Verblasste Tattoos

 

»Brauchen Sie Hilfe?« Bronischewski sah in die verwässerten Augen eines Mannes, der die Sechzig überschritten hatte. Verblasste Tattoos erzählten Geschichten von fernen Ländern. Ein alter Seebär, der schon in gefährlicheren Gewässern gestrandet war. Kurz bevor die Glut der filterlosen Zigarette seine Lippen erreichte, spuckte er die Löte aus und zermalmte sie unter seinem Absatz.

»War früher bei der Fremdenlegion…«, er blickte über die Schulter auf die Leiche. »bisschen viel Blut für eine Kirmes, woll?«

»Was haben Sie gesehen?«, mischte sich Galonska in die Ermittlung ein.

»Erst ging Elsa hinein, und dann kam eine Frau heraus. Geblümtes Sommerkleid, wie das jetzt alle tragen. Eine von denen, die man schlecht schätzen kann…« Der Legionär verschränkte die Arme und strich mit dem Daumen über das Kinn. An den Falten seiner Stirn war zu sehen, wie er nachdachte und zu keiner Lösung kam.

Bronischewski ließ sich eine Rolle Absperrband reichen, mit dem Elektroinstallateure einen Kabelschacht abgesichert hatten. Bis die Kollegen auftauchten, sperrte Bronischewski mit Hilfe des Legionärs die Damentoilette ab. Galonska suchte den Tatort vor der Tür gewissenhaft nach Spuren ab.

Die beiden Punks waren reif für eine Vernehmung. Bronischewski war klar, dass Wut kein guter Berater war. Er glaubte, die Türklinke, und damit die Situation wieder im Griff zu haben, beobachtete Mae, die Abstand und Haltung wahrte. „Serienmörder sind erfolgreiche Killer, die aus ihren Erkenntnissen lernen“, war eine alte kriminalistische Erkenntnis, die ihm in diesem Moment wenig nutzte. Wo waren seine Beweise für den Verdacht?

Zorn wuchs Ludwig Bronischewski aus den Ohren, aus dem Mund, aus den Augen. Blut pochte in seinen Ohren, Schweiß sammelte sich auf der Oberlippe, die Hitze verursachte ein Flirren vor seinen Augen. Er bekam wackelige Knie, atmete mehrere Male tief durch und dann erweckte er abermals den Eindruck, eigentlich alles im Griff zu haben. Gähnte für einen Moment wie ein Raubtier vor dem Sprung. Musste sich zusammenreißen. Hatte Panik, dass er an falscher Stelle herausplatzte. Musste die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass die Punks im Verhör dicht machen würden.

Mae sah ihm ins Gesicht, als ein Dienstwagen auf sie zukam. Interessiert blieben die Menschen stehen. Zwei junge Polizisten zogen aus der Hintertür die eiserne Minna. Vom Beifahrersitz aus stieg der Polizeifotograf herab. Ein weiterer Dienstwagen folgte, der dicht vor ihnen zum Stehen kam. In diesem Moment meldete sich Tilkowski auf dem Sprechfunkgerät.

»Sicher alles ab, Bronischewski.«

»Schon geschehen!« Bronischewskis Stimme klang unbeherrschter als beabsichtigt. Tilkowski hatte es nicht bemerkt.

»Setz dich in den Wagen und komm rüber«, kam es von Tilkowski fast im Plauderton. Bronischewski wischte sich unter seiner Dienstmütze den Schweiß ab. War verwundert darüber, wie Galonska das Kunststück fertig gebracht hatte, die Punks festzusetzen.

 

 

Fortsetzung folgt.

***

Massaker, ein Cranger-Cirmes-Crimi von Barbara Ester und A.J. Weigoni, Krash-Verlag 2001

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In der Reihe Gossenhefte zeigt sich, was passiert, wenn sich literarischer Bodensatz und die Reflexionsmöglichkeiten von populärkulturellen Tugenden nahe genug kommen. Der Essay Perlen des Trash stellt diese Reihe ausführlich vor. Dem Begriff Trash haftet der Hauch der Verruchtheit und des Nonkonformismus an. In Musik, Kunst oder Film gilt Trash als Bewegung, die im Klandestinen stattfindet und an der nur ein exklusiver Kreis nonkonformistischer Aussenseiter partizipiert. Lesen Sie auch das Kollegengespräch von A.J. Weigoni mit dem echten Bastei Lübbe-Autor Dieter Walter. Eine Würdigung von Massaker durch Betty Davis lesen Sie hier. Die Hörfassung unter dem Titel Blutrausch hören Sie in der Reihe MetaPhon. Als Tag für die Vorstellung dieses Cranger-Cirmes-Crimis war der 11. September 2001 vorgesehen.