Die Liebe, die Liebe… Eine Yuppie-Ballade

 

Liebe, sagte Schröder, Liebe ist nur ein Wort. Is’ von Simmel, sagte ich und Schröder nickte betrübt. Schaue mich an, sagte er, schaue mich an! Ich schaute ihn an. Er war ein Bild des Jammers und der Wirt des Bistros, das uns Schutz gegen den Frühlingsregen bot, nickte mitleidig. Love, sagte Schröder, love is just another four-letter-word. Is’ von Bukowski, sagte ich und Schröder stiegen die Tränen in die Augen. Sieh dich um, forderte mich Schröder auf, wo gibt es noch jenes aufrichtige, intensive, ja unfassbare Gefühl, das noch in der Generation unserer Väter mit dem schlichten Substantiv »Liebe« so unzureichend beschrieben wurde?

Ich konnte seinen Weltschmerz gut verstehen. Marian hatte ihn verlassen, »Maid Marian«, wie er sie nannte, nach der weiblichen Heldin der Robin-Hood-Sage; Robin Hood war er dann natürlich selber, eine Rolle, in der er sich gefiel. Wie auch immer, Marian war zu ihrem Analytiker gezogen, um ihren Vaterkomplex auszuleben; ein Schritt, der mich nicht sonderlich überraschte. Meiner Ansicht nach begann die Krise damit, dass Schröder bei einer Gruppensex-Orgie im Robinson-Club Ibiza bereits nach der zweiten Runde ausschied – eine Geschichte, die Schröder natürlich hart- näckig dementieren lässt. Marian ist durchaus hübsch, trotz leichter O-Beine, die Schröder exotisch fand, schlank ist sie, auch wenn sie ihre aschblonden Haare dem Mysterium der L’Oreal-Schaumtönung verdankt. Marian findet man oft im Fitness-Studio; die Sonnenbank meidet sie seit jüngster Zeit, weil sie dort einmal eingeschlafen ist und deswegen danach stationär behandelt werden musste.

Schröder mochte Marian, ihr Typ passte gut zur Einrich- tung seiner Wohnung, aber er liebte sie nicht besonders. Das erleichterte es ihm, die Diskussion ins Grundsätzliche zu ziehen. Der Rotwein tat ein Übriges.

Die großen Vorbilder fehlen, offenbarte mir Schröder mit einer Stimme, dem Wimmern nahe, die großen Vorbilder fehlen völlig. Wir glaubten noch an die Wahrheiten der Postmoderne, die Liebe als Möglichkeit der Existenz eines großen, wahren Gefühls zwischen Aids und Tschernobyl, zwischen Realos und Fundis, zwischen Tina Turner und dem Papst, zwischen Bayern München und Schalke, zwi- schen…

Der Weltschmerz schüttelte ihn, unschwer zu erkennen, Schröder abonniert die Neue Zürcher. Marian ist erfreulicher- weise keine reine Zeitgeistschwester. Sie litt sehr unter den Erosionserscheinungen ihrer Bauchtanzgruppe, auch ein Anlass, eine feste Beziehung zu ihrem Analytiker aufzubauen. Ihr Analytiker, natürlich eine Kapazität auf seinem Gebiet, ist leider schon im fortgeschrittenen Alter, aber der Umstand, dass er künstlich ernährt werden muss, stört Marian nicht. Und die aus diesem Umstand resultierenden sexuellen Frustrationen bekämpft sie angeblich erfolgreich mit dem Tantra. Schröder schluchzte inzwischen haltlos, hatte kaum noch Kraft, »Noch ’nen Buschuläh« zu rufen. Schröder weint übrigens schnell, egal, ob ihm morgens der Toast anbrennt, streunende Hunde an sein Kraftfahrzeug urinieren oder er beim Pepsi-Test durchfällt. Die Liebe ist tot, flüsterte er mit umwölktem Blick, tot, tot, tot. Tot wie Elvis, tot wie das Kino, tot wie die Nordsee, tot wie die Hose. Es gibt sie nicht mehr, man hat sie ans Bayer-Kreuz genagelt. Schröder versuchte vergeblich, sich zu sammeln.

Und weißt du, wer daran schuld ist, fragte mich Schröder. Ich wusste es, aber das hielt ihn nicht auf. Die Industrie, fing er an, ja natürlich, die Industrie, die Kirchen, die Partei- en, und – er zögerte, zu schmerzlich war die Erkenntnis – ja, und auch die Gewerkschaften. Die Wucht dieser Offenbarung schien ihn schwer zu treffen, er heulte auf, der Wirt des Bistros zog besorgt die Augenbrauen zusammen.

Schröder lief dessen ungeachtet zu Hochform auf. Wa- rum, fragte er mich mit fast tonloser Stimme, warum? Plötzlich packte er mich am Kragenaufschlag: Weißt du, dass alle zwei Sekunden ein Kind verhungert? Ja, erwiderte ich so ge- fasst wie möglich. Alle zwei Sekunden, wiederholte Schröder, er war wirklich schwer angeschlagen. Immerhin suchte er jetzt einen Ausweg aus der Krise. Was soll ich tun, fragte Schröder, grundsätzlich nur rhetorisch. Soll ich konvertieren? Mein Girokonto auflösen? Zum Bhagwan gehen? Nicht zum Bhagwan gehen? Den Kursus Kochen für Junggesellen bei der Volkshochschule belegen? Mich in der Friedensbewegung engagieren? Soll ich den Buddhismus entdecken? Oder vielleicht doch den Shintoismus? In die Junge Union eintreten? Aus dem ADAC austreten? Eine American Express-Karte beantragen? Die Tageszeitung wechseln?

Nun gut, ich bin Schröder verpflichtet, er sorgte damals für meine Aufnahme in den Tennisclub, auch ansonsten ist er mein Freund. Die nächsten zwei Stunden wurden hart. Schröders Ansatz war seine gescheiterte Beziehung, egal, ob er nun die Krise des Sozialismus analysierte, die Hoffnungen des HSV auf die Meisterschaft nährte, oder die Exportchancen von Volkswagen auf dem amerikanischen Markt beurteilte. Die Liebe, sagte Schröder mal hoffend, mal resignierend, die Liebe…

Irgendwann nutzte ich die Gelegenheit zu einem Telefon- gespräch. Vor drei Monaten hatte ich sie kennengelernt,

jetzt suchten wir die Möbel für die gemeinsame Wohnung aus. Ich hatte sie direkt an der Leitung. Sie war beschäftigt, aber ich fühlte mich gut, als sie sagte, dass sie sich auf den gemeinsamen Abend freut. Ich blickte über die Schulter hin zu Schröder, der nur noch hilflos mit den Armen ruderte. Ich liebe dich, flüsterte sie durch das Telefon, als ob sie Angst hatte, dass es Unbefugte hören könnten. Jetzt fängst du auch noch an, sagte ich. Und sie lachte.

 

 

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Irgendwas ist immer, Stories von Markus Peters

Mit diesen großartig geschriebenen Prekariatsstories setzt Markus Peters die Tradition der nonkonformistischen Literatur nicht etwa fort, er führt sie zu neuer literarischer Größe. Man merkt seinen Worten an, das sich der Autor auch Lyriker einen Namen gemacht hat, so präzise ist die Sprache gesetzt. Es sind Geschichten von der Schattenseite der deutschen Gesellschaft, die Peters umso heller ausleuchtet, er begibt sich an Orte, zu denen sich die Kommerzsender mit ihren gecasteten Formaten nicht mehr hintrauen. Das Bemerkenswerteste an seinen Satiren, Stories und Kolumnen ist, bei aller Lakonie und Unsentimentalität, die uneingeschränkte Solidarität mit seinen Figuren, ohne jegliche Distanz und Ironie. Unterschichten-Elendsvoyeurismus wie ihn der NDR mit einer getürkten Reportage über den Straßenstrich ins öffentlichen-rechtlichen Gebühren-TV hob, sucht man in seinen Satiren, Stories und Kolumnen vergeblich, es ist vielmehr ein journalistischer Blick auf die Realität. Seine gleichsam essayistischen Betrachtungen leben von der Schilderung der Realität im Bruchstück. Auf unterhaltsame Weise verpasst dieser Autor dem Alltag in seinen Satiren, Stories und Kolumnen einen wohldosierten Dreh ins Aberwitzige. Einen Vergleich mit der Prosa von Clemens Meyer braucht dieser Autor nicht zu scheuen. Für KUNO war dieses Buch ein Anwärter auf „das Buch des Jahres“ 2021.

Weiterführend zur Theorie des Sozialen

Eine Theorie des Sozialen lautet, es gebe in der Politik keine Lücken. Immer wo sich eine auftue, werde sie sofort von anderen Akteuren besetzt. Kaum jemand hat die Lückenhaftigkeit des Underground so konzequent erzählt wie Ní Gudix und ihre Kritik an der literarischen Alternative ist berechtigt. Ein Porträt von Ní Gudix findet sich hier. Lesen Sie auch die Erinnerungen an den Bottroper Literaturrocker von Werner Streletz und den Nachruf von Bruno Runzheimer. In einem Kollegengespräch mit Barbara Ester dekonstruiert A.J. Weigoni die Ruhrgebietsromantik. Mit Kersten Flenter und Michael Schönauer gehörte Tom de Toys zum Dreigestirn des deutschen Poetry Slam. Einen Nachruf von Theo Breuer auf den Urvater des Social-Beat finden Sie hier – Sowie selbstverständlich his Masters voice. Und Dr. Stahls kaltgenaue Analyse. – 1989 erscheint Helge Schneiders allererste Schallplatte Seine größten Erfolge. Produziert von Helge Schneider und Tom Täger im Tonstudio/Ruhr. Constanze Schmidt beschreibt den Weg von Proust zu Pulp. Ebenso eindrücklich empfohlen sei Heiner Links Vorwort zum Band Trash-Piloten. – Die KUNO-Redaktion bat A.J. Weigoni um einen Text mit Bezug auf die Mainzer Minpressenmesse (MMPM) und er kramte eine Realsatire aus dem Jahr 1993 heraus, die er für den Mainzer Verleger Jens Neumann geschrieben hat.