Der Datendandy

 

Eine perfekte Tarnung kann es nicht geben. Zonkers Grundregel lautet: „Traue niemandem!“ Sie erfordert die Einübung in eine dauernde Selbstkontrolle und lauernde Wachsamkeit. Das eingeschossige Gebäude in dem sich sein Studio befindet, lässt sich durch verschiebbare Wände beliebig verwandeln. Zonker hat sich für eine labyrinthische Streckenführung entschieden. Auf diese Weise liegen der erste und der letzte Raum letztlich Wand an Wand und sind nicht nur durch einen schmalen Schlitz in Fussbodennähe miteinander verbunden. Zusätzlich durchbricht eine minimalistische Stahlrohr–Skulptur die Trennwand, um auf der anderen Seite als simples Regalsystem wieder aufzutauchen. In dieser Mutation des autonomen Kunstwerks zum Gebrauchsgegenstand zeigt sich Zonkers ehrgeizige Mission: Versöhnung von Kunst und Design, von Dekor und Gesellschaftskritik, von Autonomie und Funktion.

Recomposed. Als Sammler frönt Zonker seiner Vorliebe für die schöne Form. Seine Installationen sollen politische Gefüge, kulturelle Machtspiele und eingefahrene Geschlechterrollen kritisieren, als Ornament. Abgelenkt vom schönen Schein, haben es die Besucher, die an CD–Covern, Glasziegelwänden und Holztäfelungen vorbeiflanieren, freilich nicht immer leicht, die angestrebten politischen Statements zu identifizieren. Selbstsicherheit bis zur Überheblichkeit und Verachtung für alle Zweifelnden, Zögernden, Zaghaften: Das sind seine auffälligsten Merkmale, flankiert durch schwarz geränderten Humor, die subversive Lust an versteckten Bosheiten und überzeichneten Sentimentalitäten. Sein wohlfeiler Zynismus wirkt als Coolnesssimulation. Sein Gesicht ist eine Fassade, mit Sonnenbrille erscheint es endgültig zur undurchdringlichen Maske verkleidet. Er hüllt sich in eine Einsamkeit, die ihm wie vom teuersten Schneider massgeschneidert steht, nicht anders als die makellos sitzenden Sakkos, Mäntel, Trenchcoats. Die einzige Disziplin, die ihm etwas gilt, ist die Genauigkeit.

„Wenn Präzision die einzige Moral ist, die uns bleibt, dann wird ein Übel zum Gut erklärt. Moral wird ästhetisiert. Dann ist auch das präzise Ausbalancieren moralisch“, gibt er per mail als Anregung an N@sty B. weiter. Am Rechner macht Zonker die Knoten in den sauber getrennten Diskurssphären sichtbar. Der Trickster verfügt einerseits über einen Mangel an Moral nach dem Kodex der feinen Gesellschaft, andererseits fungiert er als Vermittler und Übersetzer zwischen der menschlichen Sphäre und dem Technoidem, zwischen verschiedenen Sprachen und diskursiven Systemen. Am Computer verwandelt er die analoge Lebenswirklichkeit in digitalen Horror: ein von Gewalt, Begehren und Verfall bestimmtes Konstrukt, als einen erotisch aufgeladenen Organismus, auf dem rassistische und sexistische Graffiti erblühen, durch den Körper und Träume hindurchgepumpt werden wie Blut. Zonker sucht in den virtuellen Archiven nach Gesichtern, deren Anmutung die Leerstelle zwischen Typ und Persönlichkeit besetzen. Er ist mit grosser Ernsthaftigkeit darum bemüht, aus sich eine möglichst gelungene Form von Mensch zu machen. Der Plan seiner Selbstinszenierung hat mit einer durchaus radikalen Selbstverwirklichung zu tun. Er lebt engagiert sein schöpferisches, sinnliches Leben und teilt die äusseren Arbeitsergebnisse mit ihr. In den Labyrinthen des Sehens setzt sich N@sty B.s Bild als Widerhaken in seinen Gedanken fest, bringt Erinnerungen und Fragen hervor.

Wenn N@sty B. durch seine Haustür geht, zieht sie einen unsichtbaren Strudel energischer Nervosität hinter sich her. Glamour ist weder Schönheit noch Luxus, sondern ein imaginativer Prozess, der eine spezifische emotionale Reaktion hervorruft, eine scharfe Mischung aus Projektion, Verlangen und Bewunderung. Er weckt Hoffungen und Träume und lässt sie erreichbar erscheinen, während er zugleich genügend Distanz aufrechterhält, um der Phantasie weiter Nahrung zu geben. Ihr gelingt jener Balanceakt zwischen Divenhaftigkeit und Nahbarkeit, bei dem verbissenere Künstler– und Kunstfiguren andauernd ins Straucheln geraten. Betrug und Ausschweifungen gehören essenziell zu der Figur, als sie sich inszeniert: ein widerborstiger, von kranken Fantasien getragener Geist in einem durchtrainierten Körper, mit trüben Augen und dem Teint einer Toten.

„Männer können unmännlich sein, Frauen unweiblich. Wahre Männlichkeit und Weiblichkeit stellt sich erst her, wenn sich das biologische Geschlecht mit einem gesellschaftlich akzeptierten Verhaltenskodex verkoppelt. Bleibt die Frage: Was macht den Mann zum richtigen Mann?“, erkundigt sich N@sty B. in einer feMail. Die beste Art ist einfach zu leben und zuzuhören. Frauen fällt es leicht zu reden. Das Problem ist, dass ihnen keiner zuhört. Es ist eine Frage der Sensibilität. Die Vernünftigen existieren, die Unvernünftigen lernen die Angst zu überwinden, sich zu lieben und auszuhalten.

Dankbarkeit ist eine Last, die man niemandem aufbürden sollte. Wenn Zonker verbietet sich eine spontane Reaktion, weil hinter Zweisamkeitsbotschaften der Drang nach ungezähmtem Eigensinn verbirgt. Er nutzt seine Nachdenklichkeit zu einem Spaziergang um den Block. In den städteräumlichen Erektionen bildet sich eine Gesellschaft ab, deren bevorzugtes Liebesspiel Monopoly heisst. Zonkers psychische Präsenz an der Innenstadtfront hat etwas vom Geworfensein des existenzialistischen Menschen; ein Opfer allein schon durch den menschlichen Zustand und die Mechanismen des Weltgetriebes – aber ein Opfer, dessen unterkühlte Ironie daran erinnert, dass sogar im Scheitern die Möglichkeit selbstkritischer Würde und Ehre besteht. Er ist das Individuum, das im Konflikt mit der Gesellschaft auf seiner Subjektivität besteht – auch hier greift Identifikation. Er unterscheidet sich von anderen Menschen dadurch, dass er Furcht zeigen kann, und diese Furcht ist das Organ seiner Wahrnehmung einer düsteren Welt. Ihn treiben greuliche Selbstzweifelattacken ebenso um wie massloser Narzissmus. Sein Schmerz ist nicht messbar, auch nicht der Schmerz, den Worte erzeugen können. Das heisst aber noch nicht, dass es ihn nicht gibt.

Unabhängig voneinander merken N@sty B. und Zonker, was sie am Sehen hindert: das Licht, das sie blendet. Der Blick in den Spiegel ist für sie kein symbolischer Akt, sondern eine sehr konkrete Frage an die Selbstwahrnehmung, das Bild täuscht gerade durch seine Ähnlichkeit. Weil jede Spur von einer Erzählung, von Anekdotischem in ihren Arbeiten fehlt, schärft sich der Blick für die reine Form – und für die Präsenz der Dinge. Das Stillleben wird zum Medium der Reflexion expressiver Direktheit und gerät dabei selbst an seine Grenze. Die Entkoppelung von Form und Struktur, die Freude an der Verunsicherung durch Torsion und Verfremdung ist etwas, das sie mit den Manieristen verbindet. Man kann seinen Augen und Ohren nicht trauen: Der Erfahrungsschatz des Gehirns wird ausgekuppelt. Das Sterben der Natur bewahrt eine Erinnerung daran, nicht als erpresste Versöhnung, sondern als erlittene Sehnsucht.

Kultur wird zu Zonkers elitärem Distinktionsmerkmal, er zelebriert sie mit Voliebe in einem Kaffeehaus des 19. Jahrhunderts. Seine Ersatzväter sucht er sich unter Künstlern und Intellektuellen. Die Wahrheit seiner Biographie ist keine Frage des einen, dominierenden Blicks, sondern der Perspektiven. Wer man ist, entscheiden die anderen mit. Unter der Lektüre registriert der Datendandy, dass die hypermodernen Menschen unter einer Informationsverschmutzung leiden, die flaches, einseitiges und flüchtiges Denken befördert. Sie leben in einer Zeit der rasenden Beschleunigung und des Schnellverbrauchs, auch des Gedächtnisses. Egal ob sie frustriert, überheblich, verwirrt oder handgreiflich sind, immer haben sie Worte, die gezielt vernichten. Wie Geschosse fliegen Worte und Sätze durch den Raum. Ihr technokratisches Markenzeichen sind Stimmen, die schillernd im elektronischen Echo ihrer selbst nachklingen. Wenn sie sich einmal wirklich nahe kommen, reissen sie sich gegenseitig die Haut vom Leib. Während es in der eigentlichen Pornografie immer weniger um den Körper geht, sondern um eine Art kulturelle Sublimierung, nähert sich der Konsum von Kultur immer mehr dem pornografischen Erlebnis an: Film, Kunst und Musik dienen hauptsächlich dazu, das eigene Befinden zu stimulieren. Die hypermodernen Menschen versuchen mit einem falsch verstandenen Authentizitätsanspruch eine mystische Kerzenlichtaura zu verbreiten, nicht die künstlerische Selbstinszenierung als Opfer steht im Zentrum, sondern die Rückeroberung des Bildes als Äquivalent der Haut.

Zonker beobachtet, wie die hypermodernen Menschen das Unbedingte suchen und nur Dinge finden. Design steuert ihr Fühlen, Denken und Handeln. Design ist omnipräsent und in seinen Aufgaben, Funktionen und Auswirkungen weit über die einst klar umrissene Entwurfspraxis hinausgewachsen. Diese Spezies wird zu ihrem eigenen Designer, indem sie ihre Körper als Kunstform inszenieren. Die Stigmatisierung durch Branding und Piercing ist eine aktuelle Form des autoerotischen Narzissmus, die genoptimierte, knitterfreie Cyberspace–Schönheit bleibt noch die grosse Utopie im präformierten Menschenpark. Design will nicht mehr erziehen, sondern strebt nach der totalen Manipulation. Unsichtbar steuert es inzwischen das Verhalten und Empfinden der Menschen, fixiert durch ästhetische Signale die Gruppenzugehörigkeit und indoktriniert sogar das Konsumverhalten und die Essgewohnheiten. Design ist ein raffinierter Botschafter der Illusionen und der geheimen Träume, denn es jongliert mit Farben und Gerüchen, aber auch mit akustischen und sensorischen Effekten. Das Versprechen von Glück ist immer die Basis dieses psychologisch aufgerüsteten Designerparks, in dem die konkrete Wirklichkeit wie aufgehoben erscheint. Zonker scannt ihre Oberflächen ab. Die Hypermoderne ist bis zur Unübersichtlichkeit ausdifferenziert. Der Rekurs auf die angenehme Vergangenheit erzeugt in der Gegenwart ein Retro–Styling, das wie ein anmutiger Fremdkörper bei diesen Menschen um Unterschlupf nachsucht. Seltsam, wie falsch und nutzlos das Altvordere wiederkehrt. Verblüffend ist – das trotz aller stilistischen Disparität – nie der Eindruck der Beliebigkeit entsteht. Es sind nicht Personen oder Gefühle, die hier miteinander kommunizieren werden, sondern Stimmungslagen, Positionen, Medien. Das könnte, trotz aller Abstraktion, interessant werden, wenn diese Diskurse eigenes Leben entwickeln würden. Aber nachdem die Positionen geklärt sind, finden keine Entwicklung und auch keine Zuspitzung statt. Es geht dem Datendandy nicht um Werktreue. Es geht ihm um mehr: um Treue zu sich selbst.

 

 

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Zombies, Erzählungen von A. J. Weigoni, Edi­tion Das Labor, Mülheim an der Ruhr 2010.

Coverphoto: Anja Roth

Weiterfühend → KUNO übernimmt einen Artikel von Karl Feldkamp aus Neue Rheinische Zeitung und von Jo Weiß von fixpoetry. Enrik Lauer stellt den Band unter Kanonverdacht. Betty Davis sieht darin die Gegenwartslage der Literatur, Margaretha Schnarhelt kennt den Ausgangspunkt und Constanze Schmidt erkennt literarische Polaroids. Holger Benkel beobachtet Kleine Dämonen auf Tour. Ein Essay über Unlust am Leben, Angst vor’m Tod. Für Jesko Hagen bleiben die Untoten lebendig.