Der Hampelmann

 

ich bin ein kleiner hampelmann der leider nicht mehr strampeln kann kinderreim kindervers kindheitstrauma kindergedicht bruchstück bruchstücke der erinnerungen der hampelmann eine puppe ein bojazlwie wir diese puppe nannten in einem pyjama aus abgewetztem blauem stoff aber mit goldfarbenen knöpfen vorne und einem langen spitzen hut wie ein judenhut aus dem mittelalter nach damaliger vorschrift ein mittelalterlicher judenhut die wirklichkeit in meiner kinderzeit aber war auschwitz sobibor bergen-belsen treblinka und wie diese vernichtungslager alle hießen von denen wir erst viel später erfuhren samt all dem was diese namen bedeuteten wofür diese namen chiffren waren der bojazl ein hampelmann der leider nicht mehr strampeln kannfüße gebrochen oder etwas anderes rückgrat vielleicht aber sonst heile schöne kinderwelt mitten im krieg an jedem abend rosenkranzgebet für die zwei ältesten brüder die seit monaten im feld standenund dann in gefangenschaft waren der eine in rußland lange zeit vermißt was habe ich mir denn unter diesen beiden termini im feld stehenund vermißtdamals vorgestellt vorstellen können etwa daß sie mitten in einem erdäpfel- oder krautacker standen zur bewachung der ernte damit niemand etwas stiehlt stehlen kann oder bei vermißtdaß er verlorengegangen ist verlegt worden ist wie ein schlüsselbund oder sonst etwas von dem niemand nichts weiß das ist das was vermißt vielleicht bedeutet im felde stehenund dann vermißt sein das hörte man ja überall und auch ständig zu mittag aus dem radio weniger während der nazizeit sondern eigentlich erst viel später als die heimkehrer angesagt wurden mittags im radio nach den nachrichten und wir da immer am radio saßen und zuhörten ob nicht die namen unserer bubenwie die eltern sagten mit dabei wären not und elend bekam ich wahrscheinlich doch schon während des krieges vor allem gegen sein ende irgendwie mit vor allem außerhalb des uns beschützenden elternhauses immer wieder sah man ja frauen in schwarzen gewändern und männer in ebenso schwarzen uniformen natürlich auch in braunen die war man aber gewöhnt die waren nichts besonderes aber die männer in ihren schwarzen uniformen waren etwas anderes die waren gefürchtet unsere ehre heißt treueund gott mit uns stand eingraviert aus dem bajonett das sie am gürtel trugen oder auf der koppelschnalle am riemen bei der deutschen wehrmachtsuniform also gott mit unswenn sie töteten dachte ich schon damals und spürte daß da etwas nicht zusammenpaßte du sollst nicht töten lautet ja das fünfte gebot gottes das moses bekam auf dem berg sinai auf den zwei steintafeln geschrieben das ich schon sehr früh kannte also da paßte etwas nicht zusammen das spürte ich und das wurde und war mir bald klar und bewußt daß da ein widerspruch zwischen den gottesgeboten und den nazisprüchen bestand das mit der ehre und was die treue mit der ehre zu tun hatte begriff ich sowieso nicht so recht naja das lied wenn alle untreu werdendas kannte ich das sang man ja dann und wann und ich hatte es schon gehört auch treue war eigentlich etwas gutes und ehre sowieso ein unehrenhafter kerl war nichts gutes aber was ehre und treue ganz genau und in wirklichkeit und nicht nur in meiner vorstellung waren das begriff ich als kleiner bub als dreikäsehochwie man zu mir sagte doch nicht so recht dann ging alles dem ende zu das spürte man auch und es gab anzeichen dafür da und dort aber niemand redete darüber schon gar nicht laut und nicht zu anderen später am sonntag das klavierspielen bei uns von meinen brüdern und an festtagen wir kinder im weißen matrosenanzug welch eine idiotie wir hatten doch gar kein schiff und überhaupt waren diese schiffe alle schon untergegangen weil versenkt durch feindliche flotten auch davon sprach man nicht man erfuhr es aber so unter der hand was ein u-boot war das wußte ich denn es gab ja so kleine bildchen mit verschiedenen darstellungen unserer heldenhaften kämpfer an der frontoder den tapferen kämpfern und tüchtigen frauen an derheimatfrontso viele erinnerungen die sich überschneiden die sich an keine zeitlichen vorgaben oder einordnungsstrukturen halten bilder die aufleuchten kurz aufzucken vor allem jetzt in meinen alten tagen die aber sofort wieder verschwinden an die ich mich kaum erinnere wenn sie wieder weg sind an die ich mich willentlich oft gar nicht erinnern kann aber dann doch wieder einzelne bilder in meinem kopf der kleine silberne tiefflieger der bedrohlich näherkommt und wir laufen wie die verrückten um den vor uns liegenden wald noch rechtzeitig zu erreichen manchmal die silberstreifenbündel die vom himmel herabfallen und die wir einsammeln um sie zu weihnachten als christbaumschmuck zu verwenden die hauchdünne fallschirmseide die mein bruder mitbrachte und aus der für meine vier schwestern dann sommerkleider genäht wurden die sie voller stolz trugen mit einem weißen unterkleid darunter die altmodische unterwäsche auf der wäscheleine hinter der kirche unförmige weiberunterhosen und büstenhalter und einiges sonst noch von dem wir buben nicht wußten was es war und wozu es gut war wir tuschelten nur hinter vorgehaltener hand und lachten dann manchmal laut auf und jemand fragte streng und wie eine drohung aussprechend was gibt es denn da zu lachenund der meinte das gar nicht als frage sondern als zurechtweisung so als hätten wir etwas ungehöriges gesagt oder getan aber vielleicht war das ja auch so denn im krieg gab es nichts zu lachen und man hatte nicht zu lachen schon gar nicht nach der schlacht um stalingrad oder gegen ende des krieges als immer wieder das wort frontbegradigungfiel und außer haus sollte man schon überhaupt nicht lachen wehe wenn ihr euch draußen über irgend etwas lustig macht hatte man uns immer wieder eingeschärft und tat das auch jetzt noch vor allem bei kriegsende verschärft fast jeden tag wir werden euch das einschärfenihr müßt euch das einschärfensagte man uns und ich stellte mir dabei ein scharfes messer vor wie es gewetzt wurde ein neger ein jud sagte beim messerwetzen zwanzig jahre später so ein fetter steirischer alt-nazi der einmal gendarm gewesen und dann vom dienst freigestelltworden war so wie andere frühere nazis auch die alle dreck am stecken hattenwie man sagte ohne genaueres zu wissen oder wissen zu wollen aber es waren sowieso nur wenige viel zu wenige die dreck am stecken hatten und die jetzt freigestellt waren als lehrer oder ehemalige polizisten oder sonstwas und nachher nach dem sogenannten zuammenbruchsaßen sie ja doch bald alle wieder auf ihren früheren posten der einbeinige ehemals fanatische nazi der beim einmarsch der kämpfenden besatzungstruppen noch von einem dachfenster mit seinem revolver herabgeschossen haben soll geklärt wurde das niemals weil man nachher sowieso nichts klärte nichts mehr klären wollte da hatten wir andere sorgensagte mein vater der neue bürgermeister auf mein fragen hin also dieser fesche einbeinige nazi von damals saß nachher als kriegsversehrterals gemeindebediensteter an einem schalter auf dem gemeindeamt und schnauzte mich an als ich eine heimatrechtsbescheinigunghaben wollte und nicht gleich genau sagte konnte wofür und warum und in wessen auftrag aber da waren wir dann ja schon ältere buben gingen ins gymnasium oder anderswohin zur schule da war ja schon nachkriegszeit die zeit nach dem krieg nach dem zusammenbruch später ich als zehnjähriger gymnasiast beim einrückenins internat ich auf einem foto für einen ausweis für eine identitätskarte ich schon mit weißem hemd und ungeschickt gebundener krawatte und einem dunklen rock das haar mit wasser niedergebügelt der blick geradeaus ins irgendwohin gerichtet mein gesichtsausdruck alles anders als eine widerspiegelung von glücklichsein und geborgenheit nein ein gesicht voller ablehnung voller verstocktheitwie vater das nannte nein ein glückliches kind war ich damals sicherlich nicht ein kindheitstrauma kindheitsreim kindergedicht ein hampelmann der leider nicht mehr strampeln kannjetzt mit bald achtzig jahren fällt mir dieser reim am morgen beim aufwachen plötzlich wieder ein dazwischen liegt ein leben dazwischen liegen so viele schatten liegt eigentlich so wenig glück kein fröhlichsein alles war stets von etwas dunklem überschattet von etwas schwerem belastend zugedeckt und ohne schönes aufhellendes licht

 

 

Weiterführend →

Über den dezidiert politisch arbeitenden Peter Paul Wiplinger lesen Sie hier eine Würdigung.

Weiterführend → Holger Benkel machte gedanken über das denken.

In 2013 unternahm Constanze Schmidt Gedankenspaziergänge.

→ Gleichfalls in 2013 versuchte KUNO mit Essays mehr Licht ins Dasein zu bringen.

In 2003 stellte KUNO den Essay als Versuchsanordnung vor.