Gesetzmässigkeiten menschlichen Verhaltens

Wir müssen uns fragen: Was ist Intelligenz eigentlich? Was ist das Wesen von Künstlicher Intelligenz? Welche KI wollen wir, was soll sie leisten, wie selbständig kann sie sein? Und wie kann der Mensch sich zu ihr verhalten?

Jan St. Werner 

Man kann jedes dieser Bücher für sich lesen. Erzählung für Erzählung. Novelle für Novelle. Bei einem geeigneten Flow kann der Leser aber auch durch 600 Seiten hybrider Prosa surfen, und sie als Kommentar zur  Zeit der totalen Kommunikation lesen. Die Mechanismen der digitalen Geräte entsprechen den Mechanismen, wie Menschen ihr Leben gestalten; es ist eine sogenannte Globalisierung, die einerseits von Geldgier, andererseits von der Hoffnung vieler auf spirituelle Erlösung geprägt wird. Diese Prosa spiegelt eine Welt, die von Wertezerfall, Moralverlust und einem enthemmtem Kapitalismus geprägt ist. Die Zombies akzeptieren die Normen einer heruntergekommenen Lemming­-Gesellschaft, die Humanismus und Aufklärung aufgegeben hat und nur noch egoistische Vorteilsnahme als Wert ausgibt. Sie leben in einer real virtuality nur noch im Konkurrenzkampf, der längst die Seele zerfressen hat. Keine Poesie für die Spaßgesellschaft, aber wer predigt gern vor Bekennenden?

Die messerscharfe Prosa von A.J. Weigoni ist in Welthaltigkeit getaucht.

Coverphoto: Jesko Hagen

A.J. Weigonis Erzählungen haben keine Vampirzähne, Biss haben diese Zombies allemal. Sprachlich auf das Wesentliche reduziert, Erzählungen, die ihrem Namen gerecht werden. Dieser Romancier führt den Leser durch ein abgründiges Bestiarium menschlicher Leidenschaften und zeigt mit irritierender Illusionslosigkeit die menschliche Grausamkeit.

Ein seiner Seele beraubtes, willenloses Wesen.

Ohne Schnörkel zelebriert A.J. Weigoni die Magie des Alltags. Seine Erzählungen sind ein Spiegelbild der alltäglichen Monstrositäten, Untergangsgeschichten, geprägt vom melancholischen Sound des globalen Niedergangs, wachsender Amoral und ausgefranster Tradition. Diese Erzählungen sind voller Humor – und streckenweise so schwarz, dass sie unter der Kohlenkiste noch einen Schatten werfen würden.

Die Novelle, ein Bastard der Erzählung

Covermontage: Jesko Hagen

Nach den drakonischen Gesetzen des Sortiergewerbes ist die Novelle ein Bastard der Erzählung. Folgt man der sortenreinen Klassifikation der Germanisten, dann variiert Weigoni in seinen neuen Novellen Cyberspasz, a real virtuality die Erzählungen seiner Zombies. Er setzt Figuren und Figurationen in einen übergreifenden Zusammenhang, parodiert die Stilmittel des Cyberpunk und unterläuft subtil das Zopfmuster so genannten Kriminal-Romans.

Dieser Romancier hält eine Spannung aufrecht, damit die Leser ihm in die Abgründe des Menschlichen folgen. Seine Prosa durchwehen eiskalte Feuerwinde, führen in ein Bestiarium von Gestalten, die unter einem enormen Beschleunigungsdruck agieren und deren so genannte Beziehungen dadurch das äußerste Ausmaß von Beziehungsarmut zeigen. Dabei moralisiert Weigoni nicht, er erzählt notwendige Geschichten des beginnenden 21. Jahrhunderts. Das macht die Kraft dieser Novellen aus, deren Dichte zuweilen den Lyriker verrät.

Weigoni beherrscht die Sprache so souverän, dass er keine großen Worte machen muss. Als Erforscher von Trivialmythen interessiert er sich für die Fragen jenseits des whodunnit: Soziales, Politisches, und Ethisches. Verbrechen passieren überall und werden zu Unterhaltung gemacht. Es liegt in der Logik des tiefgefrorenen Kapitalismus, alles zu Entertainment zu machen. Weigonis Bücher sind ein vehementer Widerstand dagegen, er setzt weiterhin auf die Aufklärung.

Jeder Detektiv lebt von Zusammenhängen, daher gleichen wir Leser einem Kriminalisten, der annehmen muss, dass sein Weltbild durch Lektüre einen Sinn erhält.

 

 

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Cyberspasz, a real virtuality, Novellen von A. J. Weigoni, Edi­tion Das Labor, Mülheim an der Ruhr 2012.

Zombies, Erzählungen von A. J. Weigoni, Edition Das La­bor, Mülheim an der Ruhr 2010.

Vignetten, Novelle von A. J. Weigoni, Edi­tion Das Labor, Mülheim an der Ruhr 2009.

Cover: Schreibstab von Peter Meilchen

Weiterfühend →

KUNO übernimmt Artikel von Jo Weiß aus Kultura-extra, von Karl Feldkamp aus Neue Rheinische Zeitung und von Christine Kappe aus der vom Netz gegangenen fixpoetry. Betty Davis sieht in Cyberspasz eine präzise Geschichtsprosa. Margaretha Schnarhelt erkennt in der real virtuality eine hybride Prosa. Enrik Lauer deutet diese Novellen als Schopenhauers Nachwirken im Internet. In einem Essay betreibt KUNO dystopische Zukunftsforschung.