DER SCHAMOTT DES SCHATTENJAHRZEHNTS

den reisenden in Brinkmanns unterwäsche

 

Das zentrum stirbt! den achtensechzjer schieber

hat lang die börsenstraße abgelinkt

Intimexil   je elend desto lieber

Casino gauche: die mädchen abgeblinkt

Man schluckt die kompositpastille (CIBA)

zum candle dinner unterm mond der hinkt

Die tintendrüse kleckst nach alter art

wo blumenkinderstirnen aufgeklart

In die krawallje schwirrt die free jazz zwille

hoch ehrverlust! gewinsel dernier cri

Streetfighting man! Marie vergißt die pille

zum puff nach Off St. Pauli: wallaby

Es blickt das kleinzeug durch die peeperbrille

ins süße leben am Boulevard Clichy

Die klütten über! nabel aufgeflaggt

mit stumpfem beil ins morsche katt gehackt

Freirhythmikfilm aus TEE abteilen

migränestürme   ytong   flappenteer

Transsib durch ganglientaiga   wölfe keilen

tendenzwend Ich mit koterbrechen her!

ins nest aus glas und draußen jungschneemeilen

Lenz steht und friert   ein bild wie von Vermeer

Bruch? doofe bande! hausfrau … glück … gib tschick

mit Handkekleister maroquin den gig

Einst brinkmannesk durch Ehrenfeld gesoffen

ne Laica her   der vers aus nilpferdfott

und hehler Charlie übern teich getroffen

Las Vegas! die tantiemen in den slot

In slums geschmockt die schlabberstrophenmoffen

die szene mault? pfui Spiegel! Piwitt hott!

Zum Seine ekel das hier aprèslude

und Alabama chicken fürs gemüt

Im Bogartmantel mag der klau verjähren

Performances sich heiß ins maul gepumpt

Die großhirnkippe fault im   ungefähren

Der Hudson spiegelt Liberty zerlumpt

Und wenn die junkbonds aufgeflogen wären?

ab in die stadtkloake gut vermummt

inkognito zurück   punk mitgemacht

Werft vom geländer krallen in die schlacht

O dichter der sedierten! sozenkrippen

spring rückwärts ran an die Lubjiankawand

verrat den stenz* mit aufgeplatzten lippen

den bourgeois in boudoirs verbannt

und wollet all euch in das giftmeer stippen

verpackt in Christo! reicht die milzbrandhand!

durch datschenwüsten ost   und dann Berlin

und von besetzern auf den müll gespien

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Rohlieder I – X von HEL, KUNO 2019

HEL ist bekannt als Herausgeber neuer Talente im „literarischen Underground“ und Publizist gesellschaftskritischer Lyrik sowie Essays. Nach dem Zyklus Zeitgefährten, die zwischen 1977 – 2008 entstanden sind, veröffentlicht KUNO die Reihe Rohlieder I – X, die dank Caroline Hartge neu ediert worden sind. In diesen Gedichten spürt HEL das Existenzielle im vermeintlich Banalen auf. Er hat es hat es nicht nötig, Fiktion zu erfinden … die Fiktion existiert bereits.

Weiterführend →

Eine Würdigung von HEL findet sich hier. Eine faszinierend langer Briefwechsel zwischen Ulrich Bergmann und HEL findet sich hier. Eine Hörprobe des Autors findet sich auf MetaPhon.

Anmerkung:

stenz = „Stutzer bis Zuhälter“