Flaschenpost an eine zukünftige Leserschaft

 

Als Proletarierkind befand sich A.J. Weigoni in einer prekären Klassenlage. Er verfügte über ein großes Wissen, war belesen und reflektiert, aber er drückte dies nicht in der Sprache des Bildungsbürgertums aus. Nie findet sich bei ihm Mitleidheischendes, Moralinsaures, er wollte nicht belehren oder überzeugen, er schrieb über Krankheit und Tod mit der Empörung über das Unabwendbare, Empörung aber auch über Abwendbares, über Not und Armut, über die Erniedrigung.

Über den Rhein hinaus ins Weite, einer Landschaft, die dem Auge keine Grenzen zu setzen scheint.

„Weisen des Glücklichseins“ nannte Borges das Lesen – und dies trifft uneingeschränkt zu auf die Lektüre dieser Vignetten zu. Weigoni praktizierte in dieser Novelle das Schauen, ohne hinzusehen, das ungesteuerte Wahrnehmen und lädt das Sprachmaterial mit neuer Sinnhaftigkeit auf.

A.J. Weigoni hat die Zombies von der puren Horrorfiktion in ernstzunehmende Gesellschaftskritik transferiert. Die Untoten dienen als Narrativ der Krise, sie sind in Zeiten wirtschaftlicher und sozialer Unsicherheit zu einer Metapher für die Erosion gesellschaftlicher Ordnung geworden.

Die Kunst dieser Erzählungen liegt oft im Detail. Bewegungsspielräume ergeben sich durch die Erweiterung der Realität und ihre groteske Überdehnung. Der beste Humor entspringt immer der Verzweiflung und Weigoni spürte der abseitigen Komik nach, die sich noch aus den ausweglosesten Konstellationen ergeben kann, in denen sich ihre Figuren verstricken.

Die Welt der Erzählung entsteht immer aus den Dialogen, nichts erscheint nur vorgefunden.

Imposant war die Breite seines Schaffens, die Substanz seines Denkens und die Virtuosität seiner Technik liessen keine Wünsche offen. Es ist das historische Menschheitsprojekt des Fortschritts in seiner Faszination und seiner Monstrosität, seiner Krise und seinem Scheitern, das er seinen Büchern beharrlich umkreist hat.

Wie hören gleichsam das schnoddrige Alltagsparlando der Rheinländer

Weigoni spürte den Unvollkommenheiten nach, er näherte sich den Rheinländern in einer Haltung aus abgebrühter Distanz und leidenschaftlicher Nähe. Wir lernen in diesem Roman nicht nur die urbanen Existenzen mit gesellschaftlich relevanten Problemen kennen, sondern die kleinen Leute mit ihren aufgegebenen Träumen, ihren täglichen Dosen an Desillusion, ihren Ehe- und Alltagsdefiziten. Weder verfiel dieser Satiriker in Sozialromantik noch führt er seine Charaktere in distanziertem Spott vor. Für mich bleibt Weigoni als gnadenloser Realist in Erinnerung, einer, der sich bis zum Schluß den menschenfreundlichen Blick bewahrt hat.

 

 

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