Vor dem Danach

Schlange, das Leben ist eine einzige Frage, sage ich, die beste Lösung wäre ja, wir lebten gar nicht, dann müsste es auch keine Antwort geben. – Ah, sagt Schlange, dann dürfen wir auch nicht sterben, wenn wir nicht leben müssen. – Nein, sage ich, wir dürfen nicht leben, wenn wir nicht sterben müssten. – Ich weiß nicht, sagt Schlange. – Sind wir wirklich tot, wenn wir tot sind, wenn ich schon nicht weiß, ob ich lebe, wenn ich lebe, sage ich, du siehst, alles ist fraglich, sogar der Tod. – Vielleicht…, sagt Schlange, wenn du das Leben liebst, wie du sagst, musst du auch zum Tod ja sagen. – Klar, sage ich, wir sterben übungshalber viele kleine Tode vor dem großen Tod. – Ist das Leben ein Sterben von Anfang an?, sagt Schlange. – Ja, sage ich, Leben heißt sterben lernen. – Wozu? – Ich weiß nicht, sage ich, wir drehen uns im Kreis. – Hoffentlich, sagt Schlange.

 

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Schlangegeschichten von Ulrich Bergmann, Kulturnotizen 2016

In den Schlangegeschichten wird die Dialektik der Liebenden dekliniert. Ulrich Bergmann schrieb mit dieser Prosafolge eine Kritik der taktischen Vernunft, sie steht in der Tradition der Kalendergeschichten Johann Peter Hebels und zeigt die Sinnlichkeit der Unvernunft, belehrt jedoch nicht. Das Absurde und Paradoxe unseres Lebens wird in Bildern reflektiert, die uns mit ihren Schlußpointen zum Lachen bringen, das oft im Halse stecken bleibt.

Weiterführend →

Eine Einführung in die Schlangegeschichten von Ulrich Bergmann finden Sie hier.