Postpunk

 

»Fuck it anyway, wie oft soll ich noch sagen: Ich weiß nicht, wo diese Votze steckt!«, schrie der Typ mit dem Aufdruck: „Ich trinke, rauche Shit, lese Pornos und bin ständig geil“ auf dem Shirt. Hauptsache controversial. Er wand sich, wollte sich losreißen. Mae sah, dass sein Blick gehetzt war. Unbewusst kam ihr der Gedanke: „Das könnte mein Enkelsohn sein. Vielleicht ist es doch besser, keine Kinder zu haben. Sie machen nur Ärger und reißen einem das letzte Mitgefühl aus dem Leib.“ Der Polizeibeamte drehte den Arm noch ein wenig nach oben. Schweiß lief in Tropfen über sein Gesicht.

Die junge Frau neben ihm schien Welten und Zeiten von ihm entfernt zu sein, wahrscheinlich in einem Paralleluniversum. Machte keine Anstalten, fort laufen zu wollen. Betrachtete die Szenerie wie einen Film. Sah den beiden Männern bei ihrem Ringkampf zu. Mae betrachtete irritiert die schmalen Hände der jungen Frau: Lange, schwarzlackierte Fingernägel. Ihr Blick wanderte an der rechten Hand hoch. Natürlich kein Ehering. Ein Teil in ihr amüsierte sich über sich selbst. Heute zeugte man erst die Kinder und heiratet dann, wenn das Steuergesetz den bestmöglichen Zeitpunkt für eine vorteilhafte Steuererklärung vorschrieb. Um diese Combo hatten sich bereits Schaulustige gestellt.

»Gehen Sie doch bitte weiter. Hier passiert überhaupt nichts Spektakuläres!«, forderte Dirk Galonska ungehalten die Neugierigen auf und machte das Publikum damit erst recht auf diese Szene aufmerksam.

»Herr Wachmann!« Mae tippte Bronischewski behutsam auf die Schulter. Der zuckte zurück. So hatte ihn schon lange niemand mehr angesprochen. Er sah Mae erstaunt an und lockerte den Griff. Ansgar wollte sich entwinden.

»Bürschchen, du bleibst hübsch an meiner Seite«, keifte Bronischewski. Ließ die Handschellen klicken. Wollte den Postpunk auf der Sonderwache präsentieren. Dieser Bursche sollte ihn zu der anderen Frau bringen. Er winkte Galonska heran, damit er die ältere Dame zur Sonderwache begleitete. In den Räumen des Deutschen Roten Kreuzes würde sich der Einsatzleiter um sie kümmern.

Bronischewski steuerte auf den Bereich zu, in dem der Thriller fahrplanmäßig Überschläge abrollte. Über das lustvolle Geschrei der Teenager legten sich panische Rufe. Verwirrte kamen schreiend aus der Toilette des gegenüberliegenden Cafés. Die Polizisten sahen sich an, stutzten, und wurden von Passanten auf die Damentoilette gezerrt. Auf dem Boden lag eine Frau.

»Um Himmelswillen!«, flüsterte Bronischewski leise, und sein erster Gedanke galt Tilkowski.

 

Fortsetzung folgt.

***

Massaker, ein Cranger-Cirmes-Crimi von Barbara Ester und A.J. Weigoni, Krash-Verlag 2001

Weiterführend →

In der Reihe Gossenhefte zeigt sich, was passiert, wenn sich literarischer Bodensatz und die Reflexionsmöglichkeiten von populärkulturellen Tugenden nahe genug kommen. Der Essay Perlen des Trash stellt diese Reihe ausführlich vor. Dem Begriff Trash haftet der Hauch der Verruchtheit und des Nonkonformismus an. In Musik, Kunst oder Film gilt Trash als Bewegung, die im Klandestinen stattfindet und an der nur ein exklusiver Kreis nonkonformistischer Aussenseiter partizipiert. Lesen Sie auch das Kollegengespräch von A.J. Weigoni mit dem echten Bastei Lübbe-Autor Dieter Walter. Eine Würdigung von Massaker durch Betty Davis lesen Sie hier. Die Hörfassung unter dem Titel Blutrausch hören Sie in der Reihe MetaPhon. Als Tag für die Vorstellung dieses Cranger-Cirmes-Crimis war der 11. September 2001 vorgesehen.