DER ERHÄNGTE

 

ich laufe eines frühen morgens zum bahnhof und halte den kopf nach unten gebeugt, sei es, damit mir der wind nicht ins gesicht schlägt, oder um beim schnellen gehen nicht abgelenkt zu werden. zudem bin ich in gedanken versunken und überdies noch gar nicht richtig wach. bis ich, durch den schrei einer krähe aufgeschreckt, meinen kopf schräg nach oben wende, am nächsten baum einen menschenkörper leblos herunterhängen sehe und schlagartig rufe: »er ist bewegt nur noch vom wind.« plötzlich erkenne ich, daß ich der erhängte bin. und der tote steigt am baum hinab, kommt mir entgegen, lüftet seinen runden hut und sagt: »wasserleiche wäre besser gewesen, da wird man wenigstens aufgeblasen.«

 

 

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traumnotat aus reise im flug, von Holger Benkel, Verlag blaue Äpfel, Magdeburg 1995

Weiterführend

 

In einem Kollegengespräch ergründeln Holger Benkel und A.J. Weigoni das Wesen der Poesie – und ihr allmähliches Verschwinden. Das erste Kollegengespräch zwischen Holger Benkel und Weigoni finden Sie hier.

kindheit und kadaver, Gedichte von Holger Benkel, mit Radierungen von Jens Eigner. Verlag Blaue Äpfel, Magdeburg 1995. Eine Rezension des ersten Gedichtbandes von Holger Benkel finden Sie hier.

meißelbrut, Gedichte von Holger Benkel, mit siebzehn Holzschnitten von Sabine Kunz und einem Nachwort von Volker Drube, Dr. Ziethen Verlag, Oschersleben 2009. Eine Rezension finden Sie hier.

Gedanken, die um Ecken biegen, Aphorismen von Holger Benkel, Edition Das Labor, Mülheim 2013

Essays von Holger Benkel, Edition Das Labor 2014 – Einen Hinweis auf die in der Edition Das Labor erschienen Essays finden Sie hier. Auf KUNO porträtierte Holger Benkel die Brüder Grimm, Ulrich Bergmann, A.J. Weigoni, Uwe Albert, André Schinkel, Birgitt Lieberwirth und Sabine Kunz.