Kopfkino, ein Wortvideo für eingeweihte Ohryeure

 

Das Klangkontinuum des Flugzeugs wird kommentiert vom Klicken der Flaschen. Die dienstfertige Stewardess erkundigt sich bei dem Fluggast:

»Möchten Sie etwas Soda für den Whiskey?«

»Danke, nein. Nur nicht verwässern«, weist Georg Kaplan den Frevel zurück.

»Darf es Eis sein, Sir?«

»Danke, Sie sind kühl genug.«

»Wie Sie meinen, Sir«, ist die auf blond gebleichte Dame keine Spur irritiert. Dumme Sprüche gehören auf dieser Linie zum Alltag. Sie wird auch dafür bezahlt, das kommentarlos zu übergehen. »Sonst noch einen Wunsch?«

»Wie schaltet man dieses Glotzophon hier um?«

»Sehen Sie den Knopf am unteren Ende Ihrer rechten Armlehne?«

Georg Kaplan betätigt den Schalter, ist aber nicht zufrieden:

»Sehr nett, schönes klares Bild, wenn auch etwas klein. Doch, ist das ein Kanal, der sich auf Stummfilme spezialisiert hat?«

Die Stewardess reicht ihm den Kopfhörer und stöpselt ihn ein.

»Falls Sie den Film synchronisiert hören wollen, können Sie das auswählen. Wir haben 29 Filme in vier Sprachen zur Auswahl«, erläutert sie das Programm. Georg betätigt die Tastatur, hört den Song „I wanna be loved by you“, betrachtet eine intensive Darstellung grosser Gefühlsausbrüche.

»Wenn Sie weitere Wünsche haben, brauchen Sie nur die Lippen zu spitzen und zu flöten«, tiriliert sie wie ein Vögelchen. Jeder Gang, jedes Lachen, jede Geste ist vergrösserte, verlängerte Pose.

»Wollen Sie sich nicht setzen, Händchen halten und Kopfkino gucken?«, bittet Georg sie Platz zu nehmen. Für ihn gibt es kaum etwas Erotischeres, als neben einer schönen Frau im Kino zu sitzen.

»Nichts lieber als das, aber ich muss auch noch andere Fluggäste verwöhnen.«

»Ich schau dir in die Augen, Kleines«, prostet Georg ihr zu und sieht ihr nach, wie sie auf ihren langen Beinen durch den Gang schlendert.

»Seltsam bitterer Geschmack…?«, röchelt er, nachdem er das Glas geleert hat. Greif sich an den Hals. Würgt. »Whiskey mit Mandeln?… seltsam… doch nicht etwa: Dr. Seltsam!?«, begreift er, dass im Sterben die Sprachmasken fallen, während ein Kavalleriesignal aus den Kopfhörern ertönt und sich seine Fantasiebibliothek im Hinterkopf in Gang setzt.

 

 

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Cyberspasz, a real virtuality, Novellen von A. J. Weigoni, Edi­tion Das Labor, Mülheim an der Ruhr 2012.

Weiterführend → KUNO übernimmt Artikel von Jo Weiß aus Kultura-extra, von Karl Feldkamp aus Neue Rheinische Zeitung und von Christine Kappe aus fixpoetry. Betty Davis sieht darin eine präzise Geschichtsprosa. Margaretha Schnarhelt erkennt darin  hybride Prosa. Enrik Lauer deutet diese Novellen als Schopenhauers Nachwirken im Internet. In einem Essay betreibt KUNO dystopische Zukunftsforschung.