Traditionelle Techniken sind der Kompass, mit dem man künsterische Ansprüche sinnfällig durch die neuen Medien navigieren kann, dies lehrt A.J. Weigonis Erfahrung bei spartenübergreifenden Projekten seit Beginn der 1990ger Jahre. Sprache erreicht – je nach Aggregatszustand: geschrieben, gezeichnet, gesprochen, performt – unterschiedliche Wirk- und Erkenntnismöglichkeiten. Mit dem HörBuch 1/4 Fund begann ein vierteiliger Zyklus von lyrischen Monodramen in Rezitation und Hörspiel (begleitet durch den Komponisten und Tonmeister Tom Täger), dabei verläßt sich dieser VerDichter auf den ältesten Special-Effekt, den die Menschheit besitzt:
Die Stimme!
Weigoni trägt seine Gedichte nicht einfach vor, er gestaltet und verwirklicht sie. Es geht ihm um die Wahrhaftigkeit des Wortes. Seine Gedichte sind eine tonale Komposition mit sprachlichen Mitteln. Er vermag es poetische Performances zu Ereignissen zu machen, weil er den richtigen Rhythmus und die Melodie findet. Unangestrengt schafft er geflüsterte, gesprochene Sprachkunstwerke. Das Mondäne vereinigt sich mit dem Musikalischen; der Intellekt mit dem Sinnlichen. Er läßt mit Lust an der gesprochenen Sprache, an der Schönheit von Worten: Tonfall, Melodie und Rhythmus hören. Durch Intensität und Differenziertheit der Wahrnehmung, die in eine genuine Sprachmusik umgesetzt ist, rhythmisch, lautmalerisch und konsonantenreich macht er Sprache als Material sichtbar. Als Sprach-Spiel mit der Aufforderung zum Mitspielen.
Sie sind Spielgefährte!
Letternmusik im Gaumentheater ist ein Platz für den artistischen Bau autarker Sprachkonstrukte ausserhalb der alltäglichen Rede und normierter Sprachregularien. Weigoni ist ein Grossmeister in der Kunst der Sprachbefragung. Wieder und wieder dreht und wendet er diese, nimmt die Wörter beim Wort und nicht zuletzt beim Buchstaben, bis ganz neue Dinge aufscheinen. Seine Spracharbeit findet immer und überall zugleich statt, auf der phonetischen über die lexikalische zur syntaktischen bis auf die Textebene kann sich eine sprachliche Wendung in vielschichtiger Weise entfalten. Dieses Freigelassene, Strömende entsteht durch Präzision, Klarheit und Konzentration. Diese Gedichte oszillieren zwischen dem lyrischen Protestgedicht und dem politischen Liebesgedicht. Sie sollen daran erinnern, was Poesie ursprünglich war:
Gesang, Melodie und Rhythmus, Reim und Versmass, Litanei und Mythos.
Mit den ersten Zeilen wird dieser Ton angeschlagen, wie in der Eröffnung einer Cellosonate, drängender Abstieg in gefaßte Melancholie. Vorsichtig, zurückhaltend setzen sie ein, die Langgedichte, aber sie alle variieren ein einziges überwältigendes Thema – was der Mensch ist in seiner Ungeschütztheit, wie er sich darin bewähren kann, vor allem vor sich selbst. Bei »Señora Nada« provoziert Weigoni mit einem stream–of–consciousness durch Inhalte, und nicht durch Dolby–Surround. Darin wird er von Tom Täger begleitet mit einer Musik der befreiten Melodien. Seine Komposition ist durchsetzt mit minimalistischen und improvisatorischen Erfahrungen, das Klangbild wird von experimentellen Klängen zu Trivialklängen in Bezug gesetzt.
Das Monodrama, eine polyperspektivische Dichtung
Schwarz ist die Farbe der Stille, Weiß jene des Rauschens auf diesen menschenleeren Bildern, die Meer und Riff, Bucht und Hafen ins wechselnde Licht rücken. Die grammatische Implosion im letzten Wort, das Herausbrechen unbetonter Vokale, versinnlicht sprachlich das Motiv des Schiffbruchs. Über den spärlichen Werken der Zivilisation liegt die Aura schrecklicher Schönheit, Spuren verlieren sich am Strand. Den Kampf um die Dauer hat der Mensch hier immer schon verloren. Die Schönheit von Weigonis Sprache liegt in der lakonischen Präzision des Wortes, der Genauigkeit jeder Beobachtung: in der Poesie des bewußt erlebten Augenblicks. So als habe die Todesnähe, in der die Protagonistin sich befindet, auch das Bewußtsein des Lyrikers beim Schreiben aufs Äußerste geschärft. Wo das Schreiben die Notwehr der Seele gegen den Ansturm des Nichts darstellt, wird alles möglich. Weigoni ist ein Vertreter stilistischer Polyphonie, er schert sich nicht um die klassische Schriftsprache und Forderungen der sprachlichen Reinheit, sondern mischt gehobene mit niederen Ausdrucksweisen und wartet mit einer Fülle von Soziolekten, dialektalen Eigenarten und syntaktischen Fügungen aus der gesprochenen Sprache auf. Er verwendet wissenschaftliche Begriffe wie Ausdrücke der Alltagssprache, nimmt tradierte Metaphern auf und prägt neue. Wiederholungen, motivische Wiederaufnahmen und Inversionen, rhetorische Fragen, aphoristische und apodiktische Formulierungen setzt er stilistisch wirkungsvoll ein und spickt seine Poesie mit Zitaten anderer und Anspielungen auf eigene Werke. Das kaleidoskopische Zitieren verschafft seinen Schriften eine intertextuelle Ebene, die sich als eine Form kultureller Erinnerungsarbeit deuten läßt. In diesen Satzgirlanden, die zuweilen von schelmischem Gelächter durchdrungen sind, geht es um unterschiedliche Anteile von Tradition und Traditionsbruch.
Die Sprache bringt das Geheimnis der Dinge zum Leuchten
»Señora Nada« präsentiert ein schwankendes Daseinsgefühl. Hier geht es um die Krankheiten der Epoche, um Entfremdung, Auraverlust der Kunst und die metaphysischen Konsequenzen, die für den transzendental Obdachlosen aus der Entzauberung der Welt entstanden sind. Dieses Monodram zeigt sich lyrisch hermetisch und auf engstem Raum labyrinthisch, die dahinsurrenden Zeilen sind raffiniert und lapidar zugleich, Stimmungsbilder aus dem Innersten einer äußerst ungesicherten Existenz. Wie im Mondlicht die Dinge eine quecksilbrig harte und zugleich diffus changierende Kontur annehmen, von der einen in die andere Gestalt wechseln, somit der Einbildungskraft doppelt ausgeliefert scheinen, erweist sich »Señora Nada« als somnambul und luzide zugleich. Eine nächtlich phosphoreszierende Welt, Wachtraum und Traumerwachen, die sich nur in ganz wenigen Augenblicken versöhnlich entspannt. Dieses Monodram bietet Momentaufnahmen einer beängstigend sinnlichen Metaphysik des Schwebens, einer gegenständlichen Bodenlosigkeit gleitender, entgleitender Bezugspunkte, einer sich verschränkenden inneren und äußeren Welt. Es ist beides enthalten und gleichfalls bestimmend: Form und Formsprengung, bezogen auf die allgemeine Geschichte der Gattung Langgedicht, und besonders auf die individuelle.
Einst waren Interpreten Barden, Schamane, Seher, Troubadoure, waren Reisende in Sachen Liebe und Moral… im digitalen Zeitalter geht der Schrift der Sinn und damit die Sinnlichkeit immer mehr verloren; so scheint es. Weigoni sucht mit atmosphärischem Verständnis die Poesie im ältesten „Literaturclip“, den die Menschheit kennt:
Dem Gedicht!
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1/4 Fund, Hörbuch von A.J. Weigoni, Edition Das Labor, Mülheim 2011. Als Einzelausgabe längst vergriffen und nur noch erhältlich in: Der Schuber, Werkausgabe der sämtlichen Gedichte von A.J. Weigoni, Edition Das Labor, Mülheim 2017
Weiterführend → Jeder Band aus dem Schuber von A.J. Weigoni ist ein Sammlerobjekt. Und jedes Titelbild ein Kunstwerk. KUNO faßt die Stimmen zu dieser verlegerischen Großtat zusammen. Last but not least: VerDichtung – Über das Verfertigen von Poesie, ein Essay von A.J. Weigoni in dem er dichtungstheoretisch die poetologischen Grundsätze seines Schaffens beschreibt.
Hörproben → Probehören kann man Auszüge der Schmauchspuren, von An der Neige und des Monodrams Señora Nada in der Reihe MetaPhon. Zuletzt bei KUNO, eine Polemik von A.J. Weigoni über den Sinn einer Lesung.