Solidarität der Solitäre ∙ Revisited

Bereits der Titel Lyrikbandes Gewolltes Blauauge, der wohl meint, dass der Autor, oder sein lyrisches Ich, blauen Augen nicht aus dem Weg geht, da er lieber ehrlich mit blauem Auge als verlogen in weisser Weste leben will, lässt Grundmotive von Hans-Ulrich Prautzsch anklingen: das Desperadothema, sein erster Erzählband hieß Fünf Desperados und eine Rothaarige, samt seiner Solidarität der Solitäre, eine Sympathie für Aussenseiter, Verweigerer, Gescheiterte, und ein Kämpfernaturell, das sich aus solcher Erfahrungswelt entwickelt und zum Überleben nötig ist. Mit dem Kämpferischen im Autor, der auch Verleger und Buchdrucker ist, korrespondiert der Name seiner uräus-Handpresse. Die altägyptische Uräus-Schlange gilt als äusserst wehrhaftes Wesen. Und das Wort Uräus wird übersetzt mit: die sich Aufbäumende.

Das Künstlerbuch Unbehaust

Hieronymus und Weigoni bei der Künstlerbuchpräsentation, 2003

Wer keinen künstlerischen Trends folgt, kann Nebenflüsse schaffen, Mäanderströme der Kultur. Haimo Hieronymus und A.J. Weigoni versuchen in ihrem Künstlerbuch die Erlösung von Erfahrungswelten durch virtuelle Neukomposition. Die Gedichte nehmen Strukturen und Ausdrucksweisen moderner Medien und Kommunikationstechniken auf und transformieren sie mit aufklärerischem Anspruch, indem sie öffentliche Sprache spielerisch virtuos verwenden und zugleich kritisch reflexiv ihren Funktionswert hinterfragen. Die Texte selbst nähern sich grafischen Formen. Ein Strich in der Landschaft, lehrt uns der Volksmund, sei ein dünner Mensch. Tritt man etwas weiter zurück, wird aus dem Strich eine Linie und der Betrachter sieht sich vor die Fragen gestellt: Wo endet die Schrift, wo beginnt die Zeichnung, wo geht sie ins Zeichen über, das übers Sichtbare hinausweist?

Ernst paart sich indes mit Leichtigkeit

Die expressive Farbigkeit von Haimo Hieronymus, die man als vital bis aggressiv empfinden kann, korrespondiert mit dem Stachel der Analyse in Weigonis Texten wie umgekehrt die relativierende Denkhaltung derselben mit den ambivalenten Bedeutungen der Farben Schwarz, Rot und Weiß, die zusammenwirken, während sie Kontraste bilden. Der Ernst paart sich indes mit Leichtigkeit. Praktisch alle Techniken dieses Buches, die aphoristische Struktur, der gestische Duktus, die ironischen Untertöne, die Unterwanderung vorgeprägter Sprache, die umgedeuteten Sprichwörter, die filmischen Momentaufnahmen, dienen einem reflexiv vom Intellekt gelenkten und dabei häufig parodistischen Spiel.

Sarkasmus und Ironie sind so auch ein Refugium gegen totale Ernüchterung

Indem Weigoni Postulaten, die ihm abstrakt erscheinen, ob Mythen, Moralvorgaben oder Utopien, mißtraut, doch zugleich den Mangel an ideell Gelebtem in vorgefundener Wirklichkeit konstatiert, verweist er auf ein Grundproblem postmoderner Intellektualität. Sarkasmus und Ironie sind so auch ein Refugium gegen totale Ernüchterung, obwohl, oder weil, manche Stellen dem kaltgenauen Blick Heiner Müllers oder Ernst Jüngers allerdings schon nahekommen.“

 

 

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Parlandos, Langgedichte und Zyklen von A.J. Weigoni Edition Das Labor, Bad Mülheim 2013

Original Holzschnitt auf das Cover gedruckt von Haimo Hieronymus

Weiterführend →

Ein Interview von Jens Pacholsky mit A.J. Weigoni übernimmt KUNO aus dem Berliner Goon-Magazin. Das poetische Polymorphem macht KUNO in der Theaterfassung zugänglich. Dieses Monodram ist als Künstlerbuch ist nur noch antiquarisch erhältlich, daher ist es in Weigonis Band Parlandos wiederveröffentlicht worden. Die Hörspielfassung von Unbehaust ist in der Reihe MetaPhon auf vordenker.de zu hören. Unbehaust ist auf dem Hörbuch Gedichte erhältlich über: info@tonstudio-an-der-ruhr.de

Der Essay VerDichtung – Über das Verfertigen von Poesie von A.J. Weigoni ist auf Vordenker zu lesen. Zuletzt bei KUNO, eine Polemik von A.J. Weigoni über den Sinn einer Lesung.