Wie man als Vergrämer das Netz unterhält

Dank des Kurznachrichtendienstes Twitter ist das Aperçu in Form des Mikroblogging eine auflebende Form

Lebensweisheiten verbreitet der Schriftsteller Jan-Uwe Fitz (@vergraemer) auf Twitter. Seine TwitterFigur »Taubenvergrämer Fitz« ist eine reine Kunstigur und hat nichts mit ihrem Erfinder gemein. Die schlimmsten Dinge gehen diesem ewig schlecht gelaunten Vergrämer durch den Kopf und von da gleich ins Netz, wo mittlerweile knapp 50.000 Follower den Account abonniert haben.

Jan Drees: In welcher Weise beeinflusst Twitter Dein Schreiben?

Jan-Uwe Fitz: Ich entwickele meine Geschichten mitunter aus Tweets. Zum Beispiel beginnt mein erstes Buch mit einem meiner eigenen Lieblingstweets, aus dem sich dann die Handlung entwickelt.

Was sind für Dich die Unterschiede zwischen der üblichen Twitter-Nutzung und Twitteratur?

Ich sehe mich nicht als Twitterat. Ich nutze Twitter intuitiv, denke nicht großartig nach, sondern nutze es als Notizblock, den jeder einsehen kann. Ich nutze den Umstand, dass auf Twitter nur ich entscheide, was veröffentlicht wird. Kein Verleger,Lektor etc.

Du veranstaltest Twitterlesungen – wo und was passiert dort?

Zum einen in Bars, zum anderen in den beiden 4010-Stores in Berlin und Köln. Die 4010 Stores zahlen ein Honorar, in den Bars ist es eher eine Spaßveranstaltung ohne Geld. Wir regen die Zuschauer aber zu Spenden an.

Mit welchen anderen Formaten experimentierst Du?

Auf Facebook verwerte ich erfolgreiche Tweets. Ansonsten folgt alles, was ich schreibe, keinem Konzept. In den meisten Fällen twittere, facebooke und schreibe ich intuitiv, im Stile des automatischen Schreibens der Surrealisten.

Wie verbreitet sich Deine Twitterliteratur?

Es gibt meine gesammelten Tweets in dem E-Book Vergraemungen6. Ansonsten tauchen meine Tweets auch in meinen beiden Büchern Entschuldigen Sie meine Störung und Wenn ich was kann, dann nichts dafür auf. Allerdings auch hier: ohne Konzept. Ich schreibe, was immer mir einfällt, ohne einem Konzept zu folgen.

Über welche Foren, Treffen, Gruppen ist die Twitteratur-Community vernetzt?

Keine Ahnung. Ich bin kein Teil einer Community. Ich habe Twitter einfach genutzt, weil es kostenlos war und Spaß gemacht hat. Sehe mich aber nach wie vor als Einzelgänger. Ich kann zu Communities nichts sagen, da ich Twitter hauptsächlich zum Senden nutze.

Wofür nutzt Du Twitter noch, was gibst Du dort von Dir preis?

Ich schreibe, was mir einfällt. Vieles verklausuliert. Das Recht nehme ich mir,  auch wenn viele darüber schimpfen und nachfragen, was oder wen ich meine. Ich antworte aber nur auf direkte Kommunikation, nicht auf Online-Brüller. Ansonsten arbeite ich als Werbetexter und Übersetzer, das heißt, ich adaptiere internationaleKampagnen für den deutschen Markt. U. a. adidas, Google. Ich sehe mich eher als Einzelgänger denn als Herdentier, weil mich Fremde deprimieren und ich von ihnen nur das Übelste erwarte.

Reagieren Deine Follower anders auf Deine Vergraemer-Posts als Deine Leser auf Deine Bücher?

Meine Follower wissen, was sie bei mir erwartet. Meine Leser nicht. Sie ärgern sich mitunter, Geld für meine Werke bezahlt zu haben, weil mein Humor nicht der ihre ist.

 

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Die GENERATOR-Reihe wird herausgegeben von Stephan Porombka, Professor für Texttheorie und -gestaltung an der UdK Berlin.
Format: Kindle Edition, Dateigröße: 634 KB
Seitenzahl der Print-Ausgabe: 70 Seiten
Verlag: Frohmann

 

Weiterführend →

KUNO hat unterschiedliche Autoren zu einen Exkurs zur Twitteratur gebeten, und glücklicherweise sind die Antworten so vielfältig, wie die Arbeiten dieser Autoren. Über den Vorläufer der Twitteratur berichtet Maximilian Zander. Anja Wurm, sizzierte, warum Netzliteratur Ohne Unterlaß geschieht. Ulrich Bergmann sieht das Thema in seinem Einsprengsel ad gloriam tvvitteraturae! eher kulturpessimistisch. Für Karl Feldkamp ist Twitteratur: Kurz knackig einfühlsam. Jesko Hagen denkt über das fragile Gleichgewicht von Kunst und Politik nach. Sebastian Schmidt erkundet das Sein in der Timeline. Gleichfalls zur Kurzform Lyrik haben wir Dr. Tamara Kudryavtseva vom Gorki-Institut für Weltliteratur der Russischen Akademie der Wissenschaften um einen Beitrag gebeten. Mit ‚TWITTERATUR | Digitale Kürzestschreibweisen‘ betreten Jan Drees und Sandra Anika Meyer ein neues Beobachtungsfeld der Literaturwissenschaft. Und sie machen erste Vorschläge, wie es zu kartographieren wäre. Eine unverzichtbare Lektüre zu dieser neuen Gattung. Maximilian Zander berichtet über eine Kleinform der spanischen Literatur. Holger Benkel begibt sich mit seinen Aphorismen Gedanken, die um Ecken biegen auf ein anderes Versuchsfeld. Die Variation von Haimo Hieronymus Twitteratur ist die Kurznovelle. Peter Meilchen beschreibt in der Reihe Leben in Möglichkeitsfloskeln die Augenblicke, da das Wahrnehmen in das Verlangen umschlägt, das Wahrgenommene schreibend zu fixieren. Sophie Reyer bezieht sich auf die Tradition der Lyrik und vollzieht den Weg vom Zierpen zum Zwitschern nach. Nur auf KUNO sind die Mikrogramme von A.J. Weigoni zu finden. Gemeinsam mit Sophie Reyer präsentierte A.J. Weigoni auf KUNO das Projekt Wortspielhalle, welches mit dem lime_lab ausgezeichnet wurde. Mit dem fulminanten Essay Romanvernichtungsdreck! #errorcreatingtweet setzte Denis Ulrich den vorläufigen Schlußpunkt.