Der Gossenroman von dem Kritiker träumen

Er hat das Formensprengen zu seinem Metier gemacht.

Prof. Almuth Keusen-Hickl

In der Tat hat sich Weigoni mit Jaguar wieder einmal zwischen die Stühle gesetzt. In diesem Fall zwischen die sogenannte Trivialliteratur und die sogenannte Schöngeistige. In seiner Sichtweise von längst überkommenen Formen der Kriminalliteratur nutzt er schlitzohrig das Tempo einer Geschichte, um die Sprache selbst durch die Gosse zu hetzen. Das Personal, das der Autor für dieses Gossenheft unter Vertrag genommen hat, läßt sich kaum mit Figuren vergleichen, die im Laufe der Handlung eine Wandlung erleben. Sollten diese Protagonisten den Anschein erwecken, daß sie Stummfilmen oder Comicbooks entsprungen sind, so ist dies völlig beabsichtigt. Die Story ist Konstruktion, pure Konstruktion, sie könnte ebensogut anders laufen, genau darum geht es bei Jaguar: um die Endlichkeit der Möglichkeitsformen.

Jaguar ist eine ‚Melancholödie’, die in einer großstädtischen Kneipen- und Kunstszene spielt, das Akademieumfeld der Landeshauptstadt NRWs und die Szene der Ratingerstraße sind ahnbar. Historischer Bezug der Figuren ist der Rock’n’Roll. So denken und handeln sie auch: schnell, hart und laut. Dabei verfangen sie sich in ausgelegten Fallstricken. Schneider und Zonker sind Figuren in einem Spiel von Dr. h.c. Paul Pozozza. Pozozza ist Repräsentant eines Systems, an das er nur glaubt, weil es Profit bringt. Die Malerin Vera Strange ist nicht nur ein Inbegriff romantischer Künstlerexistenz, sondern ein spätes Aufleuchten der Moderne in einem ungleichzeitigen Kontext. Weil Romantik der letzte Versuch ist, in der Kunst etwas Ganzes zu schaffen und die Moderne das Bewusstsein ihrer notwendigen Zerrissenheit einschließt, dann ist sie ein Repräsentant von beidem. Dazwischen steht die Galeristin Grazia Terribile. Sie hat ideelle Vorstellungen, die sie materiell umsetzt. Die eiskalte Hand des Neoliberalismus wurde mit dem hirschledernen Handschuh der Kunstfreiheit überzogen, damit der auspressende Griff um den Hals der künstlerischen Arbeiter keine Fingerabdrücke hinterläßt.

 

 

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Jaguar, Neo-Noir-Novelle von A.J. Weigoni, Krash-Verlag 1989

Coverphoto: Jesko Hagen

Weiterentwicklung →

Das erste Gossenheft dieser Reihe, den 1989 erschienenen Jaguar, überarbeitete A.J. Weigoni im Lauf der Zeit zur Neo-Noir-Novelle Der McGuffin – Nachruf auf den Kriminalroman für das Buch Cyberspasz, a real virtuality. Weiteres kann man auf kultura-extra nachlesen, zusätzlich kann man sich in einem Hintergrundgespräch auf Lyrikwelt.de informieren. Ein nicht minder lesenswerter Essay findet sich auf fixpoetry. Eine Leseprobe findet sich hier und Probehören kann man eine Rezitation von A.J. Weigoni auf MetaPhon die durch Tom Täger vertont wurde.

Cyberspasz, a real virtuality, Novellen von A. J. Weigoni, Edi­tion Das Labor, Mülheim an der Ruhr 2012.

 

Weiterführend →

Weigoni-Porträt: Anja Roth

In der Reihe Gossenhefte zeigt sich, was passiert, wenn sich literarischer Bodensatz und die Reflexionsmöglichkeiten von populärkulturellen Tugenden nahe genug kommen. Der Essay Perlen des Trash stellt diese Reihe ausführlich vor. Dem Begriff Trash haftet der Hauch der Verruchtheit und des Nonkonformismus an. In Musik, Kunst oder Film gilt Trash als Bewegung, die im Klandestinen stattfindet und an der nur ein exklusiver Kreis nonkonformistischer Aussenseiter partizipiert. Lesen Sie auch das Kollegengespräch von A.J. Weigoni mit dem echten Bastei Lübbe-Autor Dieter Walter.