Jugendkulturwoche 1963

 

Dünn, zerbrechlich, zart; mit langsamen, eleganten Bewegungen, einem Lächeln im Gesicht, freundlich und höflich, kollegial. Dabei voller Wortwitz, Ironie, aber nie mit einem Sarkasmus, der verletzen hätte können. Alles so hinterfragen, skizzieren, sichtbar machen, darstellen. Gedichte wie aus hellgrauer, schwebender Seide, die innerlichen, die nach innen gewandt sind oder von dorther kommen. Ansonsten scharfer Intellekt, hellwacher Verstand, allem zugewandt, was betrachtenswert ist, was nur auf den ersten Blick so zu sein scheint, wie es erscheint, aber nicht so ist. Extravagant gekleidet. Eine „Erscheinung“. Eine Persönlichkeit. Emanzipiert, als Frau und als Mensch. Als jüdisches Kind hat sie, von HelferInnen und Rettern versteckt, in verschiedenen Unterkünften in Wien überlebt. Man denkt unwillkürlich an Anne Frank. Die Elfriede Gerstl hatte Glück; oder mehr und anderes: eben Retter, mutige, gewissenhafte Menschen. Prägung für ein ganzes Leben.

Wir sitzen im schummrigen Dunkel, das von kleinen Tischlämpchen und buntem Neonlicht spärlich erhellt wird, an einem kleinen Tisch an der Tanzfläche in der „Schindler-Bar“ in Innsbruck. Alles ist teuer, aber gut. Eine angenehme Atmosphäre. Dezente Musik einer Combo. Blues, Pat Boone-Songs; dann Boogie-Woogie, Charleston, Rumba, Cha-Cha-Cha und andere Rhythmen. Wir tanzen. Die Gerstl mit ihrem damaligen Mann Gerald Bisinger, dann ich mit der Gerstl. Wir waren jung, fröhlich, unbeschwert; für alles und für andere offen. Das war in Innsbruck, bei der Jugendkulturwoche 1963.

Später sind wir uns immer wieder da und dort begegnet. Stets hat sie freundlich gegrüßt, mir zugenickt oder sogar die Hand gereicht, die ich vorsichtig genommen habe, als sei sie aus dünnem Porzellan. „Wie geht es Dir? – hat sie manchmal gefragt; vor allem nachdem sie gehört hatte, daß es mir nicht so gut gegangen war.

In Rom habe ich erfahren, daß sie verstorben ist; für mich völlig überraschend. Ich war traurig. Habe ein Gedicht über sie zu ihrem Tod geschrieben. Habe an sie gedacht, als ich am Tiberufer spazierenging. Und die von mir geliebten Platanen ihre ersten grünen Blätter hatten.

 

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Schriftstellerbegegnungen 1960-2010 von Peter Paul Wiplinger, Kitab-Verlag, Klagenfurt, 2010

Wiplinger Peter Paul 2013, Photo: Margit Hahn

Weiterführend → KUNO schätzt dieses Geflecht aus Perspektiven und Eindrücken. Weitere Auskünfte gibt der Autor im Epilog zu den Schriftstellerbegegnungen.
Die Kulturnotizen (KUNO) setzen die Reihe Kollegengespräche in loser Folge ab 2011 fort. So z.B. mit dem vertiefenden Kollegengespräch von A.J. Weigoni mit Haimo Hieronymus über Material, Medium und Faszination des Werkstoffs Papier. Druck und Papier, manche Traditionen gehen eben nicht verloren.