In Fachgeschäften für Schallplatten gab es unterschiedlicher Fächer, in denen Band nach Musikrichtungen sortiert wurden. Für alles, was sich nicht unter Pop, Rock, Blues oder Jazz unterbringen lies, gab es das Fach „Weltmusik“. Hier fand sich alles, was sich in den anderen Rubriken nicht unterbringen lies.
Es ist mit dieser Musik nicht immer leicht gewesen, anfangs, auf den Dorfbühnen in Meschede oder Altenhundem, während unten im Saal die Sauerländer lautstark nach Rock’n’Roll verlangten.
Peter Wolbrandt
Kraan war eine Band, die sich auch außerhalb des Sauerlands nicht einordnen lies. Sie gehören nicht in das Fach Krautrock, spielen aber auch keine Fusion von Jazz und Rock, dafür fliessen orientalische und arabische Klänge in den Sound ein. Die Brüder Peter Wolbrandt (Gitarre) und Jan Fride (Drums) trafen auf den Bassisten Hellmut Hattler und den Saxophonisten Johannes „Alto“ Pappert und gemeinsam fanden sie mit dem sein Gut Wintrup im Teutoburger Wald einen Rückzugsort, an dem sie nahezu rund um die Uhr unterschiedliche musikalische Formen ausprobieren konnten. Im Vordergrund stehen Leichtigkeit und Spielfreude, ihre Musik klingt wie eine endlose Jamsession, die den Spaß auf den Zuhörer überträgt.
Ihre Musik klingt zuweilen jazzig, psychedelisch und teilweise von Fusion, Funk und Ethno beeinflusst. Die grandiose Percussion- und Bassarbeit schafft eine perfekte Basis für die Melodie- und Soloauftritte der Gitarre und des Saxophons. Das Saxophon von Pappert klingt wie eine Geige oder ein Synthesizer, aber eigentlich selten wie ein Saxophon. Hattlers Bassspiel kann man als Motor ihrer Musik bezeichnen, als treibende Kraft, während Gitarre und Saxophon den solistischen Part beisteuern. Er setzt teileweise ein Plektrum ein und nutzt den Bass auch als Soloinstrument wird. Auch großartige Gitarrenarbeit von Wolbrandt fügt sich perfekt in den Sound ein, da die Gitarre immer zwischen Rhythmus und Solo wechselt. Das Altsaxophon von Pappert bedient orientalische Einlagen. Auf den Gesang muss man fast verzichten, aber das ist kein Problem, da die Musik von Instrumentalparts dominiert wird.
Kraans Milieu ist nicht das Aufnahmestudio sondern der der Konzertsaal. Während die Studioaufnahmen den Eindruck vermitteln, die Band würde mit gedrosseltem Temperament spielen, bringen sie auf der Bühne die ganze Energie auf die Überholspur. Die Grundideen der Songs aus den vorangegangenen Studio-Veröffentlichungen sind bestenfalls Skizzen, die auf großer Leinwand ausgepinselt werden. Man kann es nicht oft genug unterstreichen, das spielt eine Band nicht einfach das nach, was sie bereits im Studio gemacht haben, sie bietet mit den Live Einspielungen etwas unerhört neues. Das einzige, was mit Understatement daherkommt ist der Titel: Kraan Live.
„Jerk Of Life“ ist die perfekte Wahl zum Auftakt. Eine schnelle Melodie, angetrieben von der Percussion. Dieses Lied bereitet bereits so viel Freude, dass es schwer ist, sich nicht im Takt zu bewegen. Das ganze verbindet sich mit einem unwahrscheinlich geschmeidigen Groove, dem Jan Fride am Schlagzeug stets ein lockeres, elegant sitzendes Korsett anlegt. Hier wird bereits klar, dass die Kraaniche unglaublich funky daherkommen, da kommt kaum eine andere Band aus den frühen 1970-er Jahren mit.
„Nam Nam“ als Instrumentalstück die Glanznummer von Hattler. Der Bass sticht hier wirklich hervor. Es beginnt langsam, entwickelt sich aber zu einem rasanten Song mit großartigen Gitarren- und Saxophonmelodien. „Holiday Am Marterhorn Inclusive Gipfelsturm“ klingt wie ein Lied, bei dem jemand beim Zubereiten einer Mahlzeit Zutaten nach und nach hinzufügt. Der Bass beginnt, gefolgt von Schlagzeug, dann Gitarre und schließlich Saxophon, und schon kann unser Festmahl genossen werden. Das Saxophon hat einen sehr warmen Klang und der gesamte Klang ist wunderschön. Später ein paar gute Gitarrensoli; wie gehabt mit viel Jam und Improvisation und tollen Melodien in diesem Track.
„Sarah’s Ritt durch den Schwarzwald“ ist eine aggressive Funk-Fusion, die sich verausgabt, bis sich die Strukturen eines Songs völlig aufgelöst haben. Zwischen treibenden Rhythmen wie in „Sarah’s Ritt durch den Schwarzwald“, das wirklich gnadenlos in die Beine fährt, eleganteren, mehr auf romantisierte Melodien fokussierte Songs wie „Holiday am Marterhorn (Including Gipfelsturm)“ und beinahe bluesigen, fast sinnlich anmutenden Cuts wie „Lonesome Liftboy“ bietet das Album im Grunde die essentielle Einführung in den Sound dieser Zeit.
Etwas zentraler ist die Rolle, die dem Gesang in „Andy Nogger“ zugeschrieben wird, das einem traditionellen Song wohl noch am nächsten kommt, wenn der Track nicht nahtlos in das wiederum deutlich verspieltere „Andy Nogger – Gutter King“ übergehen würde. Der Fokus liegt über den Großteil der Spielzeit jedoch eindeutig auf der instrumentalen Darbietung, die Jazz-Rock mit jeder Menge Funk unterfüttert und – speziell bei „Kraan Arabia“ – auch mal ausgiebig mit orientalischen Melodien spielt, diese raffinierte Jazz-Trip in die östliche Musik ist das Glanzstück „Alto“ Pappert, ein Stück, dass nicht nur zu den Klassikern der Band gezählt werden muss, sondern auf diesem Album einen Höhepunkt darstellt.
Im Oktober 1974 hatte Conny Plank bei Konzerten im Berliner Quartier Latin die Aufnahmen für das Doppelalbum Kraan Live mitgeschnitten. Es ist ein Meisterwerk.
Bevor die goldene Ära für der Die Kraaniche endete, gelang es der Combo, mit Produzent Conny Plank die Live-Aufnahme „Tournee“ zu veröffentlichen und sie änderten ihre Flugformation. Dieses Album bestand aus Ausschnitten von vier verschiedenen Auftritten um 1979. Zu Kraans Besetzung gehörten zu dieser Zeit Udo Dahmen (Schlagzeug), Hellmut Hattler (Bass), Peter Wolbrandt (Gitarre, Gesang) und Ingo Bishop (Keyboards).
„Tournee“ ist ein kleiner Bruder des Albums „Live“
Kraan waren in erster Linie immer eine Live-Band; Auf der Bühne konnte das Zusammenspiel der Musiker im freien Fluss wirklich glänzen. Die engeren Konzepte, die sie im Studio ausprobierten, einschließlich der gelegentlichen Versuche eines eingängigen Songwritings, haben noch nie so stark zur Stärke dieser Musiker beigetragen. Live klangen Kraan wie keine andere Band zu dieser Zeit; sie strahlten eine starke, energiegeladene und rhythmisch explosive Musik aus. Bei aller Komplexität ihrer Musik haben sie auch nie die gewisse verträumte Melancholie in ihrem Sound verloren. Die Combo spielt ihre eigene Art von überwiegend instrumentalem, eher optimistisch klingendem Jazz-Rock, dominiert von Hattlers unerbittlichen Basslinien und der allgemeinen Virtuosität der Bandmitglieder. Es ist ein Sound, die fließt, aber dennoch eine gewisse Raffinesse im harmonischen Bereich aufweist.
Die Tatsache, dass es jetzt Keyboards anstelle eines Saxophons gibt, ist einer der Hauptunterschiede zwischen Live und Tournee.
Es ist keine Übertreibung Bischof in einem Atemzug mit Jan Hammer zu nennen, auch er ist sehr virtuos, aber immer entspannt und melodisch. Durch die Tastaturen wird der Klang der Combo etwas weicher und voller; auch Bischof bringt noch mehr Jazzeinflüsse mit, obwohl Dahmen dies mit einem rockigeren Ansatz ausgleicht. Bischof und Wolbrandt kämpfen beide um den Titel der schnellsten Hand des Westens und Dahmen und Hattler brauchen sich sicherlich nicht zu verstecken. Dahmen kann auf jeden Fall einen guten treibenden Groove spielen und hat auch einiges an Geschwindigkeit in seinen Händen. „Live“ hat etwas mehr Publikumsinteraktion, Schärfe und Funken als das zweite Live-Album, aber Tournee kann mit seinem melodischeren, verträumten Ansatz und einigen eher ruhigen, entspannenden Teilen sehr gut mithalten.
Tournee ist eine wertvolle Ergänzung zu Kraan Live.
Es ist sinnfällig, dass diese beiden Alben durch Hattlers Bass, den Optimismus, die Spielfreude und den schwungvollen Sound unverkennbar Kraan-Charakter haben, dennoch haben sie einen recht unterschiedlichen Charakter, „Live“ eher ein heller Tageslichtcharakter und Tournee für die kürzeren Stunden, üppig und angenehm, fast mühelos klingend und dennoch spannend und straff. Der Sound von Tournee ist klar und transparent, aber dennoch charakteristisch live ohne unnötigen Perfektionismus oder Studiotricks, mit etwas natürlichem Konzerthallenhall. So wie es sein soll. Danke, Conny Plank!
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Kraan Live, 1974, Tournee, Kraan 1979
Weiterführend → Der Begriff `Krautrock´ geht auf das Wort „Sauerkraut“ sowie die Bezeichnung „Krauts“ für die deutschen Soldaten im Zweiten Weltkrieg zurück. Der Ursprung des Wortes Krautrock geht auf eine Werbeanzeige der deutschen Firma Popo Music Management zurück, die in der US-amerikanischen Zeitschrift Billboard das Wort 1971 erstmals benutzte, um für Platten von Bacillus Records zu werben. Dieser Begriff wurde von der britischen Presse aufgegriffen und häufig benutzt. Peinlich wird Krautrock immer dann, wenn Deutsch Bands versuchen englische Texte zu verzapfen. Daher ein Hinweis auf die Deutschen Texte von Ton, Steine, Scherben. Sowie auf Ran! Ran! Ran! – THE BEST OF FAMILY*5 / VOL. I, zusammengestellt von Xao Seffcheque. Inzwischen ist das alte Thema Compact Cassette wieder aufploppt. Laut eines Berichts im Deutschlandfunk sind Tapes „Hipper als Vinyl“, wir spulen zurück in die Zukunft des Cassettenlabels. Danach ertastet KUNO den Puls des Motorik-Beats. Und machen eine Liebeserklärung an die „7-Inch Vinyl Record Single“. Krautrock ohne angloamerikanisches Vorbild – lässt es auch die Kraaniche fliegen? Auf Embryo’s Reise entdeckten die Musiker zwar nicht Amerika, sondern die Weltmusik. Ist das noch Krautrock? – Eher Labskaus vom feinsten! Last but least: Krautrock @ its best!
Inzwischen gibt es: Pop mit Pensionsanspruch, sowie eine Rock and Roll Hall of Fame. Daher der Schlussakkord: Die Erde ist keine Scheibe