Maler male

 

Wo hast Du dich da hingestellt?

Da passt du gar nicht hin.

Du machst stets das denkbar Unbequemste

 aus deiner Lage.

Gibst zu früh nach, zu spät auf,

zu viel dazu,

zu offen klein bei.

Tausendmal gebrauchte unhygienisch

gewordene Begriffe.

Steril und glatt, immer wieder

mit den Oberflächen ins Passende hinein geschliffen.

 

 

Rascheln von Seidenpapier. Du bleibst Zeuge von Anfang an. Ist es dir zu heiß?  Öffne das Fenster.

Das Papier fasst du so zart an, dass man eifersüchtig werden will.  Nun sieh zu und setz die Brille auf, Künstler.

Wo ist die Brille? Ein Glas war herausgebrochen. Nun liegt sie so riskant verborgen, dass bald das andere Glas zerbrechen wird.

Ab jetzt musst du ja nichts Bestimmtes detailliert sehen: Du musst nur außer der geschliffenen Dunkelheit auch noch das Andere sehen, das da hinein – oder ab sofort herangestellt worden ist, an diesen Raum des vorgestellten Denkens heran gerückt. Dein Alleinverharren ist einsamer, anonymer als jede beliebige namenlose Verendung im Abseitigen. Könntest du nur wütend oder traurig werden,- du hättest eine Fähigkeit wieder gewonnen: Du hättest wieder unterscheiden können. Auch, dass etwas Dumpffühliges, als Ton, als Geruch von früher dich anweht, als weiß der Himmel woher welche Regung, das macht dich nicht zum geschichtlichen Wesen.

Er hockte, dann kniete er vor seinem Bild. Soeben hatte er das Rad erfunden. Er hatte es als schon defektes Rad ganz ohne Umwege und Anstrengung erfunden und alles bisher Andere rund um das Rad vergessen. Wie eben Künstler arbeiten, ohne zu wissen, dass sie arbeiten, denkst du. Das Rad  besaß Ähnlichkeit mit einem zersplitterten Brillenglas. Präzise zogen sich die fein ziselierten schwarz durchbrochenen Risse vom Mittelpunkt hin zur Peripherie.

Vielleicht könnte jemand darauf geschossen haben?

Draußen auf dem Vorplatz zerschmetterte jemand leere Flaschen. Er schien diesen Vorgang wie eine Pflichtarbeit ernst zu nehmen. Er schien nach der Uhr zu arbeiten. Dauer und Rhythmus der Zerstörung: Eine höhnische Komposition jenseits der Geborgenheit des geschenkten Raumes zwei Stockwerke höher.

Entschieden fehlt mir wieder Material, sagte der Künstler zum Bild. Er collagierte, und das Papier, Seiden- und Konsumpapierfragmente, lagen zerschnitten auf dem Holzboden. Vielfarbig umgab es ihn raschelnd. Herbstlaub, denkst du, Beginn der Umwandlungsprozesse,  dachte er, und draußen splitterte es rhythmisch. Unterbrochen von kleinen unartikuliert ausgestoßenen Wutlauten. Du stellst dir verletzende Messerschärfen vor, Schnitte, die nach innen bluten wollen.

Ein schlankes Wesen trat mit hoch erhobenen Armen aus dem Bild.  Es posierte einen Zentimeter vor der Bildfläche steif auf einem Bein, schwebend, Gestalt.  Ihr Stehen war Lächeln. Das neu erfundene, defekte Rad rollte bedächtig in die schwarze Fläche am rechten Bildrand. Von dort aus spiegelte es ein zweites, als schicke es sein Abbild von sich weg, damit es sich unter die Achsel der Schwebenden schmiegte, ein comicartiges Rad, nach hinten hin verjüngt.

Nebenan wurde eine Tür aggressiv zugeschlagen, um wenig später ausdrücklich geräuschvoll wieder geöffnet zu werden. Die lächelnd Schwebende sank ins hautnahe Schwarz  des Bildes zurück und ließ nur noch Umriss ahnen. Der Künstler wunderte sich, dass man abstrakt denken könne, ohne die gesamte Realität aufzugeben, die ihn geräuschvoll umgab. Er rauchte 2 Zigaretten rasch hintereinander, ohne das Bild aus den Augen zu lassen. Er näherte sich. Die Figur zeigte kein Gesicht. Unten verfluchte der Flaschenzerschmetterer alle Frauen  dieser Welt und blieb in seiner Zerstörungsarbeit rhythmisch. Der Künstler wusste, dass der Kerl jetzt über den Platz schoss, die Stimme verriet es ihm.  Irgendwo musste er Vorrat an leeren Flaschen deponiert haben. Ein Scherbengericht, dachte der Künstler dort oben. Ihm war klar, dass er parallel arbeitete, hier war er an seinem Erfindungswerk mit Frau und Rad unmittelbar tätig, dort unten war er noch unterwegs zu einem nie fixierbaren Ergebnis.

Er spürte seinen Hunger. Hunger, das blieb sein Körperempfinden in jeder Zelle. Aber er unternahm nichts dagegen.

Er mischte ein rostiges Rot an, seinen Himmel.  Auf dem Himmel klebte ein grellrotes Viereck, ein Tor vielleicht, oder ein Mahnmal. Seine Stadt liebte Mahnmale. Er ließ diese Liebe in seinen Bildern zu. Dann ließ er einen letzten Fetzen gelben Papiers über die Fläche wandern.  Es wirkte wie eine Comicsprechblase. Erst verdeckte er damit Teile der Figur, die ihr Schweben aufgab, dann das Zentrum des ersten defekten Rades. Dann aber zerschnitt er das Papier; die Fragmente mochten für ein neues Bild tauglich sein.

Im Flur schlurfte jemand über das Parkett.  Wer trägt hier Hauschuhe?

Lärmend wurde mit einem dicken Schlüsselbund nebenan die Küche aufgeschlossen.  Mit dem Öffnen der Tür strömte Küchengeruch in seine Wahrnehmung, es war der Küchengeruch in öffentlichen Einrichtungen, der ohne erkennbaren Anlass Beklommenheit auslöst. Und wieder klirrten Flaschen, jetzt leiser, entfernter. Stotternd sprach jemand ins Haustelefon.

Er lasierte den rostroten Himmel mit verdünntem Schwarz, ohne die allererste Ansicht gänzlich auszulöschen. Er öffnete das Doppelfenster.

Wie ein angeschossenes Tier taumelte dort unten zwischen den Parkbäumen der Flaschenwerfer als dunkle bewegliche, lebendige Masse der Unentschiedenheit. Obwohl fast alle Fenster erleuchtet waren, wirkten die gegenüberliegenden Altbauten unbeteiligt, ja unbewohnt. Frisch renoviert standen die Komplexe fast nahtlos nebeneinander. Da griff eine Windbö in einen zusammengekehrten Blätterhaufen. Die aufgeschreckten Blätter wirbelten für Sekunden im orangefarbenen Licht der vom Haus in den Park zielenden Scheinwerfer. Als habe da etwas kleinteilig  lange schon Zusammengehörendes  eine Erschütterung erlitten. Die Lichtmasse auf dem Vorplatz  zirkelte das Haus von aller umgebenden Realität ab. Dort ist mein großes Bild, so redete der Künstler. Es ist unter meiner Regie entstanden, mein eigentliches, mein Parallelbild, dass mit fast Nichts von mir zustande kam. Aber ich bin hier, muss hier bleiben, denn kleine Bilder sind oft schwieriger als die großen.

Die Zeit der kleinen Bilder ist rissiger, zwingt die Gedächtnissinne auf eine Welt voller Ausschnitte, ohne, dass das Auge nur einen einzigen festzuhalten imstande wäre. Ab jetzt geriet der Künstler in eine Art Dösen.

Das Bild mit defektem Rad und der nur noch vag Schwebenden konnte seine Arbeit am Künstler beginnen.

 

 

 

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Weiterführend → 

Lesen Sie auch das Kollegengespräch, das A.J. Weigoni mit Angelika Janz über den Zyklus fern, fern geführt hat. Vertiefend ein Porträt über ihre interdisziplinäre Tätigkeit, sowie einen Essay der Fragmenttexterin. Ebenfalls im KUNO-Archiv: Jan Kuhlbrodt mit einer Annäherung an die visuellen Arbeiten von Angelika Janz. Und nicht zuletzt, Michael Gratz über Angelika Janz‘ tEXt bILd