Täglicher Kleinkrieg

 

Morgengrauen. Der Radiowecker schiesst Maschinengewehrworte aus dem Mund des Nachrichtensprechers ab. Das Sensationelle hat in den Meldungen über das Wichtige gesiegt. Das Vaterland ist ein Fitnesscenter. Sportler sind Krieger. Der Staat treibt in die totale Mobilmachung. Die Erde ist eine Frau, die genommen werden will. Beim Verlassen der Wohnung ist man schon im Feindesland.

Aufstehen. Vor der Haustür ins Ozonloch fallen. Erste Wortgefechte in der Bahn. Dumpfe Kollektivkörper schreien Parolen heraus. Ihre Aussagen haben keinen praktischen Nutzen, erfüllen eine Funktion in der Hauptstadt der Grossmäuler. Redegewandt glauben Denkfaule, die Medienwelt sei die Welt. Die Gleichgültigkeit der Mitreisenden ist das Vorspiel zu einem neuen Autoritarismus. Man hat ihnen das Letzte geraubt, wofür es zu leben lohnt: der Hass.

Lift zum Loft. Mitten in der Hypermoderne ankommen. Die Glas–Türme der Bürohäuser sind kühl, sie behaupten Modernität und Klarheit. Pünktlich am Platz. Die Kollegen haben sich an die Grabenkämpfe gewöhnt. Jeder besitzt über jeden ein belastendes Dossier, um es bei passender Gelegenheit als Druckmittel einzusetzen. Humor ist ihr Mantel, das Messer zu verstecken.

Scharf belichteter Erinnerungsausschnitt. Verschwörungstheorien eignen sich gut für Propagandazwecke, wenn die eigenen Argumente auf schwachen Beinen stehen. Es macht einen Unterschied, ob man auf jemanden hört oder ihm gehorchen muss. Vampyre der visual culture werden Virtuosen an der Resterampe und wollen die Spielregeln selbst bestimmen, statt ihnen gehorchen zu müssen. Trockenpaddeln mit entpersonalisierten Sprachflächen. Alltagsverrichtungen sind ermüdend, undankbar, machen aggressiv. Acht Stunden Dauerbeschuss. Man kann sich seine Geschäftspartner nicht aussuchen, aber seine Freunde.

Gepflegte Gastlichkeit am Abend. In der diffusen Grundstimmung einer neuliberalen Gesellschaft verlagern sich alle Souveränitätsanstrengungen in das so genannte Private. Hier sollen die Reservate der Einzigartigkeit noch intakt sein, in denen sich Ich sagen lässt. Als Ressource der Selbstvermarktung verliert das Private den Charakter eines Schutzraumes für ein unverstelltes Sein. Das Leben wird zur Casting–Situation, in der alle für das Unternehmen Ichwerben. Sie blicken in einen Spiegel und stellen fest, dass er nur ein leeres Bild zurückwirft.

Den Geschmack feierlicher Routine annehmen. Auch der Freundeskreis hat Barrikaden errichtet. Fährt Fremdwortgeschütze auf. Mit diesem Crossover entscheiden sie sich für nichts und suggerieren damit Weltläufigkeit. Leben in einer Kaugummiblase, in die keine Keime aus der Aussenwelt dringen.

Nachtkastl. Dem Lesen folgt die Auslese, der Lektion die Selektion. Die Augendeckel sinken nach dem fünften Absatz nieder. In den Schlaf fallen. Tief getroffen. Herzzerreissend in Selbstzerstörung und Selbstaufgabe. Ohne greifbares Ergebnis. Der Schlaf ist nur ein Zwischentod. Träume sind gestorben. Abgetötet. Wenn die Nacht am tiefsten ist, werden Geräusche zum Weckruf. Klang ist das Unmittelbare. Sucht den direkten Weg über die unverschliessbaren Ohren direkt in die Verletzlichkeit.

Mit dem nächsten Morgengrauen geht es weiter. Vorwärts mit dem Versuch, das Prinzip Eigenverantwortung wiederzubeleben. Eine verschwiegene Arbeit an der eigenen Gesinnung. Es gibt kein Zurück mehr. Das Zeitfenster ist geschlossen.

 

 

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Zombies, Erzählungen von A. J. Weigoni, Edi­tion Das Labor, Mülheim an der Ruhr 2010.

Coverphoto: Anja Roth

Weiterfühend → KUNO übernimmt einen Artikel von Karl Feldkamp aus Neue Rheinische Zeitung und von Jo Weiß von fixpoetry. Enrik Lauer stellt den Band unter Kanonverdacht. Betty Davis sieht darin die Gegenwartslage der Literatur, Margaretha Schnarhelt kennt den Ausgangspunkt und Constanze Schmidt erkennt literarische Polaroids. Holger Benkel beobachtet Kleine Dämonen auf Tour. Ein Essay über Unlust am Leben, Angst vor’m Tod. Für Jesko Hagen bleiben die Untoten lebendig.