Alles im Arsch

„Maria Stuart“ von Friedrich Schiller

 

Maria Stuart um 1558, Porträt von François Clouet

Königin Elisabeth steigt als Glamour-Star die steile Treppe zur Show hinab. Die Show ist die Staatspolitik. Irgendwie stimmt das ja auch. Die Minister benehmen sich wie die feinen Zuhälter der sogenannten freien Wirtschaft. Na gut. Sie nehmen der Königin das Blech von der Seele und stellen es scheppernd ab. Da steht die blonde Venus nun auf den Stufen ihrer moralischen Treppe abwärts. Leicester will hoch. Er will Maria und Elisabeth, am liebsten die schöne Maria. Leicester betrügt beide Königinnen gleichzeitig. Leicester ist ein richtiges Arschloch. Da steht sein aufrichtiger Wille. Er reißt sich die Kleider vom Leib, während er die Stufen hinauf stürzt, und wirft sein nacktes Fleisch der englischen Königin zum Fraß vor.

Im schönen Schein der Worte regnet es immer wieder mal in feinen Schwaden. Das ist nicht das englische Wetter, sondern Spermienregen. In diesem Klima sieht die Welt sehr schön aus. Nach dem Streit der Königinnen, in dem beide ihre Hormone freilegen, kann Mortimer seine Geilheit nicht mehr zähmen. Er lässt die Hose fallen wie eine Maske, das Arschloch fällt über Maria her, aber er steht die Nummer nicht durch. Der Abknicker sackt zusammen. Maria rettet sich. Dann ejakuliert der Himmel, es regnet. Mortimer kriecht in die Pfütze, ins allgemeine Spermienbiotop, streckt uns den nackten Arsch entgegen und windet sich unbefriedigt. Maria ist auch nicht viel besser. Sie bleibt bis zum Schluss, was sie am Anfang war: Ein schwaches Weib. Und dennoch wird ihr echte Läuterung zugestanden. Sie darf die Treppe, auf der Elisabeth in unsere Realität hinabstieg, als moralische Siegerin hinaufsteigen. Sie weiß, dass sie ein Opfer der politischen Maschinerie ist. Elisabeth ist die kühle und  beherrschte, aber schwache und zuletzt völlig geschaffte Herrscherin, die zur Alkoholikerin werden könnte. Am Ende steht sie allein und einsam da.

Der Mensch ist schlecht. Er will Macht und Geld. Er liebt nur sich. Er hat keine Ideale. Er kennt nur Intrigen. Er ist geil. Er denkt mit dem Schwanz. Seine Seele liegt irgendwo zwischen zwei Löchern. Der Mensch ist ein Arschloch. Es gibt kein Ich, es gibt nur Es. Wir sind alle nur Zuhälter, geile Freier, Nutten und Stricher. Ja, Schiller kennt die Welt, wie sie wirklich ist! Er zeigt uns, was eine Harke ist! Idealismus ist nur Lüge oder Selbstbetrug! Okay – das ist mir lieber als die trockene Fortsetzung der Philologie mit allen Mitteln. Leicesters Striptease auf der einen Seite, Mortimer als Schlappschwanz auf der anderen: Die Vivisektion der Wirklichkeit hat System.

Geilheit und Sentimentalität sind fürn Arsch. Für die Ärsche im Publikum, denen die Welt irgendwie am Arsch vorbei geht, am Arsch im Kopf und erst recht in der moralischen Anstalt.

 

 

 

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