Groschenhefte

 

WEIGONI: Die ersten Groschenhefte erschienen um 1924 in den USA, das bekannteste hiess Black Mask. In diesem Schundheft publizierten Hammett, Chandler, Woolrich u.a. ihre ersten Short-Storys. Mit meinem damaligen Verleger kam ich auf die Idee, sogenannte Gossenhefte zu produzieren. Die BRD-typische Teilung in seriöse und triviale Literatur reizte dazu, sich elegant und mit einem ironischen Augenzwinkern zwischen diese Stühle zu setzen. Zusammen mit dem Krasch-Verlag starteten wir eine Reihe, die das bekannte Format benutzte. Es wurde nach einem rasanten Start ein Flop, weil Satire, Ironie und tiefere Bedeutung im wiedervereinigten Deutschland keine Chance haben. Um so erstaunter war ich, als ich in der Andrea Bergen-Reihe des Bastei-Verlags Figurennamen wie Ricarda Bräutigam oder Jack Fauser fand. Lässt sich vielleicht doch Literatur in sogenannte Schundromane schmuggeln?
DIETER WALTER: Nur auf eine spielerische Art, indem ich Namen aus der Literaturszene verwende und verfremde. Literatur im engeren Sinne kommt beim Leser nicht an. Einmal habe ich in einem Alpenroman den Kitsch ironisch überhöht, das haben die Leute nicht gemerkt, nicht einmal die Redakteure. Die meinten: so sollte ich künftig meine Romane immer abliefern. Die meisten Leser wollen keinen anspruchsvollen Text, sondern sie nehmen den Heftroman zur Hand, um sich abzulenken, die Wartezeit beim Arzt zu überbrücken oder abends beim Lesen einzuschlafen. Literarischer Anspruch würde sie vergraulen. Allerdings bin ich mir einer gewissen Verantwortung gegenüber meinen Lesern bewusst.
WEIGONI: Wie kann man sich die Arbeit an einem Heftroman vorstellen?
WALTER: Wie beim Kasperle-Spiel. Ich habe die Kulissen und die Hauptfiguren – das ist das Serienexposé, das der Redakteur zusammen mit der Marketing-Abteilung festgelegt hat. Darin kann ich mich mit einigen wenigen selbst eingebrachten Nebenpersonen und einer erfundenen Handlung einigermassen frei bewegen. Liebe, Tragik und Happy End sind vorgeschrieben. Ich mache einen Entwurf von einer Seite, schicke ihn an die Redakteurin, die darauf achtet, dass die verschiedenen Autoren, die an einer Serie schreiben, nicht gegeneinander arbeiten. Drei Tage später rufe ich an, hole mir das Okay (oder die Änderungswünsche) und fange an zu schreiben. Hier geht jeder Autor anders vor. Ich selbst mache mir einen Szenenplan. Optisch ergeben die beiden Handlungsstränge zusammen mit der Rahmenhandlung ein Zopfmuster. Daran schreibe ich entlang, etwa acht Stunden am Tag. Morgens korrigiere ich immer erst die Arbeit von gestern, dann kommt der neue Text. Neben jedem Szenenentwurf habe ich am Rand die vorgesehene Seitenzahl und den Wochentag stehen, an dem ich diese Stelle erreicht haben muss, damit ich pünktlich zum Abliefertermin den Roman in der vorgeschriebenen Länge von 122 1/4 Seiten fertig habe. Stress also. Und diese Tretmühle mache ich mir erträglicher, indem ich Freunde und Kollegen einbaue und sie auf diese Weise grüsse. Insgesamt macht mir die Arbeit an diesen Romanen Spass. Schliesslich gibt es schwerere Methoden, sein Geld zu verdienen.
WEIGONI: Was darf alles nicht in einem Heftroman vorkommen?
WALTER: Die Gosse. Das heisst, der Roman darf nicht in der Unterschicht spielen. Laut Serienexposé soll trister Sozialmief vermieden werden. Auch Politik ist unerwünscht, aber da wage ich schon, den positiven Hauptfiguren meine Meinung in den Mund zu legen. Zwar mache ich für keine Partei Reklame, aber meine Grundeinstellung kommt schon durch. Ich will nicht durch gänzliches Unpolitischsein (wenn es das überhaupt gibt) die Leserschaft einlullen, sondern ich nutze die Gelegenheit schon aus, dass ich so viele Leute erreiche – Menschen, die vielleicht ausser diesen Heftromanen gar nicht lesen. Da habe ich schon öfter Stellung bezogen, z.B. zum Thema Rassismus oder deutsch-deutsche Vereinigung. Was ausserdem nicht vorkommen darf, ist Verherrlichung von Gewalt, klar. Oder Sex, jedenfalls nicht detailliert beschrieben.
WEIGONI: In England sind sogenannte Loser-Stories der Einschaltquotenrenner, ist soetwas hier nicht auch denkbar?
WALTER: Loser-Stories… im Heftroman nicht. Die Verlage gehen davon aus, dass die Leser eine heile Welt geliefert bekommen wollen, die sie sonst in ihrem Alltag nicht haben. Nicht zu Unrecht bezeichnet man die Groschenromane ja auch als Fluchtliteratur, weil Leser und Autor darin die Realität fliehen. Aber mich persönlich würden Loser-Geschichten schon begeistern. Ich glaube, so etwas ist in Deutschland nur als Persiflage möglich, jedenfalls zur Zeit. Ich versuche gerade, einen solchen Loser-Roman zu schreiben, der natürlich nicht in einem Heftromanverlag erscheint, sondern als Satire in einem anderen. Es ist sehr schwierig, so etwas zu schreiben, wenn man nur unterhalten, nur erzählen will, ohne gleich sozialkritisch vom Leder zu ziehen. Meine Geschichte wird eine Art Road-Story, die gleich mehrere Dauerverlierer zu Helden hat.
WEIGONI: Hört sich spannend an. Dazu bitte mehr!
WALTER: Leser sollen sich mit einer Person in der Geschichte identifizieren können. Dazu gehören nun mal Pechsträhnen und die Tatsache, dass sich nicht alles in einem Happy End auflösen lässt. Die Wirklichkeit ist anders. Wenn ich mich umschaue, dann sehe ich jede Menge Pechvögel und ich kann mir vorstellen, dass der Leser zufrieden ist, wenn er sieht, dass es anderen ebenso geht wie ihm selbst. Der schwarz arbeitende Taxifahrer, der ausgerechnet seinen Sachbearbeiter vom Arbeitsamt neben sich einsteigen sieht, der Bankräuber, der sich nach erfolgreichen Flucht um seine Geisel sorgt, dort anruft und versehentlich seinen Namen nennt, aber auch der ganz normale Arbeitslose, der sich mit Nebenjobs durchs Leben schlägt oder sich in Vereinen engagiert und so viele Termine hat, dass es eine Katastrophe wäre, wenn er plötzlich einen Job bekäme… Ich finde es schade, dass ich in Heftromanen davon so wenig wiedergeben kann. Früher war das vielleicht anders… ich erinnere mich an einen Liebesroman aus den 50-er Jahren, der hatte eine Schrankenwärterin zur Heldin, die sich arm und kränkelnd durchs Leben schlug, bis sie schliesslich ihr Glück fand. Plötzlich tauchte der totgeglaubte Ehemann aus russischer Gefangenschaft auf. Da ist die Realität der Zeit drin.
WEIGONI: Hört sich nach der proklamierten Trümmerliteratur an, die so nicht erscheinen konnte.
WALTER: Trümmerliteratur würde ich das noch nicht nennen. Es war Unterhaltung, die ein bisschen vom damaligen Alltag mit einbezog. Das würde ich in meinen Heftromanen gern auch tun, aber so etwas kann man angeblich heute nicht mehr machen. Ich möchte es mit Loser-Romanen einfach mal versuchen. Nur weiss ich noch keinen geeigneten Titel. Persönlich würde mir »Die Wattenscheider« gefallen, aber da fühlen sich bestimmt eine ganze Menge Leute auf den Schlips getreten.
WEIGONI: Die Menschen freuen sich heutigentags, wenn sie überhaupt vorkommen, auch als Feindbild.
WALTER: Als Feindbild würde ich die Leute auch nicht hinstellen. Das haben sie nicht verdient. Ich zeichne sie schon liebenswürdig, damit man sich mit ihnen identifiziert, aber sie sind eben Verlierer. Sind das nicht viele von uns?
WEIGONI: Die meisten.
WALTER: Wenn das ankommt beim Leser, schwebt mir anschliessend eine Geschichte um einen Heftroman-Autor vor. Im Grunde sind wir ja auch Verlierer: werden nicht als Schriftsteller angesehen, sondern als miese Schreiberlinge verunglimpft. Dabei unterscheiden wir uns vom Literaten höchstens ungefähr so, wie der Fliessbandarbeiter vom Handwerksmeister. Ganz besonders, was die wirtschaftliche Situation betrifft.
WEIGONI: Wie sieht die konkret aus?
WALTER: Autoren, die in der Lage sind, zwei oder drei Romane im Monat herunterzuschreiben, verdienen ganz gut. Wer wie ich nur einen Roman im Monat zustandebringt, kann nicht davon leben, sondern hat vielleicht gerade das Existenzminimum. Es bleibt dann kaum Zeit, noch etwas anderes zu schreiben, was vielleicht literarischen Ansprüchen genügt. Wer sich einmal darauf eingelassen hat, vom Heftchenschreiben leben zu wollen, der ist in einer Tretmühle und vollkommen abhängig vom Verlag. Der bestimmt die Honorare, und man hat keinen Verhandlungsspielraum, weil genug andere Autoren da sind, die auch für weniger Geld arbeiten. Da wird mir, wenn ich statt 1400 Mark für einen Roman sagen wir 1500 haben will, die schreibende Hausfrau vorgehalten, die es für 800 Mark macht oder aus Dankbarkeit dafür, dass etwas von ihr gedruckt erscheint, sogar umsonst.
WEIGONI: Jeder für sich und Gott gegen alle?
WALTER: Dass Heftromanautoren gemeinsam an einem Strang ziehen, scheint mir unmöglich. Durch die Honorarsituation und dadurch, dass der Verlag jederzeit sagen kann, wir nehmen jetzt keinen Roman mehr von Ihnen, wird die Konkurrenzsituation geschärft. Ausserdem – welcher Autor gibt schon zu, dass er Heftromane schreibt? Bei VS-Treffen gibt man sich diesbezüglich bedeckt, so dass die einzige Instanz, die uns vertreten und mit uns zusammen etwas bewirken könnte, nämlich die Gewerkschaft, deren Bestandteil der VS ja ist, aussen vor bleibt. Es wagt ja auch kein Heftromanautor, Forderungen zu stellen, weder als Einzelner noch in der Gruppe, denn er muss ja um seine Aufträge fürchten. Da gibt es ganz schlimme Abhängigkeiten und es wäre gut, wenn Menschen, die in ähnlicher Situation sind, sich mal zusammensetzen. In der Gewerkschaft müsste das machbar sein. Allerdings will ich auch nicht unerwähnt lassen, dass der Verlag mich auch für gewisse Zeit auffängt. Wenn ich mal krank oder sonstwie verhindert bin, gebe ich bescheid, dass ich im Moment nicht liefern kann, dann muss ich nicht um spätere Aufträge fürchten.
WEIGONI: Wenn ich mich im VS umsehe, habe ich manchmal das Gefühl von Lehrern, Zahnärzten und Anwälten umgeben zu sein, nur nicht mehr von Autoren. Welche Erfahrungen machst du mit der Vereinigung der Einzelgänger?
WALTER: Seit ich 1973 beigetreten bin, habe ich ganz unterschiedliche Erfahrungen gemacht und seitdem auch in verschiedenen Bundesländern gelebt. In NRW, wo die gewerkschaftliche Orientierung am stärksten ist, gibt es wohl auch die häufigsten Querelen. Eine Menge Cliquen wollen da ihr eigenes Süppchen kochen, und die Leute, die tatsächlich ernsthaft arbeiten sehen sich oft ungerechten Angriffen ausgesetzt. Das frustriert nicht nur diese, sondern auch die einzelnen Mitglieder. In NRW habe ich viele Gewerkschafter als kaum solidarisch erlebt. In Bayern, wo ich seit kurzem wohne, ist es anders. Es gibt einen VS auf Landesebene und mehrere unterschiedlich arbeitende Bezirksgruppen. Die Gruppe München-Oberbayern hat sich jetzt erst gegründet, und das Anfangsstadium gestaltet sich sehr spannend. Auf der Jahreshauptversammlung fiel mehrfach das Wort von der „Re-Literarisierung des VS“, womit wohl die verstärkte Besinnung auf die eigentlichen Anliegen einer Autorenvereinigung gemeint ist.
WEIGONI: Besser kann man es wohl kaum auf den Punkt bringen! Neben deiner Tätigkeit als Groschenheftautor kennt man dich als „seriösen“ Schriftsteller. Gibt es da keinen Konflikt zwischen diesen Arbeiten?
WALTER: Nein. Eine Unterscheidung zwischen trivialer Literatur und „seriöser“ treffen nur wir Deutschen. Warum ist Unterhaltung nicht seriös? Nur weil sie leicht zu lesen und die Sprache trivial ist? Einem Franzosen oder Engländer könnte ich den Unterschied zwischen seriöser und nichtseriöser Literatur gar nicht erklären. Nichtseriös ist für mich z.B. Gewaltverherrlichung oder braune Ideologie. Da ist für mich die Grenze, nirgends sonst. Ich gehe mit Verantwortungsbewusstsein an meine Arbeit, erzähle den Leuten keinen Unsinn, sondern schenke ihnen für ein Weilchen ein paar schöne Träume. Anders macht es das Fernsehen doch auch nicht mit seinen Serien, und da kommt oft wirklich Schlimmes. Aber so wie das Fernsehen neben Soap-Operas auch anspruchsvolle Filme bringt, schreibe ich auch Texte, an die ich für mich selbst höhere Ansprüche stelle, Geschichten, die sprachlich ausgefeilter sind und sich inhaltlich mit Themen befassen, die ich nicht im Heftroman unterbringen kann. Ich habe fünf Reiseführer veröffentlicht, die sich mit verschiedenen Regionen Australiens bzw. mit den grossen Städten befassen.
WEIGONI: Damit nicht genug. Um diese unterschiedlichen Tätigkeiten noch zu toppen, bist du auch als Kleinst-Verleger tätig. Woher nimmst du den Idealismus für diese Herausgebertätigkeit?
WALTER: Das frage ich mich manchmal selbst. Dieser Idealismus, wie du es nennst, ist vielleicht Eigennutz. Durch diese Tätigkeit als Kleinverleger habe ich die meisten Kontakte zu Kollegen. Auch wenn ich schon eine Menge Geld auf diese Weise verpulvert habe, lohnt sich das also ideell und ausserdem macht es Spass. Ein Hobby muss der Mensch ja haben, um seinen beruflichen Stress auszugleichen.

 

 

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Um den Bücherberg nicht zu vergrössern war dieses Buch als Printing on demand erhältlich. Die digitalisierten Daten konnten abgerufen und in kleineren Stückzahlen gedruckt werden.
Dieser Band war als bibliophile Vorzugsausgabe erhältlich über den Ventil-Verlag, Mainz

Aus Recherchegründen hat der vordenker die Kollegengespräche  ins Netz gestellt. Sie können hier abgerufen werden. Die Kulturnotizen (KUNO) haben diese Reihe in loser Folge ab 2011 fortgesetzt.

Einen Essay zu dieser Reihe finden Sie hier.

PS Alle 4 Wochen erscheint unter dem Pseudonym ein Roman der Serie: »Notärztin Andrea Bergen«, Bastei-Verlag, 2,30 DM.