Handwerk hat goldenen Boden

Die Aura des Handgemachten paßt zum Genre der Lyrik wie ein Handschuh.

Was zuerst auffällt an diesem Schuber ist eine Handwerklichkeit, die nicht versteckt wird. Die schwarze Kofferhartpappe aus dem das Behältnis besteht, ist genietet und dies wird offen präsentiert. Auch die Drucke, die der Künstler Haimo Hieronymus auf die jeweiligen Cover gestanzt hat, weisen die Handschrift eines Malers aus; die Farbe wurde nicht mit einer Rolle, sondern mit dem Pinsel aufgetragen und so wird jeder Druck zu einem Original. Die Holzschnitte illustrieren diese Bücher jedoch nicht, sie sind ein originalgrafisches Zeichen.

Photo: Jesko Hagen

Dieses Handwerk setzt sich fort in der Umsetzung des Monodram Señora Nada als Hörspiel durch die Regisseurin Ioona Rauschan auf dem beigefügten Hörbuch, das diese Werkausgabe sinnfällig ergänzt. Konzentriert finden wir in dieser Inszenierung das, was man auf deutschen Bühnen seit Jahren vermisst: eine präzise Sprachführung. Der Sprecherin Marina Rother ist hier ebenso zu danken wie der Schauspielerin Bibiana Heimes für ihre Leistung im zweiten Hörspiel Unbehaust.

Der Komponist Tom Täger bezieht unter der Arbeit das Tonstudio an der Ruhr als Instrument mit ein. Wer das Glück hatte die Uraufführung des Tanztheaterstücks An der Neige durch Manuel Quero zu erleben, wurde bestätigt in der Annahme, dass diese Lyrik den Rahmen der herkömmlichen Rezeption sprengt. Fragt man den Autor A.J. Weigoni nach seiner professionellen Sprechausbildung, so verweist er demütig auf seinen Sprachlehrer Dietmar Walbeck, dem er das Studium der Lyrik als Partitur am Notenpult verdankt.

Die Einsicht, dass künstlerische Selbstverwirklichung eines Kollektivs bedarf, keimte bei diesem Lyriker früh. Den gröbsten Fehler, den er erklärtermaßen bei seinem ersten Gedichtband gemacht hatte, war der, dass er sich als bildender Künstler missverstanden hat und seine Lyrik als Collage präsentierte. Dem untergeordnet hat Weigoni damals auf Gedichte verzichtet, die seinen ersten lyrischen Versuchen eher entsprochen haben. Für die Werkausgabe folgte er einerseits der 1985 erschienenen Erstausgabe Der lange Atem, hat sie in der Feinjustierung aber ergänzt durch entlegene Gedichte, Textvarianten und Überformungen.

Sein Gesellenstück hat Weigoni bereits als Elektroinstallateur gemacht, wie man Kabel verlegt, Drähte verlötet und Schaltkreise schließt, ist diesem ‚Proleten’ geläufig. Die Trilogie, bestehend aus den Bänden Letternmusik, Dichterloh und Schmauchspuren sind – handwerklich betrachtet – ein dreiteiliges Meisterstück. Es ist nicht nur ein Nachweis, dass Weigoni die traditionellen Techniken der Moderne beherrscht, er durchbricht die metrische Monotonie im Dienst einer bis dato ungelesenen poetischen Intensität. Bei dieser Trilogie des Wiederlesens ergeben sich Blatt für Blatt – auch zwischen den Zeilen – Wortkombinationen mit denen dieser Lyriker die Bewusstseinsdifferenzen der Spätmoderne auslotet. Man merkt diesen Gedichten in jeder Zeile an, wie präzise Worte montiert, wieder redigiert und letztlich wie präzise sie installiert sind. Es ist eine Sprache, die leuchtet.

Editorisch sinnvoll abgerundet wird diese Werkausgabe durch die Langgedichte und Zyklen unter dem Titel Parlandos. Es lassen sich Subtexte, Korrespondenzen und Kontinuitäten nachverfolgen. Dieser Band gestattet dem Leser die Hörspiel-Umsetzungen der Monodramen Señora Nada und Unbehaust auch nachzulesen. So heterogen die Zusammenstellung in diesem Band ist, sie nicht beliebig und illustrativ: die Bestandteile ergänzen sich hier sinnfällig. Und dies gilt für den ganzen Schuber. Es ist mehr als eine Werkschau, es ist ein Gesamtkunstwerk das Anspruch auf eigene Geltung erhebt. Dieser Schuber sollte in keiner Sammlung fehlen die etwas auf sich hält.

 

 

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Der Schuber, Werkausgabe der sämtlichen Gedichte von A.J. Weigoni. Edition Das Labor, Mülheim 2017

Coverphoto: Leonard Billeke

Die fünf Gedichtbände erscheinen in einer limitierten und handsignierten Ausgabe von 100 Exemplaren. Mit dem Holzschnitt präsentiert Haimo Hieronymus eine handwerkliche Drucktechnik, er hat sie auf die jeweiligen Cover der Gedichtbände von A.J. Weigoni gestanzt hat. Bei dieser künstlerischen Gestaltung sind „Gebrauchsspuren“ geradezu Voraussetzung. Man kann den Auftrag der Farbe auf dem jeweiligen Cover direkt nachvollziehen, der Schuber selber ist genietet. Und es gibt keinen Grund diese Handarbeit zu verstecken.

Alle Exemplare sind zusammen mit dem auf vier CDs erweiterten Hörbuch in einem hochwertigen Schuber aus schwarzer Kofferhartpappe erhältlich.

Weiterführend → Eine Würdigung des Lyrik-Schubers von A.J. Weigoni durch Jo Weiß findet sich auf kultura-extra. Margeratha Schnarhelt ergründelt auf fixpoetry die sinnfällige Werkausgabe. Lesen Sie auch Jens Pacholskys Interview: Hörbücher sind die herausgestreckte Zunge des Medienzeitalters. Einen Artikel über das akutische Œuvre,  mit den Hörspielbearbeitungen der Monodramen durch den Komponisten Tom Täger – last but not least: VerDichtung – Über das Verfertigen von Poesie, ein Essay von A.J. Weigoni in dem er dichtungstheoretisch die poetologischen Grundsätze seines Schaffens beschreibt.

Hörbproben → Probehören kann man Auszüge der Schmauchspuren, von An der Neige und des Monodrams Señora Nada in der Reihe MetaPhon.