Die Gewinner des KUNO-Essaypreises 2013

Bei KUNO präsentieren wir Essays über den Zwischenraum von Denken und Dichten, wobei das Denken von der Sprache kaum zu lösen ist zumal, zumal es sich bei den ausgezeichneten Autoren um Lyrikerinnen und Lyriker handelt. Die Jury hat sich nach intensiver Beratung als Preisträger für den KUNO-Essaypreis 2013 für Sophie Reyer, Christine Kappe und Jan Kuhlbrodt entschieden.

Essayistische Splitscreen–Technik

Sophie Reyer geht im Essay Referenzuniversum der Frage nach, wie das Schreiben durch das schreibende Analysieren gebrochen wird. Sie gestaltet sich einen Allegorienaufmarsch mit Texteinheiten voller Schalk und Weisheit. Wie jede Schriftstellerin erschafft Reyer eine ganz eigene Wahrnehmung, eine Beobachtung, die sich sowohl aus dem kollektiven wie auch individuellen Bewußtsein speist. Die Generation um Reyer setzt auf die Intelligenz der Menge, auf die Selbstorganisation des Schwarms, auf die Macht derer, die sich selbst erkannt und aus freien Stücken miteinander verbunden haben. Es geht ihnen nicht mehr darum, dass die Einzelnen in einem grossen Ganzen vereinheitlicht werden und ihre eigenen Ideen, Geistesblitze und ihre Kreativität einem fertigen Weltbild unterordnen. Diese Generation kann viele werden und dabei Einzelne bleiben, die mit all ihrer Eigenständigkeit, Verrücktheit und mit ihrem individuellen Eigensinn dazu beitragen, die Idee einer Poesie immer wieder neu entstehen zu lassen. Reyer bricht die Idee vom objektiven Ich und vom subjektiven Ich auf und thematisiert in ihrer Poesie Verletztheit, es ist eine wohltuend unsentimentale Sichtweise auf die Welt und ihre Mechanik.

Gegenwartsliteratur läßt sich über ihre Gegenwärtigkeit definieren.

Christine Kappe

Christine Kappe stellt die Frage: „Findet das Heute überhaupt statt?“ Inspiriert durch den Literaturvermittler und gleichfalls findigen Essayisten Theo Breuer startete Kappe auf KUNO mit dem Essay Das Licht ist mein Thema, nicht der Himmel oder: Ilya Kabakov und das Licht auf meiner Posttour. Diese Autorin wartet in ihren Essays mit skurriler Metaphorik auf. Obzwar sie Sprachwissenschaft und Geschichte studierte, wurde sie nicht verbildet. Gute Autoren erkennt man daran, daß sie besser werden. Kappe exerziert auf lakonische und unterhaltsame Weise, wie ein neugieriges, zwanghaft sprachverliebtes Chamäleon Entfremdung, Fragmentierung und erneute Synthese betreibt. Ihre Essays haben die Tendenz das Ich und seinen Gegenstand zu entgrenzen und diese Entgrenzung sprachlich weiterzutreiben, sie miteinander und mit skurrilen Einzelheiten und Beobachtungen zu vermischen und einfallsreich in surreale Gebilde zu verwandeln. Diese Autorin ist eine wilde Denkerin im besten Sinne, allein schön wegen der größeren Textsammlung zu den Themen Nacht und Hannover hätte ihr dieser Preis gebührt. Auf die Knie ging die Jury jedoch vor der scheinbaren Einfachheit ihres preiswürdigen Essays und stimmt der Autorin vollauf zu Die Literatur wird parallel zu den neuen Medien weiterexistieren.

Der Essay bedarf keiner enzyklopädischen Stimmigkeit, seine Suggestivkraft erlaubt es, eine Pluralität von Partialwelten koexistieren zu lassen.

Jan Kuhlbrodt

Ganz im Sinne Montaignes wagt sich Jan Kuhlbrodt an einen Versuch über Ingold. Das Tastende dieses Vermittlers läßt sich durchweg in seinem Schreiben finden, etwa in seinem Langgedicht Stötzers Lied. Gesang vom Leben danach. Dieser Zyklus trägt viel Bewußtsein für die eigenen Quellen in sich, gelegentlich glaubt man das Faksimile-Knistern alter Amigaplatten zu hören. Sein Gedichtband enthält eine Vielstimmigkeit in der Einheit. Und es sind überwiegend Lyriker, denen sich Kuhlbrodt essayistisch widmet. Stoische Geringschätzung von Äußerlichkeiten, Kritik des Wissenschaftsaberglaubens und der menschlichen Überheblichkeit gegenüber anderen Naturgeschöpfen sowie Skepsis gegenüber jeglichen Dogmen kennzeichnen seine essayistischen Porträts. Seine trefflichsten Essays sind auch verkappte Selbstporträts. Dieser Außenseiter versteht problematischen Naturen. In den Details erkennt er die Eigenwilligkeiten. Für einen Autor, der vorgibt, die Literatur sei sein Lebensgefühl, ist das ein Triumph der Kritik über ihren Gegenstand.

Man interessierte sich weniger fürs Analytische als fürs Anekdotische, schreibt Kuhlbrodt etwa über die Jahre bei der Frankfurter AStA. Ebenso wie im „Schnecken­paradies“ interessiert sich der Autor auch in seinen Essays für beides: dafür, Anekdoten zu erzählen, ebenso wie dafür, die Umstände der Anekdoten und die Erinnerung an die Anekdoten zu analysieren. Kuhlbrodt überwindet die traditionelle deutsche Kritikfeindschaft, die schon Lessing beklagte zugunsten einer Kunstbetrachtung. Dabei überwiegt die Reflexion und Analyse deutlich, dies geschieht jedoch nie ohne Empathie.

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Eine lobende Erwähnung geht ausdrücklich an Dennis Ulrich, Frederik Wolfgang Kloiber, Nicoleta Craita Ten’o und Lukas Wetzel, die bei der Jury ebenfalls in der engeren Auswahl standen, und deren Essays KUNO im Dezember gleichfalls auf KUNO präsentiert werden. Diese Autoren werden mit einem Sonderpreis bedacht.