Licht, mehr Licht!

Alles, was leuchtet, sieht.

Gaston Bachelard

Der Katalog ReferenzRäume bietet Anlass das bisherige Lebenswerk von Mischa Kuball assoziativ passe laufen zu lassen, ohne einen Nachrufmodus zu bedienen. Wie betrachten einen Querschnitt durch sein Werk der letzten vier Jahrzehnte. Diese „Referenzräume“ versammeln das eigentlich inkompatibele: Rauminstallationen, Fotografien, Videoprojektionen, Dokumentationen.

Als ich anfing, war Licht äquivalent zu Erkenntnis, das hat mich angetrieben. Aber inzwischen glaube ich, dass das Licht so viel zu Tage bringt, dass die Fülle an Information vielleicht sogar Erkenntnisgewinn eher verhindert als ermöglicht

Mischa Kuball

Bild: Archiv Mischa Kuball, Düsseldorf

Beginnen wird bei den Betrachtungen mit einer Erinnerung: Am Rhein stand einst ein Hochhaus, dessen Licht in der Nacht zu Weihnachtszeit sinnigerweise zu einem Tannenbaum verschaltet worden ist. Bis Kuball das Hochhaus in ein Megazeichen verwandelt hat, das nächtliche Lichtzeichen in den Düsseldorfer Stadtraum sendete. In dieser Zeit entstand auch ein Buchprojekt. Die Schnitte von Kuball finden ihre Entsprechung in der Prosa von A.J. Weigoni, die lyrische Kurzprosa mit dem Titel begegnungen mit f. die mit der Ergänzungsleistung des Lesers – und letztendlich des Betrachters spielt, denn auch Bilder wollen „gelesen“ werden. Rheinabwärts erinnern wir uns an eine ehemalige Synagoge in Stommeln, die gleißendes Licht in die Umgebung ausstrahlt. Nicht zu vergessen das Schild ‚EINSTURZSTELLE‘ als Geschenk von Kuball an die Domstadt am Rhein. Nach einigen Diskussionen hat die Stadt das Geschenk von Kuball angenommen. Der Skulpturist hat im Rheinland Spuren hinterlassen. Es erscheint schlüssig, dass er jüngst im Museum Morsbroich zu Gast war.

Der Düs­sel­dor­fer Me­di­en­künst­ler Mi­scha Ku­ball ist ei­ner der we­ni­gen Künst­ler, der das Licht schon im­mer auch in sei­ner (ge­sell­schafts-)politi­schen Di­men­si­on ver­stan­den und es ent­spre­chend in zahl­rei­chen Wer­ken und In­stal­la­tio­nen ein­ge­setzt hat. In sei­nem Aus­stel­lungs-Projekt pla­ton’s mir­ror kom­men dar­über hin­aus zwei wei­te­re As­pek­te hin­zu: ei­ne wahr­neh­mungs­äs­the­ti­sche Kom­po­nen­te so­wie die Mög­lich­kei­ten ei­ner neu­ar­ti­gen Bild­ge­ne­rie­rung durch Com­pu­ter-Tomogra­fie und den sich dar­aus ab­lei­ten­den hoch­ak­tu­el­len Fra­ge­stel­lun­gen in und für die Kunst.

An­dre­as Bei­tin

Primär mittels Licht verschiedenster Wellenbereiche erforscht Mischa Kuball mit Installationen, Performances, Fotografie und Projektionen architektonische Räume und deren soziale und politische Diskurse. Dabei reflektiert er – im doppelten Sinne – die unterschiedlichen Dimensionen von kulturellen und historischen Strukturen. Mit aufgewecktem Interesse erforscht er mit Hilfe des Lichts öffentliche und private Räume. Er beschäftigt sich mit der machtpolitischen Dimension der künstlich erzeugte Helligkeit, sei sie persuasiv, subversiv, repressiv oder schlicht nur dekorativ. Für seine Ausstellungen benötigt der Künstler keine tageslichthellen Räume, gerne bringt er auch mal Licht ins Dunkel. Kuball nutzt Licht als zielgenaue Projektion von Strahlen in geometrischen Formen, aber auch als Leuchtmittel für Diaprojektionen und in seiner alltäglichen Form als reines, von Lampen innerhalb oder außerhalb von Räumen erzeugtes Licht. Licht spielt in seinen Arbeiten sowohl in sei­ner (gesell­schafts-) po­li­ti­schen Di­men­si­on als auch als wahr­neh­mungs­äs­the­ti­sche Kom­po­nen­te eine Rolle. Der Artist versteht sich als ein in unterschiedlichen Medien und Räumen arbeitender Konzeptkünstler.

Ich bin vom Lichteuphoriker zum Lichtskeptiker geworden

Mischa Kuball über die Schwierigkeit mit Licht aufklärerische Impulse zu setzen

Foto: Achim Kukulies, Düsseldorf,
© Archiv Mischa Kuball, Düsseldorf / VG Bild-Kunst, Bonn 2022

Man kann das Künstlerleben von Kuball nicht als Heldenreise erzählen, daher gibt es wie in jedem Leben Risse, Unstetigkeitsstellen und Sprünge. Er begegnete uns in Leverkusen quasi als Lettrist, wenn er durch eine Diskokugel einen Strom von Buchstaben im Raum zirkulieren lässt. In einer Zeit, die im privaten wie im politischen Raum zunehmend von sogenannten „alternativen Wahrheiten“ durchsetzt ist, verknüpfen sich mit künstlerischen Interventionen und ihrem Erkenntnispotential, wie es in einigen von Kuballs Arbeiten zutage tritt, zentrale Sinnfragen. Mit Hilfe des Mediums Licht – in Installationen und Fotografie – erforscht Kuball architektonische Räume und deren soziale und politische Diskurse. In seiner Arbeit steht – mittelbar oder unmittelbar – das Interesse an Kommunikation im Zentrum. Seine ortsspezifischen Installationen und Interventionen werden zu Schauplätzen von sozialen und politischen Themen. Transformatorische Prozesse, generiert über De- und Re-kontextualisierungen von Objekten und Situationen kodieren das gängige Vokabular der uns umgebenden Welt neu. Dies auch abseits des Rheins, als er ein Projekt mit weltweit gespendeten Straßenlaternen als Solidaritätserklärung an das vom Erdbeben zerstörte Christchurch.

Aktivierende Infusionen in den Stadtraum

Ein weiterer Blick zurück: Das Jüdische Museum Berlin präsentierte zwischen 2017 und 2019 mit res·o·nant eine begehbare Licht- und Klanginstallation des Konzeptkünstlers Mischa Kuball. Die ortsbezogene Installation wurde eigens für die Ausstellungsfläche im Untergeschoss des Libeskind-Baus geschaffen. Auf insgesamt mehr als 350 Quadratmetern bespielte res·o·nant zwei der fünf den Museumsbau vertikal durchziehenden Voids. In den 24 Meter hohen Räumen werfen rotierende Projektoren Lichtfelder in Form der Void-Grundrisse an Wände, Decken, Boden sowie auf den Besucher selbst, der vom Betrachter zum Teil der Installation wird. Diese symbolischen Leerstellen, auf deren Materialität, Wirkung und Bedeutung sich Kuball bezieht, bilden den Ausgangspunkt für res·o·nant. Ebenso wird mittels drehender Spiegelelemente und Stroboskop-Blitze eine Resonanz zwischen Architektur und Körper erzeugt sowie ein Wahrnehmungs- und Reflektionsprozess anregt. Verstärkt wurde die Installation durch das akustische Element von 60-sekündigen Sounddateien, eingereicht von über 200 Musikern in einem Open Call.

Ich glaube, dass der Markt überbewertet ist, dass die Ökonomie überbewertet wird. Gute Kunst, schlechte Kunst, teure Kunst; notwendige Kunst finde ich spannender.

Mischa Kuball

Das Vorhaben einer spartenübergreifende Zusammenarbeit von Theater und bildender Kunst prägt das Konzept von Ruhrtriennale-Intendant Heiner Goebbels. Eines der interessantesten Projekte in diesem Jahr ist die Gestaltung des Außenraums der Bochumer Jahrhunderthalle durch den international renommierten Lichtkünstler Mischa Kuball. Mit Licht architektonische und urbane Räume erforschen, soziale und politische Diskurse anregen, mit einfachen Mitteln komplexe Themen ansprechen, das macht die Kunst von Kuball so eindringlich. Er reagiert auf Räume und verdeutlicht mit seiner Arbeit soziopolitische und psychologische und architektonische Elemente. Licht ist das wichtigste Material in seiner künstlerischer Arbeit. Wenn er einen Gegenstand, einen Ort akzentuiert, bewirkt das Erhellung und Aufklärung auch im übertragenen Sinne. Kuball holt Verdrängtes und Vergessenes aus der Vergangenheit, legt Sichtachsen frei und richtet quasi den Scheinwerfer neu aus.

Man überwindet neun Höhenmeter und man schaut auf die Dinge. Alles, was sich unten bewegt, ist entsprechend kleiner. Wenn man ganz oben ist, kann man über das Dach der Jahrhunderthalle hinwegschauen sieht, dann auf den blinkenden Wasserturm, der auch Teil meines künstlerischen Projekts ist.

Mischa Kuball

Die Installation Agora/Arena des Düsseldorfer Medienkünstlers für den Außenraum der Jahrhunderthalle ist Spurensuche und kulturelle Anthropologie zugleich. Mich interessiert Öffentlichkeit als Labor, sagt Kuball über seine künstlerischen Strategien. Mithilfe des Mediums Licht – in Installationen und Fotografie – erforscht er architektonische Räume und führt soziale und politische Diskurse. Kuball reflektiert auch in Bochum unterschiedliche Facetten von kulturellen Sozialstrukturen bis hin zu architektonischen Eingriffen, die den Wahrzeichencharakter und den architekturgeschichtlichen Kontext betonen oder neu kodieren. In politisch motivierten und partizipatorischen Projekten verschränken sich öffentlicher und privater Raum. Sie ermöglichen eine Kommunikation zwischen Teilnehmern, dem Künstler, dem Werk und dem öffentlichen Raum. Agora/Arena lädt die Zuschauer und Spaziergänger ein, das Gelände vor der Jahrhunderthalle als Kommunikationsort zu nutzen und mitzugestalten.

Wenn ich an das Ruhrgebiet denke, sehe ich deutlich vor Augen, wie sich meine Bilder davon gewandelt haben: Aus den rauchenden Schornsteinen und dem nächtlichen Feuer beim Abstich ist längst eine neue Zeit angebrochen, eine Zeit, die auch eine neue Heimat herausbildet für Menschen aus über 180 Nationen – das ist eine Tatsache; aber wie fühlt sie sich an? Wie leben denn diese vielen Menschen, Familien in der neuen Fremde, die ihr Zuhause geworden ist, und: Wie haben sich diese Lebensräume verändert?

Mischa Kuball

Diese Arbeit seit gleichsam fort, was Kuball in 2010 als partizipatorisches Projekt mit Harald Welzer und Christoph Keller geschaffen hat: NEW POTT, mit hundert Familien aus hundert Nationen anlässlich der RUHR.2010 – Kulturhauptstadt Europas umgesetzt mit den Kunstsammlungen der Ruhr-Universität Bochum. Kunst existiert für Kuball nie im luftleeren Raum, sein Bezugsrahmen ist der Mensch.

Das hat mit dem alten griechischen Verständnis von Polis zu tun, zugleich durch die aktuellen Ereignisse, dem Tahrirplatz und dem Tacsinplatz. Wir lernen, dass diese Plätze eine politische Aufladung bekommen.

Mischa Kuball

Mit der Installation Agora/Arena in Bochum stellt Kuball bereits im Titel die Frage nach Aktivität und Partizipation. Agora war das Forum im antiken Athen, auf dem jeder Bürger in politischen Angelegenheiten mitdiskutieren und mitentscheiden konnte. Im 21. Jahrhundert droht die Agora in den Shoppingmalls zu verschwinden. Anfang der 1970er Jahre gaben das Künstlerpaar Bernd und Hilla Becher mit ihren fotografischen Arbeiten einen ersten Anstoß, Industriebauten im öffentlichen Bewusstsein als autonome Skulpturen zu verankern. Die heute vielfach emphatisch heraufbeschworenen Kathedralen der Industriekultur machten sie lesbar als Ruinen einer postindustriellen Gesellschaft, die im Begriff war, die Spuren ihrer Geschichte verschwinden zu lassen. Kuball sieht seine Zeichensetzung als eine Referenz und Fortschreibung dieser Sichtbarmachung. Seine Arbeiten oszillieren zwischen „Lichtung und Beleuchtung“ (Peter Sloterdijk). Kuballs Agora/Arena sperrt sich gegen den Platzverweis, sie ist eine Einladung.

public preposition – eine Materialsammlung

Mischa Kuball. Photo: Daniel Biskup, Wittenberg

In seinen ortsspezifischen, gesellschaftspolitisch motivierten Projekten (Werkreihe public preposition) untersucht Kuball öffentliche Räume, stellt unsere Wahrnehmung von scheinbar vertrauten Umgebungen in Frage und schafft Momente der Irritation. Unter „Kunst im öffentlichen Raum“ verstand man früher das Reiter- oder Kriegerdenkmal, Skulpturales oder Brunnen. Seit den nuller Jahren ist eine veränderte Wahrnehmung bekannt scheinender urbaner Kontexte zu beobachten. Im 21. Jahrhundert nennen Künstler ihre Werke „Interventionen“. Diese Interventionen sind nicht als stationäre Kunst am Bau geplant, sondern als Aktionen für das kollektiven Gedächtnis, sie bringen Unordnung in die Alltagsroutine des öffentlichen Raums. Mit public preposition realisiert Mischa Kuball seit 2009 eine Serie von Installationen im öffentlichen Raum. Der Künstler realisierte seit 2009 eine Serie von Installationen im öffentlichen Raum: Venedig 2009, Marfa 2009, Toronto 2011, Bern 2011, Wolfsburg 2012, Jerusalem 2012, Katowice 2012, Christchurch 2012. In dieser Reihe liegt sein Betätigungsfeld im sozialen Raum, außerhalb der institutionellen Grenzen. Seine prepositions konnten überall stattfinden: auf dem Parkplatz, in Wohnungen, im Supermarkt. Die „public prepositions“ spiegeln Kuballs anhaltendes Interesse an einer künstlerischen Auseinandersetzung mit abstrakten Formen und symbolischer Kommunikation. „Preposition“ bezieht sich hier auf die syntaktische Funktion der Präposition und beschreibt für die Werke eine Mittelposition zwischen den historisch und sozial konnotierten Orten und der künstlerischen Intervention. Die Frage nach der zeitgemäßen Definition dieser Kunstform bewegt Künstler seit den 1970er Jahren; die Antworten haben sich in dieser Zeit erheblich verändert.

Die Projektreihe public preposition positioniert dieses Thema mit einem andern Blickwinkel.

Die ISBN Nummer trägt den selben typografischen Charakter wie der Titel und der Klappentext listet schlicht die Orte der Öffentlichkeit auf, wie die Schauspieler eines Films im Abspann.

Während die Dichter der Romantik unter dem Titel „In der Fremde“ die grundsätzliche Unbehaustheit des Menschen diskutieren, erkundet Kuball die Agora als einen Ort, an dem sich Identitäten und Hierarchien neu definieren und dechiffrieren, aber auch neu perspektivieren lassen. Für Kuballs ephemeres Werk besteht nicht die Gefahr, im Museum eingemauert zu werden. Für seine Ausstellung „Mischa Kuball – public preposition – Materialsammlung“ einen Ort gefunden, der Inspiration und Dialog zwischen Wissenschaft, Kunst, Politik und Öffentlichkeit vereint. Die bereits 2015 erschienene Publikation „public preposition“, sammelt Kuballs Werke, Projekte, Interventionen und Performances gleichwertig in einem Band und trotzt damit dem ephemeren Charakter öffentlicher Kunst. Das Werk umschließt Arbeiten aus mehreren Jahrzehnten von 2009 bis 2015. Die Ausstellung zum Thema, in der Akademie der Wissenschaften und Künste, reicht bis in die Gegenwart. In jedem einzelnen Projekt wird Öffentlichkeit an sich hinterfragt, ihre Bedingungen und Möglichkeiten zur Partizipation, vielleicht ihr Grad an Demokratie. Bereits das Cover von „public preposition“ provoziert durch schlichte, schwarz-weiße Eleganz. Die ISBN Nummer trägt den selben typografischen Charakter wie der Titel und der Klappentext listet schlicht die Orte der Öffentlichkeit auf, wie die Schauspieler eines Films im Abspann: Kein Ort größer als der andere, Münster mit Sydney und Wuppertal mit Venice. Vanessa Joan Müller, Herausgeberin und Co-Autorin, verweist im Vorwort auf einen grundsätzlichen Widerspruch der Öffentlichkeit: Ihre Unbeschränktheit trifft auf eine Beschränkung der Zuschauer und Teilnehmer an Öffentlichkeit.

And Now for Something Completely Different (Terry Gilliam)

Mit der „Deutschstunde“ von Siegfried Lenz wurden unzähige Oberstufler gequält, bis heute gibt es zu diesem Roman kein Nachwort, der dieses Heiligenbildchen als Irrtum der Literaturgeschichte entlarvt*.

Für die Kunstgeschichte gibt es dagegen Hoffnung auf Aufklärung:

Die Draiflessen Collection hat den Konzeptkünstler Mischa Kuball eingeladen, sich mit dem Maler Emil Nolde (1867–1956) auseinanderzusetzen. Emil Nolde ist einer der bekanntesten Künstler der Klassischen Moderne. Dass er bekennender Nationalsozialist war, geriet für Jahrzehnte aus dem Blick – obwohl dies den Zeitgenossen und auch denjenigen klar war, die sich nach 1945 kritisch mit ihm beschäftigten. Seit längerem gelangte die politische Orientierung Noldes aber wieder in den Fokus. Das künstlerische Werk Emil Noldes hat sich nicht verändert, aber unser Blick darauf.

Nach welchen Kriterien beurteilen wir Kunst?

Wie prägt unser Wissen ihre Wahrnehmung?

Wer war (und ist) an ihren Deutungen beteiligt?

Mischa Kuball entwickelte für die Ausstellung EMIL NOLDE – A CRITICAL APPROACH BY MISCHA KUBALL künstlerische Arbeiten, die ein vielschichtiges, offenes, kritisches und zugleich ästhetisches Durchleuchten eines der ambivalentesten deutschen Künstler der letzten 100 Jahre umfassen. Kuball ist für die Aufgabe der Auseinandersetzung mit Noldes Werk und seiner Person durch seinen künstlerischen Ansatz und eine Reihe früherer Arbeiten besonders prädestiniert. Über das Medium Licht und Lichtbildverfahren wie Film und Fotografie verhandelt er gesellschaftspolitische Themen und Fragen der Wahrnehmung, indem er Zusammenhänge und Strukturen sichtbar werden lässt und die Aufmerksamkeit in neue Richtungen lenkt. So erlauben die neu entstandenen Videoinstallationen und Bildserien Kuballs für das Ausstellungsprojekt einen ungewohnten Blick auf das Œuvre Emil Noldes, denn sie zeigen oder reproduzieren keine Werke, sondern öffnen Assoziationsräume, die über das konkrete Beispiel Nolde hinausweisen.

Ich glaube, dass wir uns da keinen Gefallen tun, indem wir sagen „Es sind tolle Bilder, aber der Typ war ideologisch verblendet“. Ich denke wenn Nolde Nazi war, dann tragen seine Bilder auch genau diesen Grundimpuls eines Menschenbildes, das Teile der Gesellschaft ausgrenzen wollte und Wegbereiter – ideologisch und auch künstlerisch – für das war, was dann eben mit den Nationalsozialismus eingetreten ist – Völkermord. Auch wenn die NS–Kulturideologen Nolde eben nicht als NS–konform akzeptiert haben, hat er sich nicht um Aufklärung seiner Haltung bemüht – er wählte den Weg in den Mythos.

Mischa Kuball

Die Nolde Stiftung Seebüll ermöglichte Mischa Kuball freien Zugang zu ihren Räumlichkeiten, um vor Ort neue künstlerische Arbeiten für diese Ausstellung zu entwickeln. Kuball rückt dabei drei Aspekte in den Fokus: Noldes Umgang mit fremden Kulturen, sein Engagement für die Nationalsozialisten und seine nach 1945 forcierte Stilisierung zu einem Künstler im Widerstand. Kuballs besonderes Interesse galt neben dem ehemaligen Wohn- und Atelierhaus den nicht öffentlichen Bereichen der Stiftung, dem Kunstdepot und Archiv, in denen Werke Noldes, seine Korrespondenz und seine zu Lebzeiten zusammengetragene Sammlung von Ethnografika bewahrt werden. Von zentraler Bedeutung für die Ausstellung sind außerdem die drei ersten Ausstellungen der documenta, auf denen Werke Noldes gezeigt wurden. Kuball wählte für sein Projekt ausschließlich Arbeiten aus, die in diesen drei Schauen zu sehen waren. Vor allem die erste documenta von 1955 wurde als Gegenentwurf zur Ausstellung Entartete Kunst von 1937 wahrgenommen. Sie war nicht das einzige Projekt, das am Mythos von Nolde als verfemtem Künstler Anteil hatte, aber in jedem Falle jenes, mit der bis in die heutige Zeit weitreichendsten Wirkung.

Ich wollte Nolde zeigen, ohne ihn wirken zu lassen. Ich wollte Nolde zeigen, ohne ihn richtig zu zeigen. Und das habe ich konsequent in der Ausstellung umgesetzt, übrigens auch im Katalog. Da ist alles in Schwarz–Weiss. Das heisst, Nolde wird praktisch heruntergebrochen auf seine Form und Figur, aber er kommt nicht zur farblichen Wirkmacht. Das ist einer der wesentlichen Züge meiner Intervention. 

Mischa Kuball

© Archiv Mischa Kuball, Düsseldorf

Die Ausstellung wurde durch ein umfangreiches Rahmenprogramm aus Gesprächen mit dem Künstler Mischa Kuball, Führungen durch die Kuratorinnen Barbara Segelken und Nicole Roth, Themenführungen,  einer Exkursion und museumspädagogischen Angeboten für unterschiedliche Zielgruppen erweitert – auch der Studierendentag findet als Tagung im Rahmen dieser Ausstellung statt.

Als Projekt des documenta archivs wurde diese Spurensuche in Kassel Ende 2022 die weitergeführt, focussiert auf Emil Nolde als documenta Künstler. Die Ausstellung vermittelte einen Blick auf die historische und hochgradig widersprüchliche Persönlichkeit Noldes aus der Perspektive eines zeitgenössischen Künstlers. Im Fokus des Ausstellungsparcours stehen vor allem zwei Aspekte. Der erste ist die Sichtbarkeit und Abwesenheit der Bilder Emil Noldes, die heute als Postkartenmotiv beinahe omnipräsent erscheinen, aber einst bis auf die Wanderausstellung Entartete Kunst aus den Museen und der Öffentlichkeit verschwanden, um erst nach 1945 wieder aufzutauchen. In diesem Kontext sind auch die ersten drei documenta Ausstellungen von zentraler Bedeutung. Kuball zeigt unter anderem 18 von 30 „ungemalte Bilder“, die der Künstler während seines angeblichen Malverbots schuf, und die bei der documenta 1964 einen ganzen Raum füllten. Die documenta trug somit zur Mythenbildung von Nolde als verfemten Künstlers bei. Mischa Kuball wählte für sein Projekt ausschließlich Arbeiten aus, die 1955, 1959 und 1964 in Kassel zu sehen waren.

Die Documenta hat auch an der Etablierung von Emil Noldes Legende als unbelastetem Maler mitgewirkt. Das documenta archiv fragt mit der Ausstellung „nolde/kritik/documenta“ des Konzeptkünstlers, wie man Nolde mit dem Wissen um seine kaschierte NS-Begeisterung noch ausstellen kann. Mischa Kuball ist gleichsam mit „forensische Neugier“ Lisa Berin) am Werk, es war eine Rauminstallation zu besichtigen, die sich im Erdgeschoss des Fridericianums über drei Räume streckt. Kubal entzieht den farbstarken Nolde-Bildern ihre Wirkkraft, nimmt ihnen ihre Lebendigkeit, indem er sie als schwarz-weiße Kopien aufhängt. Er stellt Farbfilter aus dichroitischem Glas zwischen die Gemälde und die Betrachtenden, er durchleuchtet Noldes ethnografische Sammlung mit CT-Strahlen, auf der Suche nach einer tieferen Bedeutung. Hier geschieht ein Exorzismus.

Kuballs Arbeit eröffnet über das individuelle Beispiel hinausgehende Diskursräume und lädt zu einer spannungsvollen Auseinandersetzung – nicht nur mit der Person Noldes, sondern auch mit Mechanismen künstlerischer Selbstinszenierung und dem Verhältnis von Kunst und Politik – ein.

Kuball ist kein Maler des Lichts, Kuball ist ein Konzeptkünstler des Lichts, ein politischer Künstler des Lichts – eine einzigartige Position von Rang.

Peter Weibel

In seinen Installationen macht der Künstler die politischen und sozialen Dimensionen des künstlerischen Werkstoffs Licht kenntlich. Dabei erforscht er mit Hilfe des Mediums Licht – oft in partizipatorischen Projekten – die sozialen und politischen Diskurse und Kodierungen, die mit den Orten seiner Werke verknüpft sind. KUNO erinnert die unermüdliche Arbeit von Kuball – auch die dunklen Ecken der Gesellschaft auszuleuchten – an das Höhlengleichnis des Platon. Es verdeutlicht den Sinn und die Notwendigkeit eines Bildungswegs, der als Befreiungsprozess dargestellt wird. Das Ziel ist der Aufstieg aus der sinnlich wahrnehmbaren Welt der vergänglichen Dinge, die mit einer unterirdischen Höhle verglichen wird, in die rein geistige Welt des unwandelbaren Seins. Auch bei der Betrachtung von Kuballs Arbeiten vollzieht der Betrachter einen Aufstieg, zwar jeder für sich, aber da man dabei Hilfe benötigt, ist es zugleich auch ein gemeinschaftliches Bemühen. Einen gut gemachten Überblick über das bisherige Werk bietet der Katalog ReferenzRäume.

 

 

* * *

Mischa Kuball. ReferenzRäume, hg. von Andreas Beitin, Holger Broeker und Fritz Emslander, erscheint als Künstlerbuch im Verlag der Buchhandlung Walther und Franz König. Die Publikation mit dem umfangreichen, vom Künstler gestalteten Bildteil ist seit 2007 das erste übergreifende Kompendium zum Werk Mischa Kuballs. Texte von Lilian Haberer, Daniel Horn, Christina Irrgang und Marcus Steinweg bieten eine fundierte Auseinandersetzung mit zentralen Themen des Werkes.

Weiterführend  

Der Katalog ReferenzRäume informiert uns mittels eines orangenen Stickers, der auf das Zellophan, dass diese Publikation als Schutzhülle umgibt, aufgeklebt wurde, dass es sich bei dieser Publikation um ein „Künstlerbuch“ handelt.

Vertiefend zum Thema Künstlerbücher finden Sie hier einen Essay sowie ein Artikel von J.C. Albers. Weiterführend auch das Kollegengespräch mit Haimo Hieronymus über Material, Medium und Faszination des Werkstoffs Papier.

Zuvor betrachtete Stefan Oehm für KUNO Kuballs Lichtinstallation res·o·nant. Lesen Sie im Rahmen der public preposition ein Gespräch zwischen Vanessa Joan Müller und Mischa Kuball über öffentliche Beziehungen. Gleichfalls empfehlenswert das Ateliergespräch von Prof. Dr. Matei Chihaia mit Mischa Kuball.

Für das Projekt Kollegengespräche hat A.J. Weigoni einen Austausch zwischen Schriftstellern angeregt. Auf KUNO ist diese Reihe wieder aufgelebt. Mit dem Künstler Mischa Kuball teilt der Romancier den Dauerlauf.

 

 * Anders als die Romanfigur von Lenz war Nolde, trotz der Beschlagnahmung und Weggeschobenheit seiner Kunst im Dritten Reich, bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs überzeugter Nationalsozialist, Antisemit und Bewunderer Adolf Hitlers. Bei einem Auftritt im Deutschen Literaturarchiv (Marbach, 2014), bezeichnete Lenz den Maler als problematischen Menschen, der sich in politischer Hinsicht „ein bisschen katastrophal“ verhalten habe. Zwar ließe sich darüber nachträglich nicht Gericht halten, aber er werfe Nolde vor, sich für seine Kollaboration mit den Nationalsozialisten auch nach dem Krieg nie entschuldigt zu haben. Seitdem ist es an der Zeit, die „Deutschstunde“ von den Lehrplänen der Deutsch-Unterrichts zu streichen.