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Vorbemerkung der Redaktion: Für die in Österreich erscheinende Zeitschrift Autorensolidarität machte Dieter Scherr ein Interview mit Sophie Reyer.

Im Vorjahr erschien Wortspielhalle, eine Gemeinschaftsarbeit mit dem Düsseldorfer Schriftsteller A.J. Weigoni, wie kam es dazu?

Reyer: Aufgrund meines Filmstudiums an der Kunsthochschule für Medien habe ich vier Jahre in Köln gelebt und war während meiner visuellen Arbeiten auch auf der Suche nach jemandem, mit dem ich mich über das Wort verbinden kann. Über eine Lesung im LCD (Literaturclub Düsseldorf) habe ich einen Kollegen von A.J. Weigoni kennengelernt, dessen Texte mich sehr angesprochen haben. Es entstand ein reger Mailverkehr und parallel dazu auf eine sehr spielerische, leichte und inspirierende Art und Weise ist ein Text gewachsen, den wir dann publiziert haben. Da A.J. und ich sehr stark von der Akustik geprägt sind, ist auch ein Hörspiel dazu entstanden, das jetzt mit dem Buch gemeinsam gekauft werden kann. Für unser Konzept haben wir den Lime_Lab– Förderpreis in Graz bekommen.

Wie gestaltete sich die Zusammenarbeit konkret?

Reyer: Wir waren mehrmals radfahren und Wurst essen und haben parallel dazu über Literatur geredet. Nach unseren Ausflügen haben wir uns immer wieder ein Päckchen Texte zugeschickt. Die Arbeit war dialogisch angelegt, eine Art Ping-Pong-Spiel.

Ich stolperte in der Wortspielhalle über ein Wort; was ist Twitteratur?

Reyer: Literatur, die mit dem reduktionistischen Ansatz, wie wir ihn in „Twitter“ finden, spielt und diesen kritisch beleuchtet.

Wie bewertest du solche verlegerischen Eigeninitiativen wie die Edition Das Labor. Verlag der Artisten ?

Reyer: Ich finde das ganz großartig, was Kleinverlage auf die Beine stellen, die Literatur, vor allem die Lyrik, die sich dadurch ja auszeichnet, dass sie die älteste Gattung ist, die sich am längsten gehalten hat, obwohl fast niemand sie rezipiert, hat solche dringend notwendig.

Was fasziniert dich an der Lyrik?

Reyer: Dass der lyrische Text ein Destillat ist, in dem Rhythmus, Klang und Semantik zu einer Höchstform des Ausdrucks komprimiert werden.

Welchen Stellenwert haben allgemein die Arbeiten anderer Autorinnen und Autoren für dein Schreiben?

Reyer: Ich glaube sehr an gemeinschaftliches Arbeiten. Wie Ducasse schreibt, geht es meiner Meinung nach in der Literatur mehr um eine Idee der Poesie, die sich in der Welt ausbreiten soll, als um Einzelindividuen. Natürlich bleibt der Schreibakt ein Moment, in dem man auf sich selbst zurückgeworfen ist, aber ich finde es wichtig und bereichernd, mit anderen Menschen in einen literarischen Dialog zu treten. Eben habe ich auch eine gemeinsame Arbeit mit Petra Ganglbauer gebastelt, die im Herbst bei Art & Science publiziert werden wird.

Bitte ein paar biographische Angaben zu deiner Person.

Reyer: Ich bin in Wien geboren und habe mich mit drei in das Wort „parallel“ verliebt und dann in alle anderen Wörter auch. Ich habe einen Master of Arts in Komposition, eine Ausbildung in szenischem Schreiben (uniT) sowie ein Diplom auf der Kunsthochschule für Medien im Bereich Film. Im Moment dissertiere ich auf der Sprachkunst Wien. Meine Theatertexte werden von S. Fischer vertreten, mein letztes Stück hieß „Anna und der Wulian“ und wurde 2014 an der Badischen Landesbühne uraufgeführt, ich habe 12 Bücher publiziert, sowohl Lyrik als auch Kurzprosa und zwei Romane.

Hat deine musikalische Ausbildung Einfluß auf deine Texte?

Reyer: Ja, ich würde sagen Musik und Text befruchten einander gegenseitig. Ich weiß gar nicht, was zuerst da war, der Klang oder das Wort. Irgendwie hängt das in meinem Kopf auch zusammen, da bin ich ganz bei meinem ersten Lehrer und Mentor Henri Chopin …

Eine Musik-Text-Synthese ist auch erklärtes Ziel der Combo „Tonverbrechung“ …

Ist „Tonverbrechung“ mehr eine Studio- oder eine Live-Band?

Reyer: Auf jeden Fall eine Live-Band, denn der Moment und die Anspannung, die vor Publikum entsteht, ist ausschlaggebend für unsere Arbeiten.

Gibt es überhaupt Tonträger?

Reyer: Nein, leider nicht. Wir haben eine CD aufgenommen und sind noch auf der Suche …

Wie reagierte bisher das Publikum auf eure Darbietungen?

Reyer: Bei einem unserer ersten Konzerte saßen nur zwei Leute im Publikum, die meinten, ob wir auch „schöne“ Musik machen ;-). Freilich kommt das immer auf den Kontext an.

Seit wann interessierst du dich für Literatur?

Reyer: Für Worte habe ich mich immer interessiert, und Bücher mochte ich, bevor ich lesen konnte. Allein schon wegen der Bilder und weil darin eigene Welten stecken. Also ich glaube, immer.

Bitte um einen Überblick über das bisher Publizierte.

Reyer: geh dichte. Lyrikband. Mit Illustrationen von Monika Migl u. a., EYE Literatur der Wenigerheiten, Landeck 2005. ISBN 3-901735-17-8. Vertrocknete Vögel. Graz, Leykam 2008. ISBN 978-3-7011-7639-7. Baby blue eyes. Ritter, Klagenfurt, Graz, Wien 2008. ISBN 978-3-85415-431-0. Marias. Ein Nekrolog. Ritter Literatur, 2013. ISBN 3-85415494-1. Die Erfahrung. SuKuLTuR, 2013. Wortspielhalle. Multimediaprojekt von Sophie Reyer und A.J. Weigoni 2014. Flug (Spuren). Gedichte. Edition Keiper, Graz 2012. ISBN 3-85415494-1. Anna und der Wulian. Kindertheater. Frankfurt a. M., S. Fischer, 2014. Insektizid. Roman. Graz, Leykam, 2014. ISBN 3-70117897-6. Wortspielhalle. Sprechpartitur gemeinsam mit A.J. Weigoni. Edition Das Labor, Bad Mülheim 2014. Skarabäen, Art & Science 2014. Holzzeitstag, Taschenspiel 2015

Was sind die Schwerpunkte deiner Arbeit?

Reyer: Ich muss sagen, ich wechsle gerne Medien, weil ich jemand bin, der sich sehr in einer Sache verbeißen kann, und das hemmt meine Kreativität. Insofern habe ich auch keine Schwerpunkte. Aber die Ebene des Rhythmus, des Klanges, ist eine, die mir beim Schreiben wichtig ist, egal, in welchem Medium ich arbeite.

Deine Romane und Prosatexte sind nicht auf epische Breite angelegt, sondern Montagen und Kompositionen aus Snapshots, Fragmenten oder auch Tagebuchsequenzen; welche Funktion kommt den häufig kursiv gesetzten Passagen zu?

Reyer: Das ist unterschiedlich; verschiedene Schrifttypen markieren im Normalfall unterschiedliche Ich-Anteile, das heißt, die Passagen sind in anderen „Sounds“ gestaltet …

Inwieweit sind diese Texte Protokolle des eigenen Erlebens?

Reyer: Sind sie nicht, eher erlebe ich meine eigenen Texte und bringe sie dann in die äußere Wirklichkeit, die diese protokolliert / dokumentiert.

Du bist auch Redakteurin einer Literaturzeitschrift, wie kam es dazu?

Reyer: Den „Lichtungen“ bin ich seit langer Zeit sehr verbunden, da ich schon mit Anfang zwanzig Texte dort abgedruckt habe, und dann bin ich quasi ins Team hinein gewachsen und wurde gefragt, ob ich der Redaktion beitreten möchte.

Seit wann leitest du Workshops und welche Erfahrungen hast du dabei gemacht?

Reyer: Mit den WS-Leitungen habe ich im Alter von 24 Jahren begonnen, es ist eine Arbeit, die mich sehr bereichert. Besonders schön ist es, mit Kindern Texte zu entwickeln. Wusstest du, dass der Mond nach Käse schmeckt?

Wie wichtig sind Lesungen und Buchpräsentationen für den Verkauf deiner Bücher?

Reyer: Leider verkaufe ich bei Lesungen kaum Bücher, muss ich gestehen, aber ich weiß nicht, wer dann später noch Arbeiten bestellt, weil er eine Lesung gehört hat …

Bist du selbst eine begeisterte Leserin?

Reyer: Ja, im Schnitt lese ich ein bis zwei Bücher pro Woche.

Konzentrierst du dich eher auf Gegenwartsliteratur?

Reyer: Nein, im Gegenteil. Ich finde die meisten ganz neuen Sachen eher langweilig, bis auf ein paar ganz Besondere, aber die muss man finden. Ich liebe vor allem frühe Texte: das Gebet der Ishtar, das Gilgamesch-Epos, die Metamorphosen et cetera, aber auch die Bewegungen der 60er Jahre sind mir ein großes Anliegen.

Liest du auch fremdsprachige Texte?

Reyer: Ja, auf englisch und französisch lese ich regelmäßig.

Auch Orwells 1984? [Anm.: Sophie Reyers Geburtsjahr]

Reyer: Freilich, Science-fiction-Romane / Dystonien liebe ich sehr. Mein Biomacht-Zyklus für Theater beispielsweise ist diesem Thema gewidmet.

Welchen Anteil haben e-books oder Hörbücher an deiner Lektüre?

Reyer: Manchmal bestelle ich Texte als e-books, wenn ich sie dringend bald lesen muss. Hörbücher mag ich nicht, weil mir meistens die Interpretation der Schauspieler nicht behagt und sie mir zu langsam sprechen. Also ich bin schon am Glücklichsten mit einem Buch in der Hand, muss ich ehrlich sagen. Dafür höre ich liebend gern Musik und Hörspiele und soundpoesie.

Was vermag die kraftvolleren inneren Bilder zu evozieren, das Narrative der Prosa oder die Reduktion und Komprimierung des Gedichts?

Reyer: Das ist, glaube ich, keine Entweder-Oder-Entscheidung. Gut sollte es sein. Eine Balance zwischen denken und träumen. Begeisterung als Basis, geistige Räume, die geöffnet werden …

Von der ersten Notiz bis zur endgültigen Ausformulierung – wie und wo können solche Notate entstehen und wie lange dauert es in der Regel bis zur endgültigen Fassung?

Reyer: Das ist ganz unterschiedlich. Es gibt Texte, die einem passieren – bei Lyrik ist das manchmal so, und es ist ein Segen – und Texte, für die ich lange und viel recherchiere, Plots konzipiere, Figurenbiographien anlege. Bei „Marias. Ein Nekrolog.“ habe ich sehr viel Zeit in Archiven verbracht, da es um Kindesmord geht.

Bist du bei den Proben zu deinen Theaterstücken anwesend?

Reyer: Ja, meine Stücke entstehen meist auch im Dialog mit einem Regisseur beziehugsweise reiben sich daran ab. Wenn ich mit guten Regisseuren arbeite, bin ich auch sehr offen für Kürzungen und Vorschläge und halte mich mit Probenanwesenheit gern zurück, jedoch will ich schon im Prozeß beteiligt sein, soweit das möglich ist. Man lernt sehr viel, und die Freude ist am größten, wenn der Text sich völlig von mir, der Person der Autorin, loslöst und eine Eigendynamik entfalten kann.

Womit schreibst du?

Reyer: Ich schreibe im PC, habe aber auch mehrere Notizhefte und einen Kalender.

Liest jemand deine Arbeiten, ehe sie einem Verlag angeboten werden?

Reyer: Ja, Petra Ganglbauer ist ein wichtiger Coach für mich. Aber auch andere Freunde wie Christoph Szalay helfen mir, über den Tellerrand hinaus zu blicken.

Wie sieht ein Arbeitstag bei dir aus, gibt es bevorzugte Arbeitszeiten?

Reyer: Ich arbeite gern von 11 bis 14 Uhr und dann wieder von 16 bis 18 Uhr, da hab ich die beste Energie, aber wenn sich das nicht ausgeht oder ich auf Lesereise bin, auch morgens oder nachts. Ich schreibe jeden Tag.

Woran arbeitest du gerade?

Reyer: An einem Roman für 11jährige.

Darf man schon erfahren, worum es da gehen wird?

Reyer: Um ein Scheidungskind, das von einer Hasendrachenfamilie aufgenommen wird, die in seinem Kasten lebt.

Üben die sogenannten „Sozialen Medien“ Einfluß auf dein Schreiben aus?

Reyer: Ja, das kollaborative Schreiben beispielsweise ist mir ein wichtiges Anliegen. Ich lerne gern von anderen Menschen, mich selbst kenne ich ja nach dreißig Jahren schon ein wenig, und manchmal langweile ich mich unendlich mit mir.

Eine Anekdote, bitte.

Reyer: Oje, mit Anekdoten bin ich schlecht, das kann meine Oma viel, viel besser als ich. Sie war Schauspielerin und hat meine ersten Worte notiert. Mit eineinhalb habe ich angeblich das Wort „Zahnprobleme“ entdeckt. Ist das eine Anekdote?

Ja. Vielen Dank für das Gespräch und alles Gute für die Zukunft.

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Wortspielhalle, eine Sprechpartitur von Sophie Reyer & A.J. Weigoni, mit Inventionen von Peter Meilchen, Edition Das Labor, Mülheim 2014

Es ist eine Vorzugsausgabe des Katalogs im Schuber von 10 Exemplaren mit einer Graphik von Peter Meilchen und Haimo Hieronymus erhältlich. KUNO rät sich diese Preziose  zu sichern.

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Zur Ausstellung 50 Jahre Krumscheid / Meilchen ist das das Buch / Katalog-Projekt Wortspielhalle  erschienen, ergänzt durch die Reihe Frühlingel von Peter Meilchen und einem Vorwort von Klaus Krumscheid. Die Sprechpartitur wurde mit dem lime_lab ausgezeichnet. Einen Artikel über das Konzept von Sophie Reyer und A.J. Weigoni lesen Sie hier. Vertiefend zur Lektüre empfohlen sei auch das Kollegengespräch :2= Verweisungszeichen zur Twitteratur von Reyer und Weigoni zum Projekt Wortspielhalle. Ein begleitender Essay findet sich im Bücher-Wiki. Ein Porträt von Sophie Reyer findet sich hier. Ein Porträt von A.J. Weigoni findet sich hier. Eine Würdigung des Lebenswerks von Peter Meilchen findet sich hier. Alle LiteraturClips dieses Projekts können nach und nach hier abgerufen werden.