In eigener Sache

Der eine sucht dies, der andere das, jeder nach seinem Bedarf.

Michel de Montaigne

Erster Logo-Entwurf für die Edition Das Labor von Peter Meilchen.

Zeitläufte nehmen überraschende Wendungen, zu oft falsche Abbiegungen. Bisher wurde die Geschichte von den Siegern geschrieben. Nun ist unabhängiger Jornalismus und freie Kunst möglich um den Blick auf die Gegenorte zur Massenkultur zu schärfen. Das Online-Magazin Kulturnotizen (KUNO) vermittelt Zugang, als eine Art Arche Noah des Kunstdiskurses. Wir begreifen das Internet als einen Ort, an dem unsere Gesellschaft Perspektiven für die Zukunft entwickeln kann. Es ist die Arbeit am öffentlichen Bewußtsein, die wir als vordringlich begreifen. Dieses Online-Magazin versteht sich als Publikationsinstrument für die aktuell entstehende Kunst, gerade auch mit Blick über die Schulter zurück. Auf dieser Kooperationsplattformen finden ein Nachleben aus den gesicherten Beständen einer Erinnerungs- und Archivkultur, jedoch auch das Übersehene gilt es vor dem endgültigen Vergessen bewahren.

Kommunikation ist unwahrscheinlich. Sie ist unwahrscheinlich, obwohl wir sie jeden Tag erleben, praktizieren und ohne sie nicht leben würden.

Niklas Luhmann

Kunst spiegelt die Beunruhigung unserer Zeit. Zugleich ist Kunst ist vollkommen durchökonomisiert. Lesekompetenz und Belesenheit sind kulturelle Grundwerte und Bedingung von elementarer Orientierung in der globalisierten Welt. KUNO hat ein Faible für Randfiguren der Geschichte, die Redaktion ist deswegen daran interessiert, ein vernehmbares Gegengewicht zu entwickeln. Literatur sollte im Dienste der Gesellschaft, Narrative bieten, die uns unsere Wurzeln und unsere kollektive Identität präsentieren und gleichzeitig Gegenentwürfe zu herrschenden Erzählmustern bilden. Erzählen ist immer soziale Praxis und führt aber auch zu ästhetischen Experimente, formalem Eskapismus oder komplexen narrative Techniken. Die auf schnelle Effekte setzende Förderpolitik lassen ein Arbeiten, dass über die schnelle Hervorbringung eines Markenkerns hinausgehen will, kaum mehr zu. Der Mechanismus der Frischfleisch verzehrenden Kuratorenkunst droht zu überhitzen.

Kunst sollte dem Zeitgeist widersprechen.

Die Redaktion nimmt sich das Recht auf Meinungsfreiheit. KUNO will das erlahmte, subventionssatte, von der Welt abgeschirmte deutsche Literaturmilieu durchschütteln und von bildungsbürgerlichen Verkrustungen befreien. Sie finden hier eine ergiebige Mischung aus intellektuellem Scharfsinn, detailgenauen Beobachtungen, polemischen Zuspitzungen, Formulierungswitz und Mut zur Kontroverse. Die Freiheit von aller Zweckmäßigkeit begreifen wir als die größte Herausforderung für die Kunst. Und ihre vornehmste Provokation. Mit den Vertriebswegen von Literatur haben seit der Digitalisierung nur die Profiteure gewechselt. Die subversivste Frage ist immer noch die nach den Eigentumsverhältnissen.

Steht das Kürzel WWW nicht längst auch für World Wide War?

Wir sind eine Entdeckergemeinschaft. KUNO reflektiert die Frage nach den heutigen Möglichkeiten der Literatur. Wir schließen damit an an ein Projekt an, das 1989 begann. Die Edition Das Labor ist ein Projekt für interdisziplinären Austausch. Die Gründer interessieren sich für Kunst, die nicht illustriert, sondern anders politisch relevant ist, es sind Künstler, die sich für Lebensentwürfe und das Zu­sammen­leben interessieren und nicht für standardisierte Wege. Was diese Artisten zusammenhält, ist die Sprache; sie schafft einen gemeinsamen Denk- und Echoraum. Die Zeiten, in denen man im Rahmen einer Gruppe eine gemeinsame Ästhetik pflegte und gemeinsame Projekte verfolgte sind perdü. Die Artisten sind als Individuen unterwegs, und ihr Zugriff auf die Welt ist multiperspektivisch geworden.

Desintegriert euch! – Misstraut dem Zeitgeist!

Die Betreiber der Kulturnotizen wollen nicht Wächter des Wissens sein, sondern co-Autoren, sie laden Künstler ein und wollen zugleich von der jungen Generation wissen, was die digitale Ära mit der Kunst macht. Bei diesem Netzwerk sind grundlegende Werte die Selbst­hilfe, Selbstverantwortung, Demo­kratie, Gleichheit und Solidarität. So genau die Autoren diese Online-Magazins die Wirklichkeit beobachten, sie ringen um den richtigen Ausdruck und um die richtige Haltung – nicht im Sinne des gerade Angesagten, sondern des ethisch Unausweichlichen.

Echte Kunst ist absichtslos

Die beteiligten Artisten vertrauen auf die ethischen Werte Ehrlichkeit, Offenheit, Sozial­verantwort­lichkeit und Interesse an anderen Menschen. Die Themen findet die Redaktion jedoch auch in den verbliebenen Trümmern und Bruchstücken von Biografien. Wir beschäftigen sich die Veröffentlichungen mit Fragen der Taktilität von Medien und ihrer Bedeutung für die Konstitution von Wahrnehmungsformen. Das Programm von KUNO hat es kein Feindbild, es kennt keine Himmelsrichtung, ist nicht ideologisch durchleuchtet, sondern radikal subjektiv.

Der Lesern die Deutungshoheit übertragen.

Kritik bedeutet für KUNO, vom Gegenstand aus zu denken und sich ihm absichtslos zu nähern, denn erst dann erst fängt die Kunst, fängt die Literatur zu sprechen an. Der Sinn der Edition Das Labor liegt darin, dass sich Artisten und Künstlergruppen aus unterschiedlichen Regionen zusammen­schließen und dem herrschenden Kulturbetrieb etwas Eigenes ent­gegen­setzen. Diese Art zu arbeiten befreit die Gründer der Edition Das Labor von der Massenidentität, die in der globalisierten Gesellschaft entsteht.

Kalkulierte Provokation gegen die Intelligenzija

KUNO will den Online-Journalismus erneuern und dadurch den grossen Konzernen entreissen. Kritik (von griechisch kritein) heißt zunächst einmal „sondern, scheiden“, also differenzieren. Wer differenzieren will, muss über Kenntnisse verfügen. Kritik zu üben bedeutet für uns auch, über Bestehendes hinaus zu denken und Alternativen aufzuzeigen. Es muß wieder mehr versucht werden, die Zustände in einen größeren Zusammenhang zu stellen und sie nicht immer nur isoliert als „gute Story“ zu betrachten.

KUNO möchte Impulse jenseits der globalisierten Trivialität des Mainstreams vermitteln.

Die Redaktion ist offen in viele Richtungen: Die Grenzen zwischen High und Low, Pop- und Hochkultur, Akademischem und Trivialem sind keine, an denen sich per se Wertungen oder In- und Exklusionsmechanismen festmachen. Widersprüche und Asymmetrien werden auf vielseitige Weise untersucht werden, weder ausschliesslich über das künstlerische Material noch ausschliesslich über die Kontexte. Die Schreibweisen reichen von  bloggig und locker bis ziemlich akademisch und alles Mögliche liegt in schönen Mixturen dazwischen.

Das Internet ist wahrscheinlich ein kostbares Werkzeug, um unbewusste Verbindungen aufzudecken oder auch um Gespenster zum Leben zu erwecken. Doch oft ist das Internet ohne jeden Nutzen, denn so leicht lassen sich die Gespenster nicht aufstöbern.

Patrick Modiano

Dieses Online-Magazin will werbefrei bleiben, kostendeckend produzieren, nicht kommerziell erfolgreich sein; Arbeitsprozesse sollten basisdemokratisch organisiert sein; zwischen Lesern und Redakteuren sollte ein wechselseitiger Kommunikationsprozess zustande kommen; wir werden unterdrückte Nachrichten bringen. Wir wollen Themen aufgreifen, die in klassischen Online–Medien bisher keine Chance haben. Und das erzählen, was wichtig ist. Wenn etwas Wichtiges in den klassischen Medien nicht vorkommt, hat das für die Edition Das Labor keinen ideologischen Grund, es ist die Folge eines fehlenden Geschäftsmodells, das nicht als Problem des Kapitalismus verstanden wird, sondern mit Crowdfunding behoben werden kann.

Ist eine Welt denkbar, die den Neoliberalismus überwunden hat?

Mark Fisher

Es gibt keine Unabhängigkeit mehr, an allem hängt ein Preisschild. Während früher der vom Markt verpönte Künstler höher angesehen wurde und der markterfolgreiche Künstler etwas Dubioses verströmte, wird heute der Marktwert einer künstlerischen Arbeit zunehmend mit ihrer künstlerischen Bedeutung gleichgesetzt. Der Literaturbetrieb ist von der Vielfältigkeit der Gremien abhängig, die das Geld geben, Ihr Geschmack entscheidet darüber, welche Literatur gemacht werden und welche nicht. KUNO behauptet eine eigen­sinnige Ästhetik, früher nannte man es einfach Kunst.

Dem Weltenlauf künstlerisch widerstehen!

KUNO geht auf Distanz und bricht sowohl die Institution der Literatur als auch Literaturinstitutionen auf. Es geht nicht mehr darum, dass die eine Kulturform E wie ernsthaft ist und die andere U wie unterhaltend. Beides diskriminiert, denn natürlich macht E–Kultur auch Spass, genauso wie U–Kultur sehr ernsthaft sein kann. Man kann das eine gut oder den anderen schlecht finden, das hat aber nicht mehr mit Hoch– und Subkultur zu tun, mit Kulturgut oder Gebrauchskunst, sondern lediglich mit den individuellen Wahrnehmungsperspektiven der Zuschauer und Zuhörer. Wer Erfolg haben will in der Kunstwelt, muss sich als wiedererkennbares Image verkaufen. Man muß das aber nicht mitspielen.

Kunst braucht Kontemplation!

Logo by Stephan Flommersfeld

In diesem Versuchs-Labor entstehen Arbeiten, die keinem Kalkül und keiner Mode gehorchen, keiner Preißlogik folgen und auch nicht den Wünschen von Lektoren oder den Plänen von Kuratoren. Es ist mehr als eine Tendenz und eine virtuelle Entwicklungslinie, die sich in Musik, Film und Literatur verkörpert.

Wir müssen gute Bücher machen, schlechte gibt es genug!

Beharrlich glaubt KUNO an Vernunft und an die Idee moralischen Fortschritts. Die Redaktion benennt gesellschaftliche Mißstände, legt Selbsttäuschungen offen, entlarvt Verwerfliches und geht auf Konfrontationskurs. Politisches Kunst hat keine Wucht, wenn es alles mitbedenken will. Die Realität hat in der Kunst keine Bedeutung, wenn sie nicht inszeniert wird. Es enststehen Werke, die sich in unvorhersehbarer Weise bewegen, die Ableger zeugen, die sich verzweigen und an anderer Stelle wieder ansetzen.

Wird das Gedächtnis der Gesellschaft zu einem funktionellen Hohlraum?

Das Gedächtnis der Gesellschaft ist im medialen Wandel. Es geht KUNO um ein erneutens Hinsehen, ein Zurückschauen, Überprüfen und wieder Durchsehen. Blicken wir beispielsweise zurück in die Antike, so haben sich unterschiedliche Formen und Medien von Gedächtnis herausgebildet, welche den Anforderungen der jeweiligen Epoche in dem Punkt entsprachen, was erinnert und was vergessen werden sollte. Mit zunehmender Komplexität der Mediengesellschaft erweitert sich die Kapazität an kulturellen Inhalten und Kommunikationen jedoch so dramatisch, das neue Formen der Selektion gefunden werden müssen. Als Speicher ausrangiert, als Archiv überlastet, muss das Gedächtnis der Gesellschaft in der Lage sein, möglichst viel auszusortieren; die Massenmedien dienen als Werkzeuge dieser Vergessensleistung.

Das oberste Ziel: Dialog, Gleichberechtigung, Transparenz, Offenheit.

KUNO ist ein Speicher der Ideengeschichten. Archive beherbergen die intellektuellen Ressourcen und kulturellen Zeugnisse unserer Zivilisation. Die Redaktion versucht mit diesem Online-Archiv Entwicklungslinien und Querverbindugen per Hyperlink nachzuvollziehen.  Die Idee einer Open-Source-Kultur stand Modell sowohl für I-Tunes und Google als auch für die ganze rhizomatische Art des Geschichtenerzählens im Internet. Marshall McLuhan sprach bereits in den 1960-er Jahren von einer Kultur des geteilten Wissens, des ständigen Austauschens und Modifizierens. Die Kulturnotizen sind der Versuch die Wunderwerke der Informations– und Kommunikationstechnologie mit Formen gesellschaftlicher Solidarität zu kombinieren. Um ein Edition zu betreiben, braucht man Optimismus, eine Mission oder den Glauben an eine Marktlücke, einen Riecher für den Trend, eine gute Portion Verbohrtheit. Diese Artisten machen keine Kunst, um Antihelden einer Subkultur zu sein, sondern vor allem, um die Sinngebung durch Kunst zu retten, um als Individuen zu überleben.

 

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Weiterführend →

Erinnerung wird zunehmend auf neue Technologien ausgelagert. Das Grundproblem der Erinnerungskultur, der Zeugenschaft, der Autorschaft, ist die Frage: Wer erzählt, wer verarbeitet, wem eine Geschichte gehört? – „Kultur schafft und ist Kommunikation, Kultur lebt von der Kommunikation der Interessierten.“, schreibt Haimo Hieronymus in einem der Gründungstexte von KUNO. Die ausführliche Chronik des Projekts Das Labor lesen sie hier. Diese Ausgrabungsstätte für die Zukunft ist seit 2009 ein Label, die Edition Das Labor. Diese Edition arbeitet ohne Kapital, zuweilen mit Kapitälchen, meist mit einer großen künstlerischen Spekulationskraft. Eine Übersicht über die in diesem Labor seither realisierten Künstlerbücher, Bücher und Hörbücher finden Sie hier.

Zum Thema Künstlerbücher finden Sie hier einen Essay sowie einen Artikel von J.C. Albers. Vertiefend auch das Kollegengespräch mit Haimo Hieronymus über Material, Medium und Faszination des Werkstoffs Papier.

Die Künstlerbucher sind erhältlich über die Werkstattgalerie Der Bogen, Tel. 0173 7276421