NO!art

NO!art reflektiert den Mix aus Abschaum und Verbrechen, mit dem die Massenmedien die Gemüter unserer Zeit überfluten

Harold Rosenberg

Boris Lurie, Sam Goodman und Stanley Fisher organisierten anfangs Ausstellungen in der March Gallery, New York, aus denen dann die NO!art Movement entstand, benannt nach einer Show in der Galerie Gertrude Stein. Sie richteten sich dabei gegen die gegenwärtigen Trends wie Abstrakten Expressionismus und Pop Art in der Kunst und nutzten ihr Werk, um Faschismus, Rassismus und Imperialismus in der Politik zu attackieren.

Die NO!art-Ausstellungen trugen Titel wie Doom Show, Involvement Show, No Show und Vulgar Show und waren meist themenbezogen, die No Sculptures/Shit Show von 1964 enthielt dann auch Werke aus Exkrementen. Der Holocaust war ein wiederkehrendes Thema der Künstler, und sie benannten ihre Werke vielfach provokativ als „jüdische Kunst“.

Die Collage-Technik der NO!art-Bewegung ist als Grundlage für Das Haus von Anita. Der Roman von Boris Lurie verbindet die Gewalt der KZs mit der zerstörerischen Energie der Kulturindustrie. Radikal und provokant wie kein Autor zuvor. Bobby ist in New York regelmäßig zu Gast – oder sollte man besser sagen: gefangen? – im »Haus von Anita« und lässt sich dort zusammen mit drei weiteren Männern von den Gebieterinnen des Hauses zur sexuellen Befriedigung quälen und misshandeln. Was auf der Oberfläche wie ein pornographischer S/M-Roman wirkt, ist auf einer anderen Ebene die provokante Darstellung der Nazigräuel.

Ruth Klüger hat in der detailgenauen Darstellung der Lager die Gefahr einer »Pornographie des Todes« gesehen. Wie ein auf die Spitze getriebener Beweis ihrer provokanten These liest sich dieser Text, an dem Boris Lurie mehr als 40 Jahre arbeitete. Auch er war ein Überlebender der Shoah und er war Mitbegründer der NO!art-Bewegung, die sich vor allem gegen die Pop Art und eine selbstgefällige Konsumgesellschaft wendet.

Die industrielle Zerstörung der Körper in den Lagern wird hier bis zur Unerträglichkeit mit ihrer kulturindustriellen Vernutzung durch Konsum, Kommerz und Pornographie verschränkt. Lurie verarbeitet in diesem Buch nicht nur seine Erfahrung der KZs, sondern fragt auch mit schockierender Eindringlichkeit nach der Bedeutung der Kunst nach der Shoah.

Dieses Meisterwerk des Trash ist eine Lektüre, die erlitten und nicht genossen werden will.

 

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Haus von Anita, Roman von Boris Lurie. Wallstein 2022

Weiterführend  

KUNO hat ein Faible für Trash. Dem Begriff Trash haftet der Hauch der Verruchtheit und des Nonkonformismus an. In Musik, Kunst oder Film gilt Trash als Bewegung, die im Klandestinen stattfindet und an der nur ein exklusiver Kreis nonkonformistischer Aussenseiter partizipiert. Dieser angeschmutzte Realismus entzieht sich der Rezeption in einer öffentlichen Institution. 1989 erscheint Helge Schneiders allererste Schallplatte Seine größten Erfolge. Produziert von Helge Schneider und Tom Täger im Tonstudio/Ruhr. Mit den Novellen Cyberspasz, a real virtuality setzte A.J. Weigoni die im Band Zombies begonnenen Erforschungen der Trivialmythen fort. Ebenso eindrücklich empfohlen sei Heiner Links Vorwort zum Band Trash-Piloten. Constanze Schmidt beschreibt den Weg von Proust zu Pulp.

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