Peter Paul Wiplingers opus magnum

 

15 Jahre lang schrieb Peter Paul Wiplinger auf den Karton zerlegter Schachteln Einfälle aller Art und jeglichen Inhalts: Notizen, Gedichte, Prosatexte, Stimmungen, Empörungen und Kommentare. Wiplinger ist kein geduldiger Mensch, und auch seine Einfälle sind es nicht. Sie drängen in die Sprache, sie wollen in der Schrift sichtbar werden. Im Vorwort zum 3. Band erklärt er, wie es zu der Idee mit den Schachteln kam. Eine Erinnerung an die Kindheit im Mühlviertel der Nachkriegszeit wurde Jahrzehnte später durch einen Zufall in Rom geweckt. Die Verpackung eines Panetone, von ihm zerlegt wie er es einst in der Kindheit gemacht hatte, führte augenblicklich zu dem Wunsch den Karton zu beschreiben. Die Schachteltexte begannen mit römischen Notizen. Und sie setzten sich 15 Jahre lang fort, unmittelbar vom Leben diktiert und keiner formalen Zensur unterworfen. In der Spontaneität ihres Entstehens mussten sie ihre Tauglichkeit erweisen als Tropfen der Essenz des augenblicklichen Lebens, Fühlens und Befindens. Sie sind Bekenntnisse eines leidenschaftlichen Charakters, Gedanken im Urzustand, sozusagen bei ihrer Geburt im Zusammenwirken von Physisch, Psychisch, Intellektuell und manchmal auch Spirituell in Sprache gefasst. Die Schreibfläche der Schachteln gaben das Ausmaß der Texte vor und beeinflussten oft auch ihr Thema. So entstand abgesehen vom Inhalt ein bibliophiles Kunstwerk von hoher Ästhetik verbunden mit Wiplingers zügig fließender Handschrift.

In 15 Jahren verändert sich vielen und vieles geschieht. Doch der zeitliche Bereich der Texte geht weit über diesen Zeitraum hinaus. Die Erinnerung hält die Vergangenheit fest, nicht nur in ihrem Geschehen, auch in ihrer Lebensintensität. Denn „das Vergangene ist nicht tot, es ist nicht einmal  vergangen“ (W.Faulkner). Und die Zukunft vergegenwärtigt sich in bösen Erfahrungen, Befürchtungen und Bedrohungen. Die Träume der Nacht, die Ereignisse des Tages, das Eigene und das Fremde, das Berührt- und Ergriffensein von allem – „muß einer denken? Wird er nicht vermißt?“ (I.Bachmann). Ja, das Denken lässt sich nicht abstellen und es will aus dem Kopf, es will Worte haben, mit Tinte aufgeschrieben. Sie sind Papierschiffchen auf dem Fluss der Zeit, diese Worte. Sie halten die Strömung nicht auf, sie leiten den Fluss nicht um, aber sie dokumentieren seinen Verlauf.

Die Sprache der Texte reimt manchmal, was sich in der Realität nicht reimt. Der Reim, wie achtlos und zufällig mitten in die Zeilen geworfen, aus der Sprache selbst, der eigenmächtigen Sprache entstanden, ist Ironie, Bitterkeit, Verstärkung und Komik wie scharfes Gewürz. Die Sinnlichkeit des Augenmenschen, des Fotografen Wiplinger, spielt eine große Rolle. Landschaft, vor allem die des heimatlichen Mühlviertels, wird mit poetisch intensiven Farben gemalt, in denen sich Wehmut und Abschiedsschmerz verbergen. Erinnerungen haben starke Farben. Der scharfe kritische Blick, der in Wiplingers Büchern immer eine Hauptrolle spielte, wird nun zum scharfen Blick in die eigene Tiefe der Existenz. In den 3 großen Bänden aus festgehaltenen Augenblicken wölbt sich in unmittelbarer Aufrichtigkeit ein Lebensbogen.

 

 

***

Schachteltexte I+II+III“ von Peter Paul Wiplinger, Löcker Verlag

Weiterführend → Poesie zählt für KUNO weiterhin zu den identitäts- und identifikationstiftenden Elementen einer Kultur, dies bezeugte auch der Versuch einer poetologischen Positionsbestimmung.