Sauna

Herr Nipp hatte sich den Hals verdreht, vielleicht im falschen Bett geschlafen, vielleicht war seine Matratze auch einfach nicht gut genug. Den ganzen Tag über mit Schonhaltung Haltung bewahrt, trotz der Schmerzen, nein, das war sicherlich nicht sein Tag gewesen. Er hatte schließlich Schmerztabletten geschluckt, doch auch die wollten nicht ihre Wirkung entfalten. Vielleicht ist es einfach nicht ganz so günstig, wenn man Tabletten mit einem Milchmischgetränk herunter spült. Schließlich sollte doch jeder wissen, dass Milch getrunken wird, um die Wirkung von Giften abzumildern. Dabei konnte er sich dies eigentlich nur als Ammenmärchen erklären, ungefähr wie die Warnung, dass heruntergeschluckte Kaugummis den Magen verkleben. Völliger Blödsinn. Auch die täglichen Äpfel, die er aß, hielten keinen Doktor fern. Hieß es nicht so ähnlich bei den Engländern? Er hatte also beschlossen die Kur mit Wärme fortzusetzen und legte sich behaglich in die Sauna. Die allerdings war effektiv nicht heiß genug, gerade mal 78 Grad. So etwas grenzt schon fast an Körperverletzung, man schwitzt nicht richtig, es ist gerade einmal stickig warm. Immerhin schwieg der Mitinsasse und was gibt es Besseres, als in absoluter Ruhe zu liegen? Keine Störungen lassen die Gedanken schweifen und man kann die letzten Tage wahrlich vortrefflich Revue passieren lassen. Der Mitlieger stand irgendwann auf, hatte seine viertel Stunde hinter sich gebracht, „Bis später.“ Kein weiteres Wort war gefallen. Schweigen ist oberste Pflicht. Mit seinem Austreten aus der Kabine kamen drei andere Herren herein, schoben ihre wirklich fürchterlich männlichen Bäuche durch den Türrahmen. Beim Anblick ihrer breiten Brüste fiel ihm die Frage seines kleinen Bruders vor Äonen von Jahren ein, der den Onkel im Sommerurlaub in Obermayerberg gefragt hatte: „Warum hast du eigentlich keinen Busenhalter?“ Der eine Mann hatte ein blaues Spielzeugkännchen in der rechten Hand, denn der sonst übliche Holzeimer mit Schöpfkelle war entfernt worden. Die Besucher dürfen offiziell keine Aufgüsse mehr machen, Versicherungen mögen das nicht. Ein vorhandener Eimer wirke da ja wie eine Einladung. Herr Nipp harrte also der Dinge. Geschwätzig wie Amseln im Frühlingsmorgen traten die drei also heran. Ordneten die Tücher auf den Bänken rund um ihn herum. Der Eine goss genüsslich seinen Sud aus Wasser und irgendwelchen scharf riechenden ätherischen Ölen auf die heißen Steine. Vom Geruch her hätte man an den Namen „Holzfällerbräu“ denken können, zum Schütteln. „Jetzt mach ich ma den Handtuchschwenker.“ Er hob sein Handtuch, das Herr Nipp schon zuvor als Schweißtuch auf dem Laufband erblickt hatte. Schwenkend. Die lauheiße wasserdampfige Luft kam heran. Lieber nicht an den Sportschweiß denken. „Boah, das machse aba gut.“ „Jau, hab das auschon oft gesehen, geja auch in mea Saunas.“ „Ja, kannse noch ma hierhin?“ Das Gespräch wollte einfach nicht abklingen, erging sich schnell in Plattheiten um die letzten Fußballspiele und natürlich die Tabelle. Die Lieblingsmannschaft hatte endlich wieder die Spitze erobert und das in einem Spiel gegen die Erzrivalen. Revierderby. Da konnten erwachsene Männer mit ernsthaftem Ton in der Stimme wirklich über einen völlig belanglosen Ballsport fachsimpeln, als hinge die Welt davon ab. Und das, während gerade die eigene Währung zu Boden geht. Von Ruhe keine Spur mehr. Herr Nipp wartete noch, bis die Sanduhr abgelaufen war und verabschiedete sich dann.

Unter der Dusche traf er auf den schon Gegangenen, den Mitschweiger. „Geht gar nicht.“ „Ich hatte die schon gehört, war froh, dass ich abhauen konnte. Waschweiber.“

   

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Das Mittelmaß der Welt, unerhörte Geschichten von Herrn Nipp, dokumentiert auf KUNO 1994 – 2019

Weiterführend → Zu einem begehrten Sammlerstück hat sich die Totholzausgabe von Herrn Nipps Die Angst perfekter Schwiegersöhne entwickelt. Außerdem belegt sein Taschenbuch Unerhörte Möglichkeiten, daß man keinen Falken mehr verzehren muss, um novellistisch tätig zu sein. Herr Nipp dampft die Gattung der Novelle konsequent zu Twitteratur ein. Und außerdem präsentiert Haimo Hieronymus die bibliophile Kostbarkeit Über Heblichkeiten, Floskeln und andere Ausrutscher aus den Notizbüchern des Herrn Nipp. Begleitendes zur Veröffentlichung des Buches Fatale Wirkungen, von Herrn Nipp (Mit Fotos von Stephanie Neuhaus). Über die historische Aufgabe von Herrn Nipp aus Möppelheim.

Zum Thema Künstlerbucher lesen finden Sie hier einen Essay sowie ein Artikel von J.C. Albers. Vertiefend auch das Kollegengespräch mit Haimo Hieronymus.

Diese bibliophile Kostbarkeiten sind erhältlich über die Werkstattgalerie Der Bogen, Tel. 0173 7276421