uräus-Handpresse ∙ Revisited

Mit dem Namen uräus-Handpresse verbinde ich in erster Linie die Künstlerbuch-Almanache, die Verleger und Drucker Hans-Ulrich Prautzsch in den 1990er Jahren herausgegeben hat. Der bislang letzte Band der Reihe, Brecht gewidmet, wird an anderer Stelle in diesem Buch kurz vorgestellt. Das Gedichtbeispiel, das ich aus dem Brecht-Almanach ausgewählt habe, stammt von A. J. Weigoni, dessen poetisches Künstlerbuch Unbehaust (inkl. CD) 2003 in der uräus-Handpresse Halle/Saale erschien. Vorzüglich bereits das Vorwort von Holger Benkel, das einen guten Eindruck dessen vermittelt, was Sie in Unbehaust erwartet:

Praktisch alle literarischen Techniken dieses Buches, die aphoristische Struktur, der gestische Duktus, die ironischen Untertöne, die Unterwanderung vorgeprägter Sprache, die umgedeuteten Sprichwörter, die filmischen Momentaufnahmen dienen auch einem intellektuellen und dabei häufig parodistischen Spiel. Indem Weigoni Postulaten, die ihm abstrakt erscheinen, Mythen, Moralvorgaben, Utopien, mißtraut, zugleich aber den Mangel an ideell Gelebtem in vorgefundener Wirklichkeit konstatiert, verweist er auf ein Grundproblem postmoderner Intellektualität. Sarkasmus und Ironie sind so auch ein Refugium gegen totale Ernüchterung, obwohl oder weil manche Stellen dem kaltgenauen Blick eines Heiner Müller oder Ernst Jünger nahekommen.

Einschließlich der schwarzrotweißen Holzschnitte von Haimo Hieronymus, die intensiv ins Auge drängen, ist Unbehaust ein geglücktes Buch, das ich mit hochgezogenen Augenbrauen lese. So schreibt kein anderer im deutschen Sprachraum. Darüber hinaus: Ein bleigesetztes und handgedrucktes Künstlerbuch zu lesen ist ein Anachronismus, für den ich dankbar bin. Weigonis Gedichte erhalten ihre Spannkraft bis zum Ende. Löst Weigoni mit diesem Buch ein, was er in seinem Essay Verweisungszeichen zur Poesie fordert? Dort heißt es:

Ein zeitgemäßer Poet muß sich vom hohen Ross der künstlerischen Freiheit an das Krankenbett der Wirklichkeit begeben. Er sollte in empfindlichsten Bereichen der Sinneseindrücke mikrotonale Strukturen ebenso ergründen wie feinste Übergänge oder neue Ordnungen von bekanntem Material, welche überraschende Verschiebungen in der Wahrnehmung bewirken.

Die Frage muß in jedem Falle der einzelne Leser für sich beantworten.

 

 

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Parlandos, Langgedichte und Zyklen von A. J. Weigoni, Edition Das Labor, Bad Mülheim 2013.

Holzschnitt von Haimo Hieronymus

Weiterführend →

Ein Interview von Jens Pacholsky mit A.J. Weigoni übernimmt KUNO aus dem Berliner Goon-Magazin. Das poetische Polymorphem macht KUNO in der Theaterfassung zugänglich. Dieses Monodram ist als Künstlerbuch ist nur noch antiquarisch erhältlich, daher ist es in Weigonis Band Parlandos wiederveröffentlicht worden. Die Hörspielfassung von Unbehaust ist in der Reihe MetaPhon auf vordenker.de zu hören. Unbehaust ist auf dem Hörbuch Gedichte erhältlich über: info@tonstudio-an-der-ruhr.de

Der Essay VerDichtung – Über das Verfertigen von Poesie von A.J. Weigoni hier zu lesen. Zuletzt bei KUNO, eine Polemik von A.J. Weigoni über den Sinn einer Lesung.