Ein Stück regionaler Geschichtsschreibung

Als ein Stück regionaler Geschichtsschreibung.

bezeichnete der ehemalige Vorsitzende des Kunstvereins Linz, Lars-Ulrich Schnackenberg, die Zusammenarbeit der Linzer Künstler Peter Meilchen und Klaus Krumscheid

Bereits zu Anfang der 1970er Jahre des 20. Jahrhunderts – also noch in der Steinzeit der sogenannten Neuen Medien – veranstalteten Krumscheid / Meilchen in der Linzer Stadthalle das Projekt Bild, Ton, Schrift, um dabei verschiedene Kunstformen (Bildende Kunst, Musik, Literatur) vorzustellen. Die beiden Künstler haben sich das Spielen, die Reflexion über das Spielen zur Grundlage ihrer Kunst gemacht. Kunst als letztmögliche Form des Spiels. Sie verbinden, vergleichen, stellen infrage und finden letztlich für jedes Bild eine eigene Spielregel. Seit dieser Zeit ging es ihnen um die Intensität der Wahrnehmung. Meilchens Kunst war seit jeher die literarische Negativ- und Doppelbelichtung. Gestochen scharf wirken seine imaginären Erinnerungsbilder aus Linz am Rhein, doch pulst in ihnen auch der Schrecken. Seine skeptisch-ironische Weltsicht einerseits, sein poetisches Engagement anderseits bringen viele Werke hervor, die verschiedene Positionen beziehen.

 

1974 begannen Meilchen und Krumscheid gemeinsam die Ausbildung an der Kunsthochschule in Köln. Eine treffliche Passage dazu findet sich in Meilchens nachgelassenem Roman Schimpfen:

Ich muss einfügen, dass jeder diese Prüfung bestand, hatte er seine Anwesenheitspflicht, die freiwillig war, mit dies bestätigenden Testaten erfüllt. Kunsthochschulen müssen kein Sieb für den Markt sein – der sortiert sich ganz von allein. Und mancher ‘bestandene’ Künstler erlebt so manche Überraschung, will er auf dem Markt ein ‘gestandener’ Künstler werden. So fallen viele aus dem Wolkennest der Schule auf den harten Boden der Kunstvermarktung.

Der Rheinländer Peter Meilchen wanderte aus, nach Westfalen und das liegt, laut Konrad Adenauer: „Op da schäl sick beginnt Sibirien!“ Der Kontakt von Meilchen ins Rheinland riss nicht ab. Entweder zum Winzerfest oder mindestens an Karneval kam Meilchen zurück nach Linz. 1984 feierten Krumscheid / Meilchen ihre zwanzigjährige Künstler-Freundschaft mit einer gemeinsamen Ausstellung mit einer Wohn-Zimmer-Ausstellung in Leubsdorf. An dieser Ausstellung beteiligt waren auch Künstler aus der Werkstattgalerie Der Bogen: Karl-Heinz Hosse, Martini und Jürgen Diehl.

Der Bogen ist eine in Arnsberg ansässige Künstlergruppe, welche die Zusammenarbeit von Künstlern und Laien fördert. Neben dem Kunstsommer Arnsberg und der Literarischen Gesellschaft Arnsberg handelt es sich um eine Institution für Kultur im nördlichen Sauerland. Die Gruppe besteht seit der Gründung 1980 in wechselnder Besetzung. Ziel war es, Künstlern Arbeitsräume und eine gemeinsame Basis zu geben. Im alten Fabrikgebäude von Kaiser-Leuchten haben sieben Künstler ihre Ateliers, Karl-Heinz Hosse, Haimo Hieronymus, Kirsten Minkel, Stephanie Neuhaus, Manuel Quero, Pit Schrage und Axel Schubert. Bis zu seinem Tod 2008 war auch Peter Meilchen Mitglied.

Zwischendrin gab es in den 80er Jahren zwei Veranstaltungen im Linzer Café Pepper in den unter dem Titel Linz und Kunz: Ausstellungen, Aktionen, Videos. Eine Eigenschaft ihrer Arbeit besteht darin, dass man sich über das, was im Zentrum steht, nie sicher sein kann. Die Künstler hinterfragten das Klischee, Photographie sei eine objektive Darstellung, gleichsam ein Ersatz für die Realität. Im 19. und auch noch in weiten Teilen des 20. Jahrhunderts haben die Mehrzahl der Menschen, das, was auf Photographien abgebildet war, tatsächlich geglaubt. Bloß spielt das längst keine Rolle mehr. Kein Mensch denkt doch heutzutage noch, dass es sich bei Photographie um ein objektives Medium handelt. Weil die Grenzen der Sprache zugleich die Grenzen der Welt sind, betrifft die meisten Menschen nur die Welt der Mitteilbarkeit und ihr gemeinsames Symbolsystem, Peter Meilchens Welt hat andere Grenzen, in ihr können Bilder vorkommen, die sich selbst bedeuten. Begreifen ist für diese Bilder das falsche Wort. Wir werden ergriffen. Vor dem Zugriff dieser Bilder flüchten wir. Wir stellen uns dumm, also empfindungslos. Wir tun so, als wären wir nicht radikal verunsichert und fragen nach der Bedeutung. Wir tun so, als wüssten wir nicht, dass diese Bilder nichts bedeuten. Keineswegs ist die Welt also nur alles, was der Fall ist, der Künstler kann es so zeigen, dass sie uns auf fremde Weise vertraut vorkommt.

1989, zum Fünfundzwanzigjährigen, trafen sich in Linz Peter Meilchen, Jürgen Diehl und Martini mehrere Tage zum Projekt Drei über Wasser. Die Künstler kehren zum Ideal der Einfachheit zurück, ließen sich durch Fundstücke, die der Rhein herangespült hat inspirieren. Die dabei entstandenen Arbeiten zeigten die drei Künstler in Krumscheids Atelier im Rheintor. Hierher sollte es mit der Ausstellung UnderCover und dem Projekt Rheintor Linz – Anno Domini 2011 einer Rückkehr geben; thematisch durchaus in der Tradition: Die ganze Reihe im Rheintor lugt über Grenzen als Multiple hinaus, wenn man Sprach- und Ordnungsmotive durch die Gattungen dekliniert: Rauminstallationen entstehen mit und/oder den Objektbüchern, die einen neuerlichen Zugriff auf das Medium Sprache ermöglichen. Desillusionierung führt aber nicht zwangsläufig zu einer Entzauberung der Welt.

In der Nähe von Kunstmuseen wächst der Glaube von Qualität offenbar selbstverständlicher als am Rande eines Heimatmuseums.

(aus Schimpfen)

1994 zu 30 Jahre Krumscheid / Meilchen, wurde dann im von beiden sehr geschätzten Treffpunkt Martins-Stuben gefeiert. Gezeigt wurde dabei ein kurz zuvor entstandenes Video Die Macht am Rhein, der Versuch einer Flußüberquerung. Von Peter Meilchen gab es dazu noch unter demselben Titel eine Mappe mit 12 Stadtansichten. In den, in diesem Katalog präsentierten Arbeiten, untersuchte Peter Meilchen künstlerisch, welchen Einfluss die architektonische oder geographische Umgebung auf die Wahrnehmung, das psychische Erleben und das Verhalten hat. Seine psychogeographische Forschung findet dabei an der Schnittstelle der Fachgebiete Kunst, Architektur, Geographie und Psychologie statt. Bewegte Bilder treffen im Werk von Meilchen auf gebannte Augenblicke. Es sind Bilder, die zeigen, wie Räume und Landschaften auf die Menschen abstrahlen, sie säumen und prägen. Bilder, so schön, dass man manche zu Stillleben gefrieren lassen möchte. Was seine vielfältige Arbeit ausmacht, ist die Kunst der Selbstüberrumpelung, das Vermögen, sich stets neu zu erfinden. Zusammengeballt werden Zeit und Licht durch seine bearbeitete Photographie, er reduziert die Wirklichkeit auf Licht und schrumpft die Zeit auf einen Augenblick, den ausdehnungslosen Moment. Auf dem Weg über unsere Netzhaut verändert sich ein Bild, und was es in uns auslöst, wenn es auf unser inneres Auge trifft, kann weit davon entfernt sein, was es in Wirklichkeit zur Anschauung bringt. Denn ähnlich wie Proust mit Büchern ergeht es uns mit Bildern. Sie rühren uns an, weil wir uns in ihnen wieder erkennen. Was wir dann sehen, ist eine Fortsetzung des Bildes mit narrativen Mitteln.

Am Ende. Es gibt kein Resümee. Nur der Beginn einer Einsicht, die erhellend über eine Summe von Erfahrungen strahlt.

(aus Schimpfen)

50 Jahre Krumscheid / Meilchen & Der Bogen läutete augenzwinkernd die Kanonisierung ein;-) Krumscheids Patchwork zeigt bei der Zusammenstellung der künstlerischen Arbeiten und der eingeladenen Personen keinen Analytiker, sondern einen Menschenerklärer, einen Lebensvertrauten. Die Ausstellung im Kunstverein Linz stellt die Frage, was Kunst eigentlich ist, mit einem Eigensinn und einer Intensität, die in Zeiten, in denen die kalkulierte Marktkonformität den Betrieb dominiert, die Schönheit des unorthodoxen Denkens selbst illustriert. Erstmalig ausgestellt wurde anlässlich dieser Ausstellung die Reihe Frühlingel von Peter Meilchen, dokumentiert im Katalog Wortspielhalle.

Anlässlich des 10. Todestages von Peter Meilchen wurde der Katalog 630 im Kunstverein Linz präsentiert, das an das Projekt Bild, Ton, Schrift erinnerte. Das multimediale Projekt 630 ist ein zeitgemäßes Gesamtkunstwerk. In diesem gattungsübergreifenden Buch / Katalog-Projekt wirken die bildende Kunst, eine Klangkomposition und die Literatur sinnfällig zusammen. Bei dieser Mixed-Media manifestiert sich eine Art der Grenzüberschreitung im Spiel mit den Gattungen: Auflösen, andersdenken, zersplittern und neu zusammensetzen. Es zeigt sich, dass Kunst nicht ausschließlich die Sache eines Einzelnen ist, sondern in einer Interaktion mit dem bildenden Künstler Peter Meilchen, dem Komponisten Tom Täger und dem Sprechsteller A.J. Weigoni geschieht. Sehen, Lesen und Hören öffnen sich in alle Richtungen. Töne, Wörter und Bilder hatten einander etwas zu sagen, sind sich auf kreative Weise zugetan.

 

***

Es waren Künstler*Innen in der Stadt, der Kunstverein Linz wird zehn Jahre alt, Katalog 2020.

Linz und Kunst, ein Meilchen im Großformat

In 2020 konnte der Kunstverein Linz sein zehnjähriges Jubiläum feiern. Aber auch bereits viele Jahre und Jahrzehnte davor haben in Linz Künstlerinnen und Künstler gelebt und gearbeitet. Maler, Bildhauer und Grafiker haben Kunstwerke geschaffen, die bis heute in öffentlichen und privaten Sammlungen in Linz, aber auch weit darüber hinaus, Zeugnis für die Kreativität dieser Stadt und des Rheinlandes abgeben. Die Ausstellung wurde verschoben, die Arbeiter der Künstler können in einem feinen Katalog besichtigt werden. Lesenswert sind vor allem die Exkursionen von Andrea Rönz, die diesem Katalog eine historische Weite geben, die man sonst in solchen Dokumentation selten findet.

Weiterführend →

Ein Essay zur Ausstellung 50 Jahre Krumscheid / Meilchen. Eine Würdigung des künstlerischen Lebenswerks von Peter Meilchen lesen Sie hier. Die romantische Idee des Gesamtkunstwerks überführt Enrik Lauer ins 21. Jahrhundert. Mit den Vignetten definierte A.J. Weigoni eine Literaturgattung neu. Die Novelle erscheint in der Umsetzung als Hörbuch und das Buch/Katalog-Projekt 630 zur Ausstellung von Peter Meilchen. Eine Hörprobe findet sich hier.

Weiterhin erhältlich:

Schimpfen, Roman von Peter Meilchen, Edition Das Labor, Mülheim 2013

Wortspielhalle, eine Sprechpartitur von Sophie Reyer & A.J. Weigoni, mit Inventionen von Peter Meilchen, Edition Das Labor, Mülheim 2014

630, Buch / Katalog-Projekt von Peter Meilchen, Tom Täger und A.J. Weigoni. Edition Das Labor, Bad Mülheim 2018.