Von Maschinen und Erinnerungen

 

„Denk mal logisch!“ Wie oft hat man das schon in der Schule gehört? Und zugegeben: Manch einer von uns musste bei diesem Satz wahrscheinlich schon mit acht Jahren die Augen verdrehen. Denn wie wir alle von klein auf wissen: Trotz unseres Verstandes wird unser Gehirn nicht selten von falschen Annahmen und Schlüssen ausgetrickst. Dadurch, dass beispielsweise die Straße nass ist, folgt nicht zugleich, dass es regnet. Und auch, wenn man sich der Analyse unserer menschlichen Gefühle annähert, wird umso stärker klar: Wir Menschen bestehen nicht nur aus kognitiven Fähigkeiten- auch das Irrationale ist ein wichtiger Aspekt unseres Lebens. Eines zwar ist sicher: Personen mit geringeren logischen Fähigkeiten laufen eher und öfter Gefahr, im Leben zu scheitern. So können Fehler beim logischen Denken tragische Folgen haben — der Unfall von Tschernobyl beispielsweise ging auch auf das Konto „unlogischer“ Schlussfolgerungen beim Personal der Leitzentrale. Aber: wieviel bringt es, wichtige Aufgaben wie die Leitung einer Kernzentrale, an künstliche Intelligenz auszulagern?

Wird ein Roboter tatsächlich logischer handeln und entscheiden als wir Menschen?

„Bevor man beantworten kann, ob KI den Menschen im „logischen Denken“schlagen kann, muss man erst einmal klären, was man mit „logischem Denken“ üerhaupt meint. Da gibt es verschiedene Möglichkeiten, und davon, worauf man sich festlegt, wird abhängen, ob der Computer oder der Mensch die Nase vorn hat. Grob kann man sagen: je enger man dieDefinition fasst, desto grösser ist der Vorteil für den Computer.Zum Beispiel gelten beim Schach sehr starre Regeln, so dass der Gestaltungsspielraum für kreative Ideen stark eingeschränkt ist. (Man kann z.B. nicht einfach neue Figuren hinzuerfinden.) In solchen Situationen ist der Computer nicht mehr zu schlagen. Das andere Extrem finden wir zum Beispiel bei Problemstellungen in der mathematischen Forschung. Zwar ist die Mathematik auch nach starren Regeln organisiert (eben den Regeln der Logik), aber diese Regeln erlauben so viele Freiheiten, dass ein Mensch mit seiner Erfahrung, Intuition und Kreativität Probleme lösen kann, die derzeit noch weit ausserhalb der Reichweite von künstlicher Intelligenz liegen“, so Manuel Kauers, bekannter Mathematiker und Leiter des Institutes für Algebra- Eines jedenfalls ist sicher: Würde man die Welt von einem Algorithmus lenken lassen, so würde ein solches System eine Menge an Zeit und Geld sparen , jedoch würden aber auch gleichzeitig Millionen Arbeitsplätze verlustig gehen. Schenkt man der Theorie mancher Ökonomen Glauben, dann werden Menschen möglicher Weise bald schon nutzlos sein, da die Meisten ihrer Tätigkeiten leichter und effizienter von Robotern ausgeübt werden können. So behaupten böse Zungen, nicht – optimierte Menschen würden bald schon keinen Wert mehr haben. Während 3 – D- Drucker und Roboter die billigen Arbeitskräfte aus der dritten Welt ersetzen werden, die heute noch manuell Hemden herstellen, werden nur noch einige Angestellte bei Reisebüros benötigt, da wir unsere Flugtickets hauptsächlich über Smartphone erstehen – und so fort. Genauso sind auch Börsenhändler in Gefahr, denn der Börsenhandel verläuft inzwischen weitestgehend über Computer. Möglicher Weise wird es in Bälde sogar keine Polizisten oder Anwälte mehr brauchen, wenn erst eine gute App erfunden ist, der es gelingt, die Gehirnregionen und deren Wellen genau zu messen – denn beim Lügen verwenden wir andere Regionen in unserem Kopf als wenn wir die Wahrheit sagen. Zwar sind wir in Moment noch nicht so weit, aber es ist nicht unwahrscheinlich, dass funktionelle MRTs bald schon als Lügendetektoren fungieren können. Wozu braucht so eine Welt noch Kriminalbeamte?

Während digitale Lehrer nie ihre Aufmerksamkeitsspanne verlieren, jede Antwort, die ich gebe, genau festhalten und meine Zeitdauer bei der Beantwortung akribisch genau dokumentieren können, sind reale Lehrer fehlbare Menschen mit Menschen und einer begrenzten Aufmerksamkeitsspanne.

Und ja: sogar der humanistische Job des Arztes ist eine leichte Beute für jeden Algorithmus. Denn ein Arzt hat nur fünf Minuten Zeit um eine Diagnose zu stellen – und das führt oft zu Fehleinschätzungen. Ein Algorithmus jedoch macht keine Fehler. Das heißt freilich nicht, dass alle menschlichen Ärzte von einem Tag auf den anderen verschwinden werden. Jedoch werden sie wahrscheinlich kreativer und beweglicher sein müssen, um mit den Algorithmen mit zu halten. Das gilt freilich genauso für Apotheker. Manch eine These besagt, dass Algorithmen beide Berufsgruppen weit übertreffen würden, jedoch fehle es einem Roboter an Empathie. Was jedoch ist Empathie?

Weiß ein Gerät, das in Sekundenschnelle meine gesamte DNA und alle meine biometrischen Daten analysiert, nicht viel rascher Bescheid über meine biochemischen Prozesse – und somit über meine Gefühle?

Wie dem auch sei: 2013 veröffentlichten Karl Benedikt Frey und Michael A. Osborne eine Studie mit dem Title „The Future of Employment“, die sich mit der Wahrscheinlichkeit der Ablösung eines Berufes durch einen Algorithmen befasste. Die beiden schätzten, dass in etwa 27 Prozent aller Arbeitsplätze in den USA gefährdet seien. Gleichzeitig würden aber einige neue Arbeitsfelder entstehen: Zum Beispiel würde es in Bälde viele neue Berufe geben, die sich mit der Entstehung digitaler Welten auseinander setzen. Desiginer virtueller Räume werden gefragt sein. Doch: nicht jeder Allerweltsbürger hat den kreativen Geist, solch einen Job auszuführen. Darüber hinaus wächst das Wissen dergestalt rasch an, dass die Ausführenden sich möglicher Weise alle zehn Jahre völlig neu orientieren werden müssen – nur um dann vielleicht von einem noch besseren weil neu entstandenen Algorithmus ersetzt zu werden! Die Warnungen der Experten gehen jedoch noch weiter: Einige Wissenschafter – wie z.B. Nick Bostom – meinen sogar, dass die Menschheit die Degradierung im System möglicherweise gar nicht mehr erleben werde, da sie von den Algorithmen selbst bereits abgeschafft worden sei. Denn: hat die künstliche Intelligenz die Menschheit einmal überholt, so ist es ihr ein Leichtes, diese auszulöschen. Und zugegeben- diese Tatsache scheint nicht   unwahrscheinlich: Schließlich kann die Menschheit der künstlichen Intelligenz ja immer noch theoretisch jeder Zeit den Stecker ziehen, weil sie sie auch erschaffen hat, stimmt´s? Ein neuer Macht – Kampf dieser beiden Entitäten könnte bald schon ausarten, denn es ist um einiges schwieriger, die Motivation eines Systems zu kontrollieren, das schneller denkt und intelligenter ist als man selbst. Oder?

Doch die wichtigste Frage ist: wenn uns die Göttin des Algorithmus bald schon beherrschen wird, was passiert dann mit all den plötzlich arbeitslosen und dergestalt unnützen Menschen? Auch die Corona – Pandemie, die eher eine wirtschaftliche als eine gesundheitliche Krise der Menschheit darstellt, ist eine Folgeerscheinung und Symptom dieser großen Frage: Was geschieht mit „unnützem“ weil nicht effizienten Leben? Eines ist sicher: die Definition des Begriffs „Ethik“ wird sich um Laufe der nächsten Jahrzehnte verändern. Doch ich darf Sie beruhigen: Die letzte Schlacht ist längst noch nicht geschlagen. Denn wir Menschen haben künstlicher Intelligenz gegenüber einen großen Vorteil: den der Erinnerung! Während wir als Kind lernen, was ein Glas ist und wie und wofür man es benutzt, fehlt Robotern dieses Erlebnis vollständig. Und mit der Fähigkeit der Erinnerung geht ein weiteres wichtiges „Tool“ einher: das der Mustererkennung. Ein Roboter wird zwar alle ihm eingespeisten Befehle brav ausführen, aber wenn er nicht weiß, wozu ein Gegenstand in einer bestimmten Situation ganz konkret gebraucht wird, einfach weil ihm die Erfahrung fehlt, dann hilft ihm all seine Rechenleistung nicht. Freilich kann ein Algorithmus Erinnerung simulieren- jedoch nicht wahllos und nicht auf dieselbe bahnbrechende Art und Weise wie ein menschliches Gehirn. Es wird also noch ein wenig dauern, bis die KI uns Menschen endgültig abgelöst haben wird- und der Mensch selbst ist und bleibt der Schöpfer seiner Technologie und hat sie somit auch immer noch in der Hand-  „Im weiteren Sinn ist das logische Denken Voraussetzung für den technischen Fortschritt, und die moderne Technik ist ihrerseits Grundlage für fast das gesamte moderne Leben (Elektrizität, fliessendes Wasser, Verkehr, Kommunikationsmedizn, Versorgung etc. …)“, meint Manuel Kauers. Und: „Ich glaube, dass der Gesellschaft dieser Zusammenhang durchaus bewusst ist, auch wenn sich vielleicht nicht jeder Gedanken darüber macht, wie viel Denkleistung in einem Navigationsgerät verarbeitet ist.“ Spannend, so sei noch abschließend erwähnt, ist  jedenfalls folgende Frage, die sich in diesem Kontext neu stellt: was macht mich als Mensch aus, jenseits von Leib, Chemie und DNA? Ist unser genetischer Fingerabdruck schon alles? Gibt er  schon die gesamte Antwort auf die Frage nach meiner Existenz? Bestimmt nicht. Und mehr an Erkenntnis kann man leider auch nicht auf Amazon bestellen. Wir müssen uns also aufmachen, eine Reise antreten, ins Offene hinein gehen und uns aufs Neue die Frage stellen: was ist der Mensch?

 

 

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u.a. erschienen: BioMachtMonsterWeiber: eine Enzyklopädie von Sophie Reyer. Passagen Verlag 2021

Weiterführend Ein Porträt von Sophie Reyer findet sich hier. In ihrem preisgekrönten Essay Referenzuniversum geht Sophie Reyer der Frage nach, wie das Schreiben durch das schreibende Analysieren gebrochen wird. Die Sprechpartitur Wortspielhalle wurde mit dem lime_lab ausgezeichnet. Einen Artikel zum Konzept von Sophie Reyer und A.J. Weigoni lesen Sie hier. Vertiefend zur Lektüre empfohlen sei auch das Kollegengespräch :2= Verweisungszeichen zur Twitteratur von Reyer und Weigoni zum Projekt Wortspielhalle. Eine höherwertige Konfigurationentdeckt Constanze Schmidt in dieser Collaboration. Holger Benkel lauscht Zikaden und Hähern nach. Ein weiterer Blick beleuchtet die Inventionen von Peter Meilchen. Ein Essay fasst dieses transmediale Projekt zusammen. Eine Würdigung des Lebenswerks von Peter Meilchen findet sich hier. Alle LiteraturClips dieses Projekts können hier abgerufen werden. Hören kann man einen Auszug aus der Wortspielhalle in der Reihe MetaPhon.