Groschenheftliteratur im Self-Publishing

 

Der Verleger ist der natürliche Feind des Autors, diesen Eindruck bekommt man, wenn man den empfehlenswerten Artikel im Freitag liest. Jan C. Behmann vom Freitag hat sich bei dem Autor Michael Meisheit, der neben Liebesromanen auch Science-Fiction-Genremixes schreibt, einmal nachgefragt. Viele Self-Publisher lockt  die bessere Honorierung ihrer Arbeit:

„Die Verlage halten an den Preisen für E-Books fest, die ungefähr in der Höhe der gedruckten Taschenbuchausgaben liegen, obwohl das produktionstechnisch überhaupt nicht notwendig wäre. Ich bin froh, dass sie das tun, denn ich kann sie für drei bis fünf Euro weniger anbieten und habe mit meinen 70 Prozent, die ich von Amazon bekomme, wo ich meine Werke verkaufe, immer noch deutlich mehr als ein Verlagsautor mit seinen 5 – 10 Prozent.“

Gegen diesen Zeitgeist richtete 1989 auch das Programm des Krash-Verlags. Diese Klassiker der Gegenkultur halten uns den Spiegel vor, sie zeigen unsere eigenen verdrängten Gelüste und eine Schmud­del­va­ri­ante unserer Welt des neolibe­ralen, rasenden Still­stands.

Scharfe Schüsse, ätzende Figuren. Gossenromane mit ausgefeilter Redekultur für alle, die Trash & Tragödie nicht missen wollen.

Buchkultur, Wien

Im Herbst 1989 erschien im Krash-Verlag das erste Gossenheft mit dem Titel Jaguar, der Verlag aus der Domstadt griff auf eine Tradition zurück. Die ersten  Groschenhefte erschienen um 1920 in den USA, das bekannteste hieß Black Mask. In diesem Schundheft publizierten Hammett, Chandler, Woolrich u.a. ihre ersten Short-Storys. A.J. Weigoni regte den Verleger Dietmar Pokoyski 1989 dazu an, das von ihm entwickelte Konzept Gossenhefte ins Programm aufzunehmen.  Die BRD-typische Teilung in seriöse und triviale Literatur reizte dazu,  sich elegant und mit einem ironischen Augenzwinkern zwischen diese  Stühle zu setzen. Zusammen mit dem Krash-Verlag startete  Weigoni eine Reihe, die das bekannte Format benutzte. Auch wenn der WDR  das erste Gossenheft unter dem Titel Auf der Suche nach McGuffin als Hörspiel produzierte, wurde die Reihe einem rasanten Start ein Flop, weil Satire, Ironie und tiefere Bedeutung im wiedervereinigten Deutschland kaum eine Chance haben. Aber wie postulierte der bayrische Anarchist Herbert Achternbusch: „Du hast keine Chance, aber nutze sie.“

Weigonis doppelhelixhafte Erzählstränge folgen einer dialektischen Konstruktion.

Jaguar ist eine ‚Melancholödie’, die in einer großstädtischen Kneipen- und Kunstszene spielt, das Akademieumfeld der Landeshauptstadt NRWs und die Szene der Ratingerstraße sind ahnbar. Historischer Bezug der Figuren ist der Rock’n’Roll. So denken und handeln sie auch: schnell, hart und laut. Dabei verfangen sie sich in ausgelegten Fallstricken. Schneider und Zonker sind Figuren in einem Spiel von Dr. h.c. Paul Pozozza. Pozozza ist Repräsentant eines Systems, an das er nur glaubt, weil es Profit bringt. Die Malerin Vera Strange ist nicht nur ein Inbegriff romantischer Künstlerexistenz, sondern ein spätes Aufleuchten der Moderne in einem ungleichzeitigen Kontext. Weil Romantik der letzte Versuch ist, in der Kunst etwas Ganzes zu schaffen und die Moderne das Bewusstsein ihrer notwendigen Zerrissenheit einschließt, dann ist sie ein Repräsentant von beidem. Dazwischen steht die Galeristin Grazia Terribile. Sie hat ideelle Vorstellungen, die sie materiell umsetzt. Die eiskalte Hand des Neoliberalismus wurde mit dem hirschledernen Handschuh der Kunstfreiheit überzogen, damit der auspressende Griff um den Hals der künstlerischen Arbeiter keine Fingerabdrücke hinterläßt.

 

 

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Covermontage: Jesko Hagen

Weiterentwicklung →
Das erste Gossenheft dieser Reihe, den 1989 erschienenen Jaguar, überarbeitete A.J. Weigoni im Lauf der Zeit zur Neo-Noir-Novelle Der McGuffin – Nachruf auf den Kriminalroman für das Buch
Weiterführend → KUNO übernimmt Artikel von Jo Weiß aus Kultura-extra, von Karl Feldkamp aus Neue Rheinische Zeitung und von Christine Kappe aus der vom Netz gegangenen fixpoetry. Betty Davis sieht in Cyberspasz eine präzise Geschichtsprosa. Margaretha Schnarhelt erkennt in der real virtuality eine hybride Prosa. Enrik Lauer deutet diese Novellen als Schopenhauers Nachwirken im Internet. In einem Essay betreibt KUNO dystopische Zukunftsforschung.

Cyberspasz, a real virtuality, Novellen von A. J. Weigoni, Edi­tion Das Labor, Mülheim an der Ruhr 2012.

Weiterführend →

In der Reihe Gossenhefte zeigt sich, was passiert, wenn sich literarischer Bodensatz und die Reflexionsmöglichkeiten von populärkulturellen Tugenden nahe genug kommen. Der Essay Perlen des Trash stellt diese Reihe ausführlich vor. Außerdem sei Enno Stahls fulminantes Zeitdokument Deutscher Trash ebenso endrücklich empfohlen wie das Vorwort zu Trash-Piloten von Heiner Link. Constanze Schmidt beschreibt den Weg von Proust zu Pulp.

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