Ein Jahrhundertmensch

Boris Pahor stellte wie Primo Levi oder Imre Kertész die Frage, ob das erlebte Grauen mit Worten nachvollziehbar gemacht werden kann.

Karl-Markus Gauß

 

Und wieder einmal ist ein „Jahrhundertmensch“ von uns gegangen: Mit 108 Jahren verstarb am 30. Mai in seiner Heimatstadt Triest/Trst der bedeutende slowenische Schriftsteller und Intellektuelle Boris Pahor. Er war Widerstandskämpfer, Antifaschist und Holocaust-Überlebender. Schon 1920 mußte er zusehen, wie italienische Faschisten den Kulturni Dom, das Kulturzentrum der slowenischen Bevölkerungsminderheit in Triest zerstörten und wie sich Haß und Unterdrückung auf alles Slowenische im faschistischen Italien ausbreiteten, sodaß sogar der öffentliche Gebrauch der slowenischen Sprache verboten war. Vorgestern also ist Boris Pahor von uns gegangen. Er war nicht nur einer der bedeutendsten, angesehensten und bekanntesten slowenischen Schriftsteller und politisch engagierten Menschen, sondern auch ein Kollege, dem ich bei den alljährlich in Bled/Slowenien stattfindenden internationalen PEN-Tagungen begegnet bin und der mich sehr beeindruckt hat.

Ich erinnere mich: Er stand nach Abschluß der Konferenz beim Picknick am steil abfallenden Ufer eines Flusses. Eine kleine, etwas schmächtige, stets sorgfältig gekleidete Gestalt, in seinem grauen Lodenmantel und mit Hut auf dem Kopf. Dieses sein Abseitsstehen machte mich aufmerksam auf ihn. Und so ging ich nach einer Weile zu ihm hin und sprach ihn an. Es stünde mir zwar als wesentlich jüngeren nicht zu, ihn auf die Gefährlichkeit seines exponierten Standortes aufmerksam zu machen, aber ich würde das, so wie ich bin, eben trotzdem tun. Er lächelte mich milde an. Und antwortete in einem Gemisch aus gebrochenem Deutsch, Slowenisch und Italienisch, daß er schon aufpassen würde. Und fügte, wenn ich mich recht erinnere, so etwas hinzu wie: Er habe schon gefährlichere Situationen in seinem Leben überstanden. Ich nickte diese Antwort nur ab. Später erfuhr ich Genaueres, was er damit gemeint haben könnte. Er hatte vier nationalsozialistische KZ überlebt, also den Holocaust überstanden. Ich kaufte mir sein Buch „Nekropolis“, in dem er die Schrecken seiner KZ-Aufenthalte festhielt. Bei seiner Lesung in der Alten Schmiede in Wien vor nun auch schon wieder langer Zeit ließ ich mir das Buch von ihm signieren. Und er begrüßte mich dabei wie einen alten Freund. Ich war ihm also im Gedächtnis geblieben. Denn trotz aller Sprachbarrieren standen wir einander nahe. Ich hatte ihm ja meinen Fotogedichtband „Farbenlehre“ geschenkt, in dem der Hauptteil vom ehemaligen KZ-Mauthausen handelt. Und die Intentionen solcher Fotogedichtbände sind auch bei eingeschränkter Kommunikationsfähigkeit verständlich, weil man weil dann erfährt, auf welcher Seite der Autor eines solchen Buches steht und ob er in solchen „Dingen“ engagiert ist oder nicht. Und das begründet dann ein Naheverhältnis zwischen zwei Menschen oder eben auch nicht. Ich jedenfalls darf mich an Boris Pahor als an einen engagierten Intellektuellen und bescheidenen Menschen erinnern, der mir ein Vorbild war in seinem Kampf um die Rechte der slowenischen Minderheit im Triestiner Raum und in der Diaspora, eben für die Einhaltung der Menschenrechte überhaupt. Mit ihm und meinem anderen slowenischen Freund Branko Hofmann, der als Häftling die grauenhafte Schreckenszeit auf der jugoslawischen KZ-Insel Goli Otok überlebt hatte, aber davon gezeichnet war und sie in seinem Roman „Die Nacht vor dem Morgen“ aufgearbeitet hatte, war ich immer wieder zusammen. Sie haben mich niemals ausgeschlossen, sondern stets in liebenswürdiger Weise in ihre Gemeinschaft integriert. So saßen wir auch zusammen im schwankenden Boot, das uns hinüberbrachte zur Insel mitten im Bleder See, mit der Kirche darauf, wo wir Schriftsteller aus aller Herren Länder stets den Beginn der Konferenz am Vorabend feierten; bei Wein und Gespräch. Und beim Wiedersehen miteinander. Und dafür bin ich heute noch dankbar, daß ich so oft daran teilnehmen durfte, daß solche Begegnungen und Freundschaften im Lauf der Zeit zum Bestandteil meines Lebens geworden sind.

 

 

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Schriftstellerbegegnungen 1960-2010 von Peter Paul Wiplinger, Kitab-Verlag, Klagenfurt, 2010

Wiplinger Peter Paul 2013, Photo: Margit Hahn

Weiterführend → KUNO schätzt dieses Geflecht aus Perspektiven und Eindrücken. Weitere Auskünfte gibt der Autor im Epilog zu den Schriftstellerbegegnungen.

Die Kulturnotizen (KUNO) setzen die Reihe Kollegengespräche in loser Folge ab 2011 fort. So z.B. mit dem vertiefenden Kollegengespräch von A.J. Weigoni mit Haimo Hieronymus über Material, Medium und Faszination des Werkstoffs Papier. Druck und Papier, manche Traditionen gehen eben nicht verloren.