Sprache, die bekanntlich eine Buchstabensuppe aus der Rezeptur des sie Äußernden ist.

Daher kommt der Text in der Form eines Rezepts – einer programmatischen Anweisung, wie der Autor es selbst für uns zuordnet. Aus dieser folgt eine Zubereitung – der Koch ist als Gärtner zugleich der Mörder, um bei den geflügelten Begrifflichkeiten zu bleiben. Er rührt die ganze Chose schließlich an. Es werden, damit die Sache nicht langweilt, Synonyme eingesetzt – die Suppe kommt vielfältig daher, als Kraftbrühe, als Konsommee, als Bouillon. Egal, man verbrennt sich, wenn zu heiß dargereicht, die Zunge.

Es ist Teil der VerDichtung, mehr zu sagen, als an der Oberfläche zu erkennen ist: Die Metaebene ist nicht immer erkennbar, hier war der Autor so freundlich, mit dem Wort „Verantwortung“ einen Schlüssel zum Verständnis des auf den ersten Blick profan anmutenden Texts zu hinterlassen: Bedenke, was du denkst, schreibst, sagst. Und, verdammt nochmal, hast dus schon gesagt, dann steh dazu und trage die Verantwortung dafür, wenn es Mist war.

Manchmal glaubt man, wenn man ein kleines Textkunstwerk wie dieses anschaut, das ist banal, was da steht. Wer selbst Lyriker ist wie der Interpret hat sich im Laufe der Zeit angewöhnt, die Frage zu stellen, was der Autor bzw. die Autorin (lang lebe der Genderwahnsinn!) gemeint haben könnte; wenn wir unsere grauen Zellen ein bisschen bemühten, fänden wir vielleicht heraus, was der Dichter dachte. Womit für einen kurzen Moment der Denker zum Dichter und umgekehrt. Und das im Leser.

Hier hat es sich gelohnt, das Nachdenken. Dank Weigonis Buchstabensuppe.

 

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Anmerkung der Redaktion: Die KUNO-Redaktion übernimmt den Beitrag von zugetextet – einem Magazin-Blog neueren Stils. Das Gedicht ist zu finden in: Der Schuber, Werkausgabe der sämtlichen Gedichte von A.J. Weigoni. Edition Das Labor, Mülheim 2017

Photo: Jesko Hagen

Die fünf Gedichtbände erscheinen in einer limitierten und handsignierten Ausgabe von 100 Exemplaren. Mit dem Holzschnitt präsentiert Haimo Hieronymus eine handwerkliche Drucktechnik, er hat sie auf die jeweiligen Cover der Gedichtbände von A.J. Weigoni gestanzt hat. Bei dieser künstlerischen Gestaltung sind „Gebrauchsspuren“ geradezu Voraussetzung. Man kann den Auftrag der Farbe auf dem jeweiligen Cover direkt nachvollziehen, der Schuber selber ist genietet. Und es gibt keinen Grund diese Handarbeit zu verstecken.

Alle Exemplare sind zusammen mit dem auf vier CDs erweiterten Hörbuch in einem hochwertigen Schuber aus schwarzer Kofferhartpappe erhältlich.

Weiterführend → Mehr zur handwerklichen Verfertigung auf vordenker. Eine Würdigung des Lyrik-Schubers von A.J. Weigoni durch Jo Weiß findet sich auf kultura-extra. Margeratha Schnarhelt ergründelt auf fixpoetry die sinnfällige Werkausgabe. Lesen Sie auch Jens Pacholskys Interview: Hörbücher sind die herausgestreckte Zunge des Medienzeitalters. Einen Artikel über das akutische Œuvre,  mit den Hörspielbearbeitungen der Monodramen durch den Komponisten Tom Täger – last but not least: VerDichtung – Über das Verfertigen von Poesie, ein Essay von A.J. Weigoni in dem er dichtungstheoretisch die poetologischen Grundsätze seines Schaffens beschreibt.

Hörbproben → Probehören kann man Auszüge der Schmauchspuren, von An der Neige und des Monodrams Señora Nada in der Reihe MetaPhon.