Spleenige Marotten

 

Mae lotste den arroganten Beamten auf dem schnellsten Weg am alten Schloss Crange entlang, vorbei an den Budengassen, vorbei an den Fachwerkhäusern. Galonska, der sie begleitete, hatte sich über Tilkowskis Auftrag gewundert, das Grab des Hundes zu suchen. War empört, mit der Arbeit eines Praktikanten beauftragt zu werden. Es wäre einfacher gewesen, bis zum Abbau der Kirmes zu warten. Mae führte ihn zum Schleusengelände am Kanal hinauf. Hier trafen sich die Einheimischen, von hier aus hatte man den besten Blick auf das Feuerwerk.

»Er liegt auf städtischen Gelände. Hier kann Ihr Hund nicht bleiben.«

»Wann graben Sie ihn aus?«

»Wir werden erst die Adresse eines Tierfriedhofes ausmachen…« Galonska, sah sich um, »Sie haben Glück. Hier ist kein Grundwasser. Keine Gefahr!« Wie Tilkowski es von Galonska verlangt hatte, verschaffte er sich einen Überblick. Das ausgehobene Stück Erde hatte man bereits platt getreten. Der versengte Rasen sah aus, als hätte man hier nie etwas vergraben. Per Sprechfunkgerät informierte er seinen Vorgesetzten über den Tatbestand.

»Kommen Sie sofort wieder zurück«, knurrte Tilkowski. Der alte Routinier wusste, dass auf Crange etwas verdammt schief lag, nur wusste er nicht, wo er sein ohnehin knappes Personal konzentrieren sollte. Das machte ihn nervös, reizbar und hilflos. Ihm blieb nichts anderes übrig, als abzuwarten und auf eine Intuition zu hoffen.

»Ich bleibe noch hier«, gab Mae kund und ließ sich am Grab von Josi nieder. Der Beamte sah sie verwundert an. „Alte Menschen werden wunderlich“, dachte er. Auch sein Großvater pflegte in den letzten Lebensjahren spleenige Marotten. Er schüttelte den Kopf. Aus seiner Perspektive schien die alte Frau kleiner zu werden. Ihr weißes Haar glänzte mit verhaltener Eleganz.

»Sie können mich ruhig hier lassen. Ich kenne mich hier aus«, unterdrückte sie ein Schluchzen. Er verabschiedete sich leise. Mae sah ihm nach. Sie hatte vergessen, nach seinem Namen zu fragen. „Namen…“, dachte sie, „sind auf der Kirmes nicht wichtig. Sie hatte die Linien in seinen Händen gesehen. Wenn nichts dazwischen kam, würde er ein sorgenfreies Leben mit einer Hausfrau und zwei Kindern führen.

 

 

Fortsetzung folgt.

***

Massaker, ein Cranger-Cirmes-Crimi von Barbara Ester und A.J. Weigoni, Krash-Verlag 2001

Weiterführend →

In der Reihe Gossenhefte zeigt sich, was passiert, wenn sich literarischer Bodensatz und die Reflexionsmöglichkeiten von populärkulturellen Tugenden nahe genug kommen. Der Essay Perlen des Trash stellt diese Reihe ausführlich vor. Dem Begriff Trash haftet der Hauch der Verruchtheit und des Nonkonformismus an. In Musik, Kunst oder Film gilt Trash als Bewegung, die im Klandestinen stattfindet und an der nur ein exklusiver Kreis nonkonformistischer Aussenseiter partizipiert. Lesen Sie auch das Kollegengespräch von A.J. Weigoni mit dem echten Bastei Lübbe-Autor Dieter Walter. Eine Würdigung von Massaker durch Betty Davis lesen Sie hier. Die Hörfassung unter dem Titel Blutrausch hören Sie in der Reihe MetaPhon. Als Tag für die Vorstellung dieses Cranger-Cirmes-Crimis war der 11. September 2001 vorgesehen.