Tag des Mauerbaus

Am 13. August 1961 begannen die Machthaber der DDR aus Putativnotwehr mit dem Mauerbau. Die zentrale Gedenkveranstaltung zum Jahrestag um 13 Uhr in der Gedenkstätte Berliner Mauer statt. Dazu werden in der Bernauer Straße unter anderem Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) und Berlins Kultursenator Klaus Lederer (Linke) erwartet. Gemeinsam mit weiteren Vertretern aus Politik und Gesellschaft sowie mit zahlreichen Zeitzeugen werden sie der Opfer von Mauer und Teilung gedenken.

Die Abkürzung BRD wurde im Kalten Krieg für die Bundesrepublik Deutschland als eine nicht offizielle Abkürzung verwendet, mitunter im wissenschaftlichen und insbesondere politischen Kontext analog zu dem meist in Anführungszeichen gesetzten Kürzel “DDR” während des Zeitraums von 1949 bis 1990. A. J. Weigoni gelingt in seinem ersten Roman Abgeschlossenes Sammelgebiet die detaillierte Abbildung seiner Epoche in der Sprache. Darin ähnelt er Arno Schmidt, der in seiner Prosa der 1950er–Jahre die unmittelbare Gegenwart der Adenauer–Ära brennscharf einfangen hat, das konservative Bedürfnis nach Rückkehr zur Normalität, dem Wunsch nach Änderung, nach Neuanfang.

Nichts, was sich jemals ereignet hat, ist für die Geschichte verloren zu geben. Für die Gegenwart auch nicht.

Walter Benjamin

Es gehört zu den Paradoxien der Gesellschaftskritik, daß sie in spürbarer Retromanie jener vorglobalisierten “BRD” hinterher trauert, die sich doch selbst mit derselben Betroffenheitsrhetorik soziale Kälte, Umweltverschmutzung und kapitalistischen Wildwuchs vorwarf. Wer Geschichte zum Zwecke politischer Bildung – und das bedeutet konkret: der Schärfung politischer Urteilskraft – betreiben will, muß sich klarmachen, daß konsequente Historisierung eine Vorbedingung dafür ist, die Verführungskraft von Ideologien richtig einzuschätzen. Die DDR war ein Land, das die BRD gespiegelt hat, als dieser Spiegel Risse bekam, bedeutet dies, daß die Bürger beider Länder ihre eigene Identität überprüfen mußten. Weigonis Absicht beim Schreiben ist es, die Literatur mit dem Leben in Verbindung zu bringen, andere Sprachen aus der Wissenschaft, dem Journalismus oder der Kunst mit einzubeziehen. Er hinterfragt die patriotischen Gründungsmythen einer Nation zu. Die atmosphärische Dichte dieses Romans verdankt sich genauen Recherchen und frappierenden historischen Details. In der nostalgischen Rückschau auf 1989 haben sich die Illusionen der postbourgeoisen Arrieregarde jener Jahre in ihre Köpfe einzementiert. Der Sozialismus, so geht die oft erzählte Legende, bestand hauptsächlich aus fröhlichem Jugendleben. Hässliche Hosen, aber gewagten Dissidentenpartys. Wenig Freiheit, aber viel Sex. Wo die Liebe in die Krise gerät, gerät die ganze Welt an den Rand des Abgrunds. Und umkehrt.

In meinen Augen ist historische Fiktion eine der zentralen Möglichkeiten im Repertoire realistischer Fiktion überhaupt.

Francis Spufford

In seinem ersten Roman stellt A. J. Weigoni die Welt auf die Vergänglichkeitsprobe. Zwischen November 1989 und März 1990 komprimiert sich deutsche Geschichte unter dem Druck der Ereignisse. Vergangenheit und Gegenwart treffen in einer schockartigen Konstellation aufeinander. Über historische Kausalitäten hinausgehend wird die Gegenwart dabei erst im Verhältnis zu einer bestimmten Vergangenheit verständlich. Vielmehr noch entsteht die Vergangenheit durch perspektivische Deutungen fortlaufend neu. Dieser Romancier verdichtet Realitätsfragmente zu Poesie. Er artikuliert ein nicht­propagandistisches Sprechen, eine Erinnerungs- und Beschreibungssprache, die sich abhebt von dem, was man über die sogenannte Wiedervereinigung lesen mußte. In Abgeschlossenes Sammelgebiet durchdringt er die Realität vom ersten bis zum letzten Kapitel, zeigt Widersprüche auf, und weist poetisch aus, wie sich Individuen im geschichtlichen Umbruch verhalten. Die Mauer erscheint als Metapher für den Kollektivwahn, der zum Ausbruch kommt. Dieser Roman Abgeschlossenes Sammelgebiet ist ein zeitloses Buch über ein paar Tage, die außerhalb der Zeit liegen.

 

 

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Abgeschlossenes Sammelgebiet, Roman von A. J. Weigoni, Edition Das Labor, Mülheim 2014 – Limitierte und handsignierte Ausgabe des Buches als Hardcover

Postwertzeichen erschienen zum 20. Jahrestag der DDR. Entwertet am 9. November 1989

Weiterführend → Zur historischen Abfolge, eine Einführung. Den Klappentext, den Phillip Boa für diesen Roman schrieb lesen Sie hier. Eine Rezension von Jo Weiß findet sich hier. Einen Essay von Regine Müller lesen Sie hier. Beim vordenker entdeckt Constanze Schmidt in diesem Roman einen Dreiklang. Auf der vom Netz gegangenen Fixpoetry arbeitet Margretha Schnarhelt einen Vergleich zwischen A.J. Weigoni und Haruki Murakami heraus. Eine weitere Parallele zu Jahrestage von Uwe Johnson wird hier gezogen. Die Dualität des Erscheinens mit Lutz Seilers “Kruso” wird hier thematisiert. In der Neuen Rheinischen Zeitung würdigt Karl Feldkamp wie A.J. Weigoni in seinem ersten Roman den Leser zu Hochgenuss verführt.